Staatsbegräbnis für „Die Blume“

Wenn ein Held zu Grabe getragen wird, kommen die Massen. Massenweise Promis, massenweise Schaulustige, massenweise Medien. Nie zuvor während meiner fast 40 Jahre in Montreal habe ich eine grösere Anteilnahme erfahren als beim Tod des Eishockeyspielers Guy Lafleur. Er ist im Alter von 70 Jahren gestorben.

Um die Bedeutung dieses begnadeten Spielers auf deutsche Verhältnisse zu projizieren, müsste man Boris Becker, Franz Beckenbauer und Michael Schumacher zusammen huldigen. Nur dass Guy Lafleur vor seinem Tod nicht jahrelang bettlägrig war wie Michael Schumacher, nie im Knast saß wie Boris Becker und, soweit bekannt, auch keine Schmiergelder angenommen hat.

Guy Lafleur war der Star der Stars. Und er war einer von den Guten. Er, der kettenrauchende Profisportler mit einer blonden Mähne wie einst Günter Netzer sie hatte, starb an Lungenkrebs.

Jetzt wurde die Nummer 10 mit einem Staatsbegräbnis geehrt. Seit acht Uhr morgens übertrug der staatliche Fernsehsender CBC live von dem Platz gegenüber der Basilika “Mary, Queen of the World”, direkt neben dem altehrwürdigen “Queen Elizabeth Hotel”, in dem John Lennon und Yoko Ono ihr berühmtes “Bed-In” zelebrierten.

Ein Teil der Montrealer Innenstadt war komplett gesperrt. Gut eine Stunde vor den Trauerfeierlichkeiten fuhren die ersten Limousinen vor. Es sollten Dutzende von ihnen werden. Mit Sportstars aus ganz Nordamerika, Gesellschaftspromis und Politikern. 

Selbst Premierminister Justin Trudeau ließ es sich nicht nehmen, der “Blume”, wie Guy Lafleur in Anlehnung seines Nachnamens genannt wurde, die letzte Ehre zu erweisen.

Zuvor war der Sarg mit Guy Lafleur zwei Tage hintereinander in der Eishockey-Arena „Bell Centre“ aufgebahrt. Tausende harrten stundenlang aus, um ihrem Idol endlich ganz nahe zu kommen – etwas, das den meisten von ihnen zu Lebzeiten als Normalsterbliche wohl nicht vergönnt gewesen war.

Die Fans, die gekommen waren, um dem großen Guy ihre Referenz zu erweisen, säumten schon Stunden vor den Trauerfeierlichkeiten den Boulevard René Lévesque. Sie machten es sich in Hockey-Trikots mit der Nummer 10 in Campingstühlen bequem, brachten Nachbildungen der vielen Stanley-Pokale mit, die der einstige Hockeystar mit den “Montreal Canadiens” gewonnen hatte und tauschten untereinander Geschichten über diesen Mann aus, den alle zu lieben schienen.

Sie brachen in “Guy! Guy! Guy!”-Jubelrufe aus, applaudierten, als der Leichenwagen vorfuhr, skandierten im Chor “Merci Guy!” – so, als wäre “die Blume” noch immer auf dem Eis und nicht in einem schwarzen Sarg.

Ich habe nie ein Spiel mit Guy Lafleur gesehen. Aber auch als Nicht-Eishockeyfan wusste ich schon früh um den legendären Ruf dieses Mannes, der, glaubt man den Medien, bis zum Tod frei von Skandalen geblieben war.

Das Begräbnis, an dem ich den ganzen Vormittag über teilnahm, stimmte mich traurig. Natürlich auch wegen des Ablebens dieses bestimmt wunderbaren Menschen, den ich ja gar nicht kannte. 

Es machte mich aber vor allem betrübt, weil die wahren Fans draußen vor der (Kirchen-)Tür bleiben mussten, während sich drinnen Promis, Politiker, Stars und Sternchen versammelten, von denen vermutlich nicht alle etwas mit der Legende Guy Lafleurs am Hut  hatten. 

Diejenigen, die diesem einzigarten Eishockeyspieler in ihrem Leben noch nie so nahe gekommen sind wie heute, mussten auf Riesenleinwänden zuschauen, wir ihr Idol zu Grabe getragen wurde.

NACHTRAG: Eben lässt mich mein Freund Marc wissen, dass laut „Radio Canada“ doch noch 120 Menschen, die nicht in der Óffentlichkeit stehen, Platz in der Basilika gefunden haben. Immerhin.

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