Ein Leben im Ausland ist ein Leben voller Kompromisse. Das gilt auch für Freundschaften. Wenn einer geht und der andere bleibt, kannst du Freundschaften nur bedingt in dein neues Leben hinüber retten. „Friends“ habe ich in Kanada jede Menge gefunden. Aber was ist schon ein „Friend“ im Vergleich zu einem Freund!
Es gibt sie noch, die „Freunde fürs Leben”. Drei, vier davon sind mir in Deutschland nach meiner Auswanderung geblieben. Dabei hatte ich mir damals fest vorgenommen, mit allen Menschen, die mir etwas bedeuten, für immer und ewig Kontakt zu halten. Doch dann schlüpfen sie dir irgendwann durch das Fischnetz des Lebens. Nicht, weil sie dir nichts mehr bedeutet hätten. Sondern, weil Freundschaften zu verwalten irgendwann zu einem Job wird. Und das kann es ja nicht gewesen sein.
Richtig dicke Freundschaften sind organisch mit dir gewachsen
Mit den richtig guten Freunden ist das anders. Wir mailen uns und skypen und telefonieren und freuen uns, wenn wir uns sehen. An solchen Freundschaften musst du arbeiten, sonst entgleiten sie dir. Richtig dicke Freundschaften sind organisch mit dir gewachsen. Manche Menschen, von denen du als Freund gegangen bist, werden im Laufe der Jahre zu Bekannten. Oder bleiben dir einfach als nette Kollegen im Gedächtnis. Auch sehr schön. Aber Freunde?
Wohl kaum ein anderes Wort der englischen Sprache ist in der direkten Übersetzung so irreführend wie „Friends“. „Friends“ habe ich in Kanada jede Menge. Und auch ein paar richtig gute Freunde. Ein Freund ist einer, dem ich nicht nur die Höhe meines Blutdrucks anvertrauen möchte. Er ist vor allem einer, der sich auch dafür interessiert. Einem „Friend“ erzähle ich gerade noch vom neuesten eBook, das ich zurzeit lese.
Mitleid kriegst du umsonst. Neid musst du dir verdienen.
Ein „Freund“ meldet sich bei mir nicht nur, wenn er gerade eine Telefonnummer braucht. Oder plant, demnächst ein paar nette Tage in Montréal zu verbringen. Er ist immer an deinem Leben interessiert. Und du an seinem. Umgekehrt zuckt ein „Friend“ schon mal innerlich zusammen, wenn ich ihm oder ihr erzähle, dass wir den kanadischen Winter dick haben und deshalb zeitweise nach Mallorca ziehen. So ist das halt mal: Mitleid kriegst du umsonst. Neid musst du dir verdienen.
Jeder meiner kanadischen „Friends“ hat viele andere „Friends“. Meine deutschen Freunde haben dagegen, ähnlich wie ich, nur zwei, drei Freunde. In Kanada hast du einen „Friend“ für den Sport, einen für die Musik, einen weiteren fürs Kino. Und wenn’s hoch kommt noch einen, mit dem du gerne essen gehst, weil er den Unterschied zwischen Ingwer und Zitronengras kennt. Und natürlich kenne ich jede Menge „Friends“, die sich gegenseitig bei Facebook adden.
Und sich irgendwann wundern, dass sie beim Umzug alleine vor gepackten Kisten stehen.