Kanada, die Ukraine und Eier, die man mit Suppenlöffeln isst

Der Wahnsinn geht weiter: Putins Truppen sind in der vergangenen Nacht bis zur ukrainischen Hauptstadt Kiew vorgedrungen. Wir sehen fassungslos zu, wie ein Volk unschuldiger Menschen den Russen zum Fraß vorgeworfen wird.

In Kanada fließen zur Zeit mehr Tränen für die Ukraine als Wodka aus russischen Flaschen. Ab sofort gibt es in den staatlich kontrollierten Alkoholläden der beiden größten Provinzen Ontario und Quebec keine Produkte mehr aus russischen Beständen zu kaufen. Andere Provinzen wie Neufundland und Manitoba sind dem Beispiel bereits gefolgt.

Schluss mit nasta rovje: Kein Wodka mehr in kanadischen Alkoholläden.

Das ist der vielleicht kleinste Beitrag, den Kanada als Zeichen der Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine leistet. Das große Besteck holte Premierminister Justin Trudeau fast gleichzeitig mit dem Einmarsch russischer Truppen aus dem Schrank:

Dazu gehören 620 Millionen Dollar in Form von garantierten Krediten und militärisches Equipment im Wert von 10 Millionen Dollar. Ja, das friedliche Kanada liefert notfalls auch Waffen an die Ukraine. Dazu stehen 3400 kanadische Soldaten Gewehr bei Fuß, falls die NATO auch hier Bedarf anmelden sollte.

Das sind Dinge, die man von einem reichen Land wie Kanada erwarten kann. Aber den eigentlichen, vielleicht wichtigsten Beitrag leisten die Menschen hier. Sie öffnen schon jetzt ihre Türen für einen möglichen Flüchtlingsstrom aus der Ukraine. 

Premierminister Trudeau kündigte an, man werde Flüchtende aus dem Kriegsgebiet schnell und unbürokratisch ins Land lassen. “Wir werden diesen Menschen eine neue Heimat bieten”, sagte Justin Trudeau unmittelbar nach dem Einmarsch.

Kanada und die Ukraine waren schon immer ein gutes Team. Weit mehr als eine Million Kanadier sind ukrainischer Abstammung. Die meisten von ihnen leben im Westen des Landes. In den Prärieprovinzen Manitoba und Saskatchewan haben sich ukrainische Farmer niedergelassen, weil die Bodenbeschaffenheit ähnlich ist wie in ihrer Heimat. Auf schwarzer, fruchtbarer Farm-Erde wächst der berühmte kanadische Weizen am besten. Auch die Topografie der kanadischen Prärie ähnelt den weiten Landschaften der Ukraine.

Während meiner fünfjährigen Kanada-Zeit in Manitoba lernte ich unzählige Menschen mit ukrainischen Wurzeln kennen. Viele von ihnen waren geerdete, hart arbeitende Männer und Frauen, die mit dem oft brutalen Winter in der Prärie viel weniger Probleme hatten als ich. 

Ich erinnere mich an eine Reportage, die ich über die betagten Eltern des damaligen Ministerpräsidenten von Manitoba, Ed Schreyer, schrieb. Der Esstisch im Farmhaus der ukrainisch-stämmigen Schreyers in dem Dorf Beausejour drohte unter den vielen Pierogies zusammen zu brechen. Gefüllt mit Käse, Fleisch, aber auch Gemüse oder Marmelade konnte man diese ukrainische Spezialität selbst in den Supermärkten von Winnipeg kaufen, so populär waren Ukrainer und ihre Speisen schon damals.

Die Gastfreundschaft, die mir als Reporter bei John und Elizabeth Schreyer (geborene Gottfried) zuteil wurde, fasste ich damals etwas großspurig in dem Satz zusammen: “Wer bei ukrainischen Farmern zum Frühstück eingeladen ist, bringt für die riesigen Eier am besten einen Suppenlöffel mit”.

Rüdiger Edelmann ist ein befreundeter Rundfunk-Kollege aus ARD-Zeiten. Er hat sich in Deutschland in den letzten Jahren vor allem als Reisejournalist einen Namen gemacht und betreibt den wunderbaren Podcast “Deutsches Reiseradio. Am vorigen Donnerstag plauderten wir mehr als eine Stunde lang über Gott, Kanada und die Welt. Aus aktuellem Anlass redeten wir natürlich auch über die Entwicklungen in der Ukraine.

>> Hier ist der Talk mit dem DEUTSCHEN REISERADIO als Podcast <<

So ist er nun einmal, der Journalisten-Alltag. Während wir über die boxenden Klitschko-Brüder, fruchtbare Felder und blühende Landschaften in der kanadischen Prärie plauderten, jagten russische Truppen verängstigte Ukrainer in U-Bahn-Schächte. Horrorszenarien, die kaum auszuhalten sind.

Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End für einige dieser geknechteten Männer, Frauen und Kinder aus Kiew und anderen Regionen der Ukraine.

Wie sagte Premierminister Justin Trudeau vor zwei Tagen? “Wer in unserem Land ein neues Leben beginnen möchte, ist herzlich willkommen”.

9 Gedanken zu „Kanada, die Ukraine und Eier, die man mit Suppenlöffeln isst

  1. Danke, lieber Pedro. Ich weiss, dass auch dein Herz für die Menschen in der Ukraine schlägt. In diesem Sinne: Будьте сильними та пишайтеся, чудові люди України!

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  2. Bravo, Herbert, für diesen sehr gelungenen Beitrag aus gegebenem Anlass, der viele Perspektiven eröffnet und etwas von den Beziehungen zwischen Kanada und der Ukraine vermittelt, das in diesen Tagen ständig an Bedeutung gewinnt. Ich erfahre bei dieser Gelegenheit, dass Ed Schreyer, den ich für voll deutschstämmig hielt, in Wirklichkeit auch ukrainische Wurzeln hat. Meine zahlreichen Invektiven, die ich für den Initiator des barbarischen Überfalls bereit halte, würden deinen Blog zum Bersten bringen, deshalb muss ich sie mir verkneifen. Ich möchte es allerdings nicht versäumen, dir für dein mutiges Engagement zu danken, das ich voll unterstütze.
    Auch die ukrainische Flagge, die momentan die Montrealer Ansicht ersetzt, ist eine schöne Geste.

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  3. Der Zufall wollte es, dass ich vor zwei Monaten eine Brieffreundin aus Kharkov kennenlernen konnte. Kaum aus Mexiko zurueck, begann fuer sie und ihren Sohn die unfassbare Realitaet, dass ihre ethnischen Brueder aus Russland auf sie schiessen. Taeglich konnten wir bis dahin via Facebook Texte austauschen, bis heute der Strom und das Internet in Kharkov lahmgelegt wurden. Funkstille. Hoffe nur, mein bescheidener Beitrag aus Kanada wird sie via Western Union noch rechtzeitig erreichen. Ein soziales Unterstützungsprogramm besteht in der Ukraine nicht. Nun hoffen wir auf weltweite Solidarität, um diesen Wahnsinn eindämmen zu können. Dies sind nicht mehr die Zeiten von 1930. Danke Herbert für Deinen Beitrag.

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  4. Wir Mütter wissen: wenn ein Kind gewaltsam und anhaltend auf dem Spielplatz das Schäufelchen eines anderen Kindes nimmt und dem dabei noch auf den Kopf haut, müssen wir klärend einschreiten. Das können die kleine Kinder allein nicht lösen.
    Putin hat 2014 mit Georgien und der Annexion der Krim nicht nur ein, sondern zwei Schaufeln an sich gerissen. Die Welt hat folgenlos zugeschaut (die Mütter auf ihr Handy) und wundert sich jetzt. Stattdessen haben die USA und andere Staaten die Ukraine mit Waffen versorgt. Denn die Ukraine verfügte (Gott sei Dank) nicht mehr über A-Waffen. Aber: auch eine gut funktionierende Digitalisierung und modernste, abhörfreie Fax-Geräte können als erfolgreiche Kriegswaffen genutzt werden. Die Zeiten dieser modernen Waffen zeigen sich in den punktgenauen Bomben auf Einzelziele. Das haben die Amerikaner im Irak und Afghanistan ausprobieren lassen, die Russen beweisen, daß sie diese Technik auch in den letzten 7 Jahren perfektioniert haben.
    Was nicht geht: weiter niederwertige Waffen (MG u.ä. altes Kriegsspielzeug) liefern. Russland ist personell und strategisch um ein mehrfaches stärker. Solche Lieferungen produzieren nur neue Tote und verlängern das Leid. Was hilft: Gratulation an die Geschäftsleute (!), Wegnehmen des Sandes (wirtschaftliche Sanktionen und Hackerangriffe/anonymus auf Rußland als Retourkutsche heute Nacht) und Aufnahme der Fliehenden (Gratulation!). Vielleicht noch: Bevorratung von Baumaterialien, Medikamente, Menpower (Ärzte usw.) und alles, was für die Zeit danach in der Ukraine gebraucht wird.

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  5. Lieber Herbert, vielen Dank für Deinen neuerlichen Blog. Es tut gut zu wissen, dass das ukrainische Volk nicht alleine gelassen wird und auf der ganzen Welt Unterstützung und Beistand erfährt. Die russische Agression ist ja offensichtlich von langer Hand geplant. Der russische Präsident und seine Vasallen nehmen aus Angst einer Demokratisierung ihres Landes lieber den Tod vieler Menschen in Kauf und hetzen ihre Soldaten auf ein in Frieden und Freiheit lebendes Volk. In der Hoffnung auf einen Frieden grüße ich Dich ganz herzlich Horst

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