Camino: Zum Weinen schön

JAKOBSWEG, Tag 5 – 27 Kilometer von Viana nach Navarrete

FÜR MARIA

Wir widmen jeden Tag unserer Pilgerreise einem Menschen, der uns viel bedeutet hat, aber nicht mehr unter uns weilt.

Irgendwann weint auf dem Camino jeder. Als ich diesen Satz in einem Jakobswegführer gelesen habe, verschwendete ich keinen weiteren Gedanken daran. Echt jetzt? Ich und weinen? Gestern Abend war es soweit.

Es passierte in der Dorfkirche von Vania, unserer gestrigen Endstation. Mehr um uns aufzuwärmen als den Heiligen Geist zu empfangen, besuchten wir die Abendmesse. Lore, Carmen unsere mexikanische Camino-Begleitung, und ich.

Als die Schäfchen von Vania gerade das Abendmahl empfangen hatten und wir fast schon auf dem Sprung waren, wandte sich der Pfarrer an uns.

Er bat uns, an den Altar heran zu treten, begrüßte uns mit Handschlag, fragte nach unseren Herkunftsländern und auch nach dem bisherigen Verlauf unserer Wanderung.

Als er uns gerade einen sicheren, weiteren Camino wünschte, kam aus dem Nirgendwo die pausbäckige Mesnerin. Und überreichte Lore und Carmen je einen geweihten Lorbeerstrauß. Er hat von jetzt an einen Ehrenplatz auf Lores Rucksack.

Einfach so. Fremde aus Kanada und Mexiko waren plötzlich Teil einer nordspanischen Dorfgemeinde geworden. Und sei es nur für ein paar Minuten.

Das war der Moment, in dem nicht nur mich die Emotionen dieses Abends übermannt haben.

Der Camino lässt keinen kalt. Weder den Straßenkehrer, der uns schon von der Ferne einen guten Verlauf der Wanderung wünscht, noch die Frau, die mit schweren Einkaufstüten unterm Arm ein Stück durch die Stadt Longroño mit uns wandert und fast ehrfürchtig zuhört, wie wir ihr den bisherigen Verlauf der Pilgerreise schildern.

Es sind die Menschen, die den Camino zu einer einzigartigen Erfahrung machen.Wie oft wir mit unseren schweren Rucksäcken, unseren Wanderstöcken und der Jakobsmuschel auf dem Rücken von wildfremden Menschen angesprochen wurden, lässt sich nicht mehr zählen.

Natürlich haben nicht nur wir diese Erfahrung gemacht. Jeder und jede, die wir bisher getroffen haben, berichtet von ähnlichen Begegnungen.

Gierke aus Holland hat uns erzählt, dass er bereits zum vierten Mal auf dem Camino wandert. Diesmal geht er einen Teil davon in Begleitung seiner 26-jährigen Tochter, einer frischgebackenen Anwältin.

Toni, ein Consultant aus der Schweiz mit zwölf Angestellten, hat schon 1400 km hinter sich. Er fing mit dem Jakobsweg bereits vor vielen Wochen in der Nähe seines Wohnortes Einsiedeln an. Der Jakobsweg habe ihn vor dem drohenden Burnout bewahrt.

Juan, dessen Vater aus Mallorca stammt, der aber in Kopenhagen lebt und aufgewachsen ist, hat uns eine Zeitlang durch die Weinberge von Rioja begleitet. Nach fast 20 Jahren im gleichen Job brauche eher dringend einen Wechsel, verrät er uns.

Wie es in seinem Leben weitergehen soll, darüber wollte er eigentlich während seiner Pilgerwanderung nachdenken. Aber es sei so viel Schönes passiert bisher, dass er weder Zeit noch Lust hatte, um über berufliche Perspektiven zu reflektieren.

Wir sind in einem bescheidenen, aber freundlichen Hostel in Navarrete abgestiegen. Während ich diese Zeilen ins Handy tippe, bimmeln von der Kirche nebenan die Glocken. Menschen strömen in die Dorfkirche zum Abendgebet.

Es sind auch heute wieder mehr Kilometer geworden als wir vorgehabt hatten. Und wieder war es nicht die Kondition, die uns die Entfernung diktierte. Es sind die Übernachtungsmöglichkeiten entlang des Weges.

Blasen an den Füßen machen Lore auch heute wieder zu schaffen. Kein Wunder nach fast 28 Kilometern. Sie ist tapfer, die Frau an meiner Seite. Von der Apotheke nebenan erhofft sie sich gerade Linderung.

Der Jakobsweg nimmt alles von dir. Er zehrt an deinen Kräften und manchmal denkst du, am Ende deiner Leistungsfähigkeit angekommen zu sein. Aber der Jakobsweg nimmt nicht nur, er gibt auch. Viel mehr als ich es hätte mir erträumen lassen.

Gute Nacht aus Navarrete und Buen Camino!

Sie heißt Maria. Wie die Person, der wir die heutige Strecke gewidmet haben. Diese Maria steht irgendwo am Camino und stempelt Pilgerpässe.

6 Gedanken zu „Camino: Zum Weinen schön

  1. Danke Herbert, dass Du uns auf Eurem Weg mit nimmst! Jeden Morgen freue ich mich über Deine neuen Eindrücke und Erlebnisse! Buen Camino!

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  2. So schnell kann das „Mitgehen“ in der ersten Kaffee-Pause zur Routine werden! Danke für die vielen tollen Eindrücke und dass Ihr uns an Eurer wunderbaren Wanderung teilhaben lasst.

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  3. Meine tägliche Routine….warten bis ich von Euren neuen Abenteuern höre.
    Bin von der Ferne aus dabei beim Camino.

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