
Man trifft sich und begrüßt sich mit Küsschen, als hätte man sich zum Shoppen verabredet. Ob links, rechts oder links-rechts-links spielt keine Rolle. IKEA-Küsschen eben. Heute in den BLOGHAUSGESCHICHTEN: People Watching vom Ledersofa aus des wohl bestbesuchten Restaurants der Stadt.
Ein Pärchen, viel zu jung für sowas, diskutiert bei Cola und Meatballs und Zimtschnecken zum Nachtisch, ob “Sundvik” oder “Gulliver” besser als Wickeltisch geeignet wäre. Sie entscheiden sich für “Gulliver”. Mann triumphiert leise, Frau ist sichtlich betrübt. “Sundvik” wäre schon schöner gewesen”, sagt sie “Aber du hast recht, 200 Dollar Preisunterschied sind schon gewaltig”. Mann streichelt Frau großherzig über das schwangere Bäuchlein. Beim nächsten Kind wird alles besser.
Der freundliche Kerl mit Dutt auf dem Kopf und gelbem “Hej” auf blauem T-Shirt begrüßt mich tatsächlich mit “Hi”, was sich heute ziemlich Schwedisch anhört. Er wischt mit Schwung über die abgeräumten Tische und lächelt mich an. Ich glaube, er beneidet mich ein bisschen. Es ist Sonntag und ich habe mir als Rentner den Luxus verdient, anderen Menschen beim Arbeiten zuschauen zu dürfen.
Vier Frauen mit körperlangen Kleidern nehmen neben mir Platz. Abayas aus feinem Tuch und wunderschönen Hidschabs in allen Farben. Es wird viel diskutiert und wenig gegessen. Als dann die Männer des Hauses auftauchen, wird immer noch wenig gegessen, dafür aber noch mehr diskutiert. Ich schätze, es ging um mehr als das Billy-Regal. Das gibt es übrigens nach langer Pause seit Juli wieder im Angebot, lerne ich beim Durchblättern des Flyers.
Hat jemand, der am Sonntagnachmittag nichts Besseres zu tun hat als andere Menschen beim Schimpfen, Loben, Sparen, Essen und Trinken zu belauschen, die Kontrolle über sein Leben verloren, wie Karl Lagerfeld vielleicht sagen würde? Mit nichten. Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Voyeur?
Ich überlege, ob es nicht sogar ein Marketing-Coup von IKEA ist, die Ledersofas strategisch in Hörnähe zum Tischnachbarn aufzustellen. Motto: Wer anderen beim Einkaufs-Plausch zuhört, könnte selbst Lust auf Shoppen bekommen.
Das macht übrigens heute die Frau an meiner Seite. Sie weiss, was sie will, diskutiert nicht lange und kennt, wenn’s sein muss, auch den Unterschied zwischen Brimmes, Gladom oder Knarrevik und auch die dazu gehörigen Preise.
Gegessen wird zu Hause. Und Streicheleinheiten gibt’s nicht fürs Sparen, sondern weil sie schon nach zweieinhalb Stunden fertig ist mit Shoppen. Fix und fertig.
Schade eigentlich. Ausgerechnet jetzt, wo am Nebentisch über Vor- und Nachteile von schmalen Betten geredet wird.
Über IKEA-Besuche könnte man Bücher füllen. Für mich gibt es nichts besseres, für meinen Mann ist es die reinste Tortur. Aber wo sonst kann man zwischenmenschliche Dramen so hervorragend beobachten und belauschen? Tränen, Euphorie, Diplomatie, Verzweiflung – das ganze Spektrum. Hier gibt es schmerzliche Trennungen, ekstatische Vorfreude, probeliegende Menschen, verschwundene Kinder und vor allem schwer lenkbare und mit zu hohen Pflanzen beladene Einkaufswagen. Einfach nur köstlich! Ich wünsche dir ganz viel Spaß und ganz viel Zeit bei deinem nächsten IKEA-Besuch. Viele Grüße aus dem Land dieser genialen Erfindung!
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