Zeit für ein Geständnis: Ich bin Kanadier. Und Deutscher. Zwei Staatsbürgerschaften, zwei Pässe. Und nach 30 Jahren immer noch zwei Herzen, die in einer Brust schlagen. Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man in Kanada zu-Hause ist, aber in Deutschland da-Heim? Wenn ich das nur wüsste.
Zu-Hause bin ich in Kanada, weil hier mein Haus steht. Da-Heim bin ich in Deutschland, weil es für mich Heimat ist. Steige ich in Frankfurt aus dem Flieger, kommt sofort dieses Hier-gehörst-du-hin-egal-was-kommt-Gefühl auf. Das hat weniger mit Sprache, Menschen oder Gerüchen zu tun. Die unterscheiden sich im Frankfurter Flughafen ohnehin kaum von denen in Barcelona, Toronto oder Buenos Aires. Es ist ein Bauchgefühl. Und weil mein Bauch ziemlich groß ist, ist es ein ziemlich großes Gefühl.
Wo man zu-Hause ist, muss man nicht auch da-Heim sein

Da-Heim: Ummendorf
Obwohl ich mittlerweile länger im Ausland lebe als in Deutschland, könnte ich nicht behaupten, dass ich dieses Hier-gehörst-du-hin-egal-was-kommt-Gefühl auch bei der Rückkehr nach Montréal empfinde. Trotzdem freue ich mich jedesmal, wenn ich wieder zu-Hause bin. Sehr sogar. Aber da-Heim ist irgendwie schöner. Ein Dilemma, also. Manchmal machen mich diese beiden Herzen in meiner Brust traurig und ich würde gerne eines davon an der Garderobe abgeben. Aber welches? Und an welcher Garderobe?
Und immer wieder die Frage: „Was sind wir denn heute?“

Zu-Hause: Montréal
Mein bester Freund hier in Kanada, ein deutscher Kollege ohne kanadischen Pass, der leider viel zu früh verstorben ist, pflegte seine Telefonate mit mir stets mit der Frage einzuleiten: “Was sind wir denn heute?” Ob ich mich in diesem Moment als Kanadier oder Deutscher fühlte, hing oft von der Tagestemperatur ab, oder von der Zahl der Moskitostiche, die ich abbekommen hatte. Oder auch davon, was ich gerade in der Zeitung gelesen hatte. War etwa die Rede davon, dass Kanada ein 30 Jahre altes Kernkraftwerk für zwei Milliarden Dollar auf Vordermann bringen werde, hätte ich meinen kanadischen Pass am liebsten geschreddert. Als einer, der Anti-AKW-Menschenketten nicht vom Hörensagen kennt, sondern dabei war, schämte ich mich sogar ein bisschen für meine kanadischen Landsleute. Und damit für mich. Und hoffte inbrünstig, dass meine deutschen Freunde einen publizierten Schwachsinn wie diesen nicht zu Gesicht bekommen. Sie könnten ja denken, ich sei im rückschrittlichsten Land der Welt gelandet, gleich hinter Syrien.
Ich würde mich gerne aus diesem Wir-Gefühl ausklinken

Ich will nicht wir sein
Umgekehrt zielt das Fremdschämen natürlich auch in die Gegenrichtung. Als die Headline “Wir sind Papst” auch in kanadischen Zeitungen die Runde machte, hätte ich mich ob so viel Wir-Gefühl gerne ausgeklinkt. Ich will nämlich gar nicht Papst sein. Als Auslandsdeutscher ist man gut beraten, Fingerspitzengefühl im Umgang mit der Gastgeber-Nation walten zu lassen. Das fällt nicht immer ganz leicht. Ein deutscher Kollege charakterisierte im Kreis kanadischer Journalisten den Deutschen an sich einmal so: “Besserwisser und besserwissend”. Das war mir peinlich.
„… und Deutschen, die im Ausland sind“
Doch die Nabelschau kann auch in die andere Richtung gehen. Auf der Toilette des Deutschen Klubs von Winnipeg habe ich gleich zu Beginn meiner Kanada-Zeit ein Graffito gelesen, das mir seither nicht mehr aus dem Kopf will: “Gott schütze mich vor Sturm und Wind und Deutschen, die im Ausland sind.” Und da wir gerade am Zitieren sind: Ich glaube, es war Franz-Josef Degenhardt. Er hat den Zwiespalt, mit dem viele Auslandsdeutsche leben müssen, ganz gut auf den Punkt gebracht hat. In einer seiner Balladen kommt der Satz vor: “Hier bin ich am liebsten. Aber noch lieber wäre ich hier.”
Da wären wir wieder bei den zwei Herzen.