Sonntagsbraten und Filterkaffee

Schlepper auf Mallorca sind toll. Das sind die Jungs und Mädels, die dafür bezahlt werden, Leute in ein Lokal zu locken, in das sie ohne Not selbst nie gehen würden.

Ich kann mir beispielsweise schwer vorstellen, dass der Kerl, der mit Tattoo und Ohrring an der Strandpromenade von S’Arenal „Filterkaffee und hausgemachten Apfelkuchen“ anpreist, gern in einem verplüschten Lokal sitzt, dessen weinrote Samtbestuhlung die meisten unter Hundertjährigen in die Flucht schlägt.

Gerade deshalb finde ich diese Animateure toll. Sie müssen ein Produkt verkaufen, das ziemlich weit weg ist von dem, was sie selber antörnt. Da ist Fantasie gefragt. Es genügt nicht einfach, dem vorbeimarschierenden Touristen ein Visitenkärtchen mit den Öffnungszeiten des zu bewerbenden Lokals in die Hand zu drücken. Da müssen Sprüche her. Kalauer, die schon so zopfig sind, dass man sie gerne unter der Sprachkategorie „kultig“ abspeichern möchte.

„Na, Ihr Frischverliebten? Tässchen Filterkaffee gefällig?“ Jetzt mögen wir zwar mit um die sechzig noch einigermaßen verliebt sein. Aber frisch? Hmmm ….

Oder: „Bei uns gibt’s Kaffee und Kuchen wie bei Muttern! Gleich hier um die Ecke rechts!“ Wie bei Muttern? Entschuldigung, aber meine Mutter wäre jetzt um die 105. Wie Mamas Käsesahne schmeckte, kann der Junge am Ballermann gar nicht wissen. Nicht mal annähernd. Rührend, wie er sich linguistisch in eine andere Generation hineinmogelt.

Hübsch fand ich auch den: Zwei Damen um die 70, weiß und vermutlich weise, werden von einer richtig netten Schlepperin mit Arschgeweih angesprochen. „Na, Mädels? Tässchen Filterkaffee gefällig?“

Ich bin bisher noch nicht genau dahinter gekommen, welche Rolle der Filterkaffee auf Mallorca spielt. Vermutlich hat es mit Nostalgie zu tun. Bohnenkaffee, der durch den Melittafilter geschleust wurde, war bei uns jedenfalls dem Sonntag vorbehalten. Wie der Sonntagsbraten und die Stoffservietten.

Hey, Boys and Girls! Hier ist eine Idee fürs Schlepper-Repertoire: „Sonntagsbraten an Stoffservietten, danach frisch gefilterter Bohnenkaffee! mit hausgemachtem Apfelkuchen“. Aber das erinnert dann vielleicht doch zu sehr an das „Frischfleisch in Leder“.

Das gab’s übrigens auf St. Pauli.

Ballermann ohne Ballaballa

Und wo bitte geht’s zum Ballermann? Zur verrufendsten Partymeile Europas? Zum Kotztempel der Balearen? Wo der deutsche Proll in Sandalen und braunen Wollsocken das Bier eimerweise mit dem Strohhalm säuft und dabei Schöne Maid grölt? Wo Jeder Jede in den Schritt fasst und noch schlimmer? Bisher: Fehlanzeige.

Seit fünf Tagen sind wir jetzt auf Mallorca. Aber bis heute habe ich noch keinen Krakeeler gehört, keinen Besoffenen gesehen. Und Sex on the Beach gibt‘s allenfalls auf der Getränkekarte. Und überhaupt: Wo bitte steht Jürgen Drews Bett? Im Kornfeld jedenfalls nicht.

Im Frühjahr ist der Ballermann, oder S’Arenal, wie die Vergnügungsmeile außerhalb von Palma bei den Locals heißt, ein richtig schöner Flecken Erde. Die Invasion der Barbaren kommt bestimmt. Aber bis dahin bin ich längst wieder im kanadischen Busch. So lange genieße ich noch den Blick auf die Traumkulisse von Palma, mit der Kathedrale vorne, dem Yachthafen links und den schneebedeckten Gipfeln des Tramatura-Gebirges zur Rechten.

Es gibt Schlimmeres, als nach einem 15-Kilometer-Walk von Palma nach S’Arenal bei Tapas und Vino Blanco den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Das Ganze bei sommerlichen Temperaturen, im kurzärmeligen Hemd.

Der angeblich so peinliche Paradestrand der Deutschen auf Mallorca ist um diese Jahreszeit blitzsauber. Der Service in den Restaurants könnte nicht besser sein. Und im Vergleich zu Montreal bewegen sich die Preise auf Sommerschlussverkaufs-Niveau. Kein Gedränge auf der fast ausgestorbenen Hauptstraße. Mal abgesehen von ein paar nervigen Radfahrern, die immer noch nicht kapiert haben, dass Sport Mord ist, herrscht hier nur Friede, Freude, Ensaimada.

Ballermann-Bashing? Ohne mich. Zumindest bis jetzt.