Montréal und die Mafia

Was ist nur los mit meinem geliebten Montreal? Erst waren es die Hells Angels, die jahrelang für Unruhe sorgten und ihre Gegner in Mörtel einbetonierten, um sie dann im St. Lorenz-Strom verschwinden lassen. Dann kam die sizilianische Mafia, die hier einen blitzgefährlichen Clan unterhält. Und jetzt brodelt es auch noch im Rathaus. Der Oberbürgermeister von Kanadas zweitgrößter Stadt ist eben zurückgetreten. Offenbar reichten die Klauen der Mafia bis ins Rathaus. Es geht um Schmiergelder.

Erst am Samstag war ein Ober-Mafioso in der Hofeinfahrt vor seinem Haus in den Suburbs erschossen worden. Gut ein Dutzend weitere Mafiosi wurden in den letzten fünf, sechs Jahren umgelegt. Dazu kommen jede Menge Molotow-Bomben, die auf italienische Restaurants und Eiscafés geschleudert wurden. Machtkämpfe zwischen diversen sizilianischen Clans.

Dass die Ballermänner ausgerechnet in Montreal zuschlagen, hat mit der starken italienischen Volksgruppe zu tun, die sich hier niedergelassen hat. Mehr als eine Viertelmillion Menschen italienischer Abstammung leben hier. Dagegen sind die 40-tausend Deutschen ein verschwindend kleiner und friedlicher Haufen.

Straßen und Brücken bröckeln

Montrealer Rathaus

Dass die Streithähne irgendwann auch das Rathaus erreichen würden, war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Jetzt ist es also so weit. Weil sich die Vorwürfe wegen krimineller Machenschaften bei der Montrealer Stadtverwaltung häuften, wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt. Sie soll klären, warum beispielsweise Straßenbauarbeiten in Montreal grundsätzlich zwischen 10 und 15 Prozent mehr kosten als in anderen Teilen Kanadas. Und warum Straßen und Brücken bröckeln, kaum dass der Beton getrocknet ist.

Des Rätsels Lösung scheint bei der Mafia zu liegen. Die kontrolliert hier die meisten Bauunternehmen und schaffte es offensichtlich über Jahrzehnte hinweg, einige der Stadtoberen mit Luxusreisen und Geldgeschenken bei Laune zu halten. Ein inzwischen pensionierter Rathaus-Bediensteter berichtete vor dem Untersuchungsausschuss, wie ihm die Mafia bündelweise Bargeld in braunen Papiertüten regelrecht aufgedrängt habe.

„Schön, eine Familie zu haben. So lange sie noch lebt“

Als Dank für die Geldgeschenke seien Unternehmen, die sich in der Hand der Mafia befinden, stets bevorzugt behandelt worden. „Wir hatten keine Wahl“, gab der Mann bei der Anhörung zu Protokoll. In einem der Bestechungsschreiben habe es geheißen: Es sei doch etwas Schönes, als städtischer Bediensteter eine Familie zu haben, „so lange sie noch lebt“.

Die Tresortür klemmte: Zu viele Scheine!

Rücktritt: OB Gerald Tremblay – Foto: CTV

Als jetzt bei den Hearings auch der Oberbürgermeister der Dreieinhalb-Millionen-Stadt direkt mit den Schmiergeldern in Verbindung gebracht wurde, nahm er seinen Hut. Ob er selbst von der Kohle profitierte oder nur ein Auge zudrückte, wenn die braunen Umschläge das Rathaus, bzw. seine Partei erreichten, steht noch nicht fest. Nur so viel: Die Sizilianer in Montreal sorgten mit ihren Geldgeschenken dafür, dass ein städtischer Angestellter einmal den Hausmeister um Hilfe rufen musste, weil er die gepanzerte Tür des Haupttresors wegen der vielen Scheine nicht mehr zubekam. Das ist nicht etwa bildlich zu verstehen, sondern Fakt.

Noch kein Nachfolge-Kandidat für den OB: „Viele haben Angst“

Wie viel der Oberbürgermeister vom italienischen Geldregen wusste, ob er etwas dagegen unternahm und wenn ja, was – das alles muss noch geklärt werden. Das Vertrauen zwischen der Montrealer Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und der Bevölkerung ist erst einmal beim Teufel. Einen Nachfolger fuer den zurückgetretenen OB zu finden, dürfte angesichts des Drucks der Mafia nicht einfach werden. Ein potentieller Kandidat bringt die derzeitige Stimmung auf den Punkt: „Viele haben Angst“.