Ein junger Deutscher in Montreal, nennen wir ihn Florian, hatte den Canada-Blog gelesen und höflich angefragt, ob wir uns mal treffen könnten. Es passte. Bei Juliette & Chocolat haben wir über das Leben in Kanada geredet, über die Korruption in Quebec und auch darüber, was für eine coole Stadt Montreal ist. Auch von Heimweh war viel die Rede.
Florian war 24, als er nach Kanada kam. Genau so alt wie ich, als ich 1973 in Winnipeg landete. Heute ist Florian 27 und hadert mit seinem Gastland. Auch ich war 27, als ich drei Jahre nach meiner Einreise wieder nach Deutschland zurück gegangen bin, nur um vier Jahre später schon wieder bei den kanadischen Einwanderungsbehörden anzuklopfen. Ich war verwirrt.
Florian: „Integriert und irgendwie angekommen“
Auch Florian ist verwirrt. Und ein bisschen verzweifelt: „Ich habe einen guten Job“, schrieb er mir im Vorfeld unseres Treffens, „eine Freundin, ein relativ neues Auto und auch schon etwas Geld für mein zukünftiges Haus auf der Seite“. Deutsche Freunde und Bekanntschaften habe er kaum, schließlich spreche er fließend Französisch und Englisch, isoliert fühle er sich kein bisschen. „Super, man würde also meinen, ich sei integriert, irgendwie angekommen“.
Alles, was er in seiner Mail schon geschrieben hatte, sprudelt ein paar Tage später auch bei „Juliette & Chocolat“ wieder aus ihm heraus. Drei Jahre lang habe er über die Korruption in Quebec hinweggesehen, über „Land unter“, wenn mal wieder ein bisschen Regen fällt und über bröckelnde Brücken und Straßen.
Kein Canada-Bashing, nur die Wahrheit
„Sie sprechen mir aus der Seele“ schreibt und sagt Florian, „jede Ihrer Erfahrungen kann ich teilen“. Canada-Bashing liegt Florian fern, im Gegenteil: „Ich liebe die Landschaft, die Entspanntheit der Leute. Die Möglichkeit, von einem Tag auf den anderen den Job wechseln zu können, Aufstiegschancen zu haben. Zwei Stunden mit dem Auto zu fahren, und am Lac Mont Tremblant den wundervollen Herbst genießen zu können“.
Doch dann kommt der Augenöffner: „Als mir das Ausmaß der Missorganistion im Gesundheitssystem begreiflich wird … Wo ich das erste Mal zum Zahnarzt, Hautarzt, oder zum Generalisten muss. Wo ich eine Notfallaufnahme gesehen habe, und die „besseren“ Krankenhäuser … da wird mir ganz anders. Ich dachte immer, alles sei im Leben für mich verhandelbar. Meine Rente, meine Sicherheit, mein Gehalt. Nur bei meiner Gesundheit, da hört es für mich auf. Ich habe Angst“.
Er habe in Frankreich gelebt und in Polen. Einer seiner Kollegen sei Ukrainer. „Es mag in Osteuropa genug Probleme geben“, sagt Florian, „das Gesundheitssystem gehört definitiv nicht dazu“.
Unverständnis bei den Freunden
„Ich schreibe Ihnen, weil ich Hilfe brauche“. Er habe das Gefühl, dass niemand seine Probleme verstehen könne. „Meine Freunde aus Quebec verstehen mich nicht, weil sie kein besseres Gesundheitssystem kennen, keine besseren Straßen. Meine anderen europäischen Freunde hier verstehen mich nicht, weil sie nicht aus Deutschland kommen“. Der Blogger, meint Florian, müsse es blicken.
Die Enttäuschung über das Gesundheitssystem und über vieles andere lasse ihn daran zweifeln, ob er hier eine Familie gründen möchte.
„Letztlich wende ich mich Ihnen aus der Verzweiflung heraus zu, an einem Scheideweg zu stehen. Vielleicht können wir uns ja auch auf einen Kaffee treffen“.
Die neue Heimat auf dem Prüfstand
Den Kaffee haben wir zusammen getrunken. Florians Frustration, seine Zweifel an seiner Entscheidung und auch an der neuen Heimat Quebec – das alles konnte ich ihm nicht nehmen. Wir sind beide der Meinung, Quebec-Bashing könne nicht die Antwort sein. Und doch kommt man als Auswanderer nicht umhin, die neue Heimat hin und wieder auf den Prüfstand zu stellen. Mehr nicht.