Der Himmel ist blau. Wie Lametta glitzert die Sonne im Meer. Und wer genau hinschaut, kann beobachten, wie sich die Schirme der Kite-Surfer in deinem Weinglas spiegeln. An Tagen wie diesen wünschen sich nicht nur Tote Hosen Unendlichkeit.
Doch plötzlich schleicht sich ein Tsunami in dein Leben. Zuerst auf sanften Pfoten, bald schon mit brachialer Gewalt.
Der Tsunami ist klein und dicklich und hat knallrote Haare. Der Tsunami spricht viel zu laut, viel zu schnell und viel zu schwäbisch. Der Tsunami hebt den Sangria-Schwenker und schreit: „Genau deswega send mer auf Malle. Prost!“
Jetzt noch der Ententanz und ich sterbe.
Tsunamis kommen und gehen. Nur dieser Tsunami bleibt. Als die Kellnerin bedauert, mir zum Nachtisch keine Ohropax servieren zu können, plane ich meine Flucht. Soll der rothaarige Tsunami doch ohne mich weiter toben.
Fast hätte ich’s vergessen: Es gibt sie also doch noch, die Ballermänner. Dabei können Ballermänner auch Frauen sein. Um diese Jahreszeit sind sie auf Mallorca noch selten. Die einschlägigen Kneipen in der Gegend von Arenal haben noch gar nicht alle geöffnet. Die Bierstraße muss erst noch auf Vordermann gebracht werden und selbst die Grillmeister schrauben noch an ihren Geräten. Eigentlich eine gute Zeit, nach Arenal an den Strand zu fahren. Ballermann ohne Ballermänner.
„Wo seid ihr her?“ Die Frage kennt jeder, der im Ausland deutsch redet. Gewöhnlich ist es ja auch schön, sich mit anderen Reisenden auszutauschen. Nur eben nicht immer. Und vor allem nicht mit jedem. Aber dafür gibt’s dann ja die Stummtaste. Nur heute will sie nicht funktionieren.
„Woher bisch?“, fragt der rote Tsunami schon wieder. Jetzt ja nicht antworten!, fährt es mir durch den Kopf. Gleich gar nicht im angeborenen und sonst durchaus geschätzten Dialekt. Schwäbisch könnte jetzt verheerende Folgen haben, denn die landsmannschaftliche Verbundenheit mit dieser lautstarken Sangria-Vernichterin lässt sich rein sprachlich gesehen nicht leugnen.
„Komm scho, woher kommet’r?“ – „Berlin„, sagt mein Ballermann-Begleiter wahrheitsgemäß, auch wenn er dort seit 45 Jahren nicht mehr wohnt. Und ich bin fürs Erste gerrettet. Mein Kumpel, ein Berliner aus New-York, mit jahrelanger Erfahrung im tiefsten Afrika, ist seit einigen Jahren „Residente“ auf Mallorca. Und hat die zündende Idee.
Er hängt jetzt einem „100%-echt-Rolex“-Verkäufer aus dem Senegal ein Gespräch auf. Er parliert englisch, französisch und wenn’s sein muss auch noch polnisch rückwärts mit dem Mann. Verstehen tut’s keiner so richtig, ist aber nicht weiter schlimm. Die Konversation erfüllt trotzdem ihren Zweck: Der rote Tsunami schweigt. Erstarrt über so viel Kommunikationsvermögen in so vielen Sprachen hat es ihm die eigene Sprache verschlagen.
Auf leisen Pfoten, wie er gekommen war, zieht der Tsunami wieder ab. Sanft weht das rote Haar im Wind.