Theater, Film, Funk und Fernsehen haben mich ein Leben lang begleitet und fasziniert. Auf der Bühne habe ich es nie weiter gebracht als bis zur Rolle des stummen Pilzchens im Ummendorfer Dorftheater. Wie ich als Erwachsener trotzdem zu einigen bescheidenen Filmrollen gekommen bin, wundert mich noch immer.
Dass ich den Hörfunk zu meinem Beruf machen konnte, betrachte ich bis heute als ein wunderbares Geschenk. Wer einmal während einer hektischen Live-Sendung den lautlosen Lärm eines Rundfunkstudios erlebt hat, wird nie wieder davon loskommen. Der Suchtfaktor Radio ist bei mir sehr real.
Gestern Abend konnte ich meiner kleinen Sucht endlich wieder einmal frönen – nicht als Akteur, sondern als Zuschauer. In einem Theaterstück, das in einem nachgebauten Rundfunkstudio spielte. It’s A Wonderful Life: A Live Radio Play hieß das Stück. Derek Quinn, ein Uralt-Kumpel von mir, spielte darin eine der Hauptrollen.
Ich lernte Derek vor mehr als 30 Jahren bei Radio Canada International kennen. Als „international correspondent“ hatte er unter uns Radiogesichtern immer einen besonderen Status. Er machte fehlerfreie Ansagen auf Englisch, Französisch, Russisch und Deutsch, berichtete von Kriegsschauplätzen und Konferenzen über Wissenschaft und Technik. Er war ein Allrounder im besten Sinne. Jetzt ist er im Ruhestand und spielt Theater.
Derek Quinn ist der Moderator des Hörspiels It’s A Wonderful Life. Das ist seine

Derek Quinn: Reporter und Theatermann. Foto: Théâtre St-Bruno
Hauptrolle. Aber er spielt in dem Stück, wie jeder der acht Akteure des „Théâtre Saint-Bruno Players“, viele Rollen.
Mal ist er der Ansager, mal Teil des Publikums. Mal mimt er einen kleinen Jungen, an anderer Stelle einen Mann, der einen Gutmenschen vor seinem finanziellen Ruin bewahrt. Kurz: Derek macht in dem Theaterstück das, was er während seines bunten Berufslebens auch getan hat: Er wechselt die Rollen – und dies mit großer Hingabe und viel Erfolg.
Wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass ich an diesem kalten Winterabend ins Auto stieg und die 35 Kilometer von St. Henri nach St. Bruno zurücklegte, war fast schon theaterreif:
An einem der kommenden Wochenenden war, wie jedes Jahr vor Weihnachten, ein Essen in einem russischen Restaurant in Montreal geplant. Kollegen aus meiner Zeit bei Radio Canada International treffen sich dort, um über alte Zeiten zu reden – ungefiltert und ohne Mikrofon. Aber irgendwie wollte es dieses Jahr nicht klappen mit dem Essen, das jedes Jahr von ein paar befreundeten russischen Kollegen organisiert wird.
Mal konnte dieser nicht, mal ein anderer. Und irgendwann, als man sich fast schon auf einen Termin geeinigt hatte, meldete sich Derek Quinn: „Kann jetzt doch nicht, an diesem Tag spiele ich Theater“.
Bei „Theater“ wurde ich hellhörig. Kein Kollegentreff, dafür aber Theater. Mit Dereks Truppe auf der Bühne. Das Ganze auch noch in einem nachgebauten Rundfunkstudio, inklusive Jingle-Sängerinnen, Hausband und Geräuschmacher – das musste einfach ein toller Abend werden. Und genau das war es dann auch.
Das Russentreffen hat Zeit. Theater kann nicht warten.