Was Sie oben sehen, ist ein Wort in Inuktitut, der Sprache der Inuit, oder Eskimo wie sie vor dem Zeitalter der political correctness noch hießen. „Eskimo“ heißt Rohfleischfresser und ist angeblich rassistisch. Ich kenne allerdings keinen Inuit, der das auch so sieht. Es waren die Politiker, die den Inuit eingeredet haben, dass „Eskimo“ beleidigend ist. Also nennen sich Eskimos jetzt „Inuit“, also „Mensch“. Das Wort im Banner heißt übrigens „Hilfe!“ Und genau die brauchen kanadische Ureinwohner dringender denn je.
Was gibt es Traurigeres als einen Eskimo im Sombrero? Antwort: Eine Politik, die es zulässt, dass Eskimos mitten in einer Millionenstadt wie Montreal Autofahrer anbetteln müssen. Abend für Abend stehen sie da, immer an derselben Kreuzung in St. Henri. Meistens sind es zwei, manchmal auch drei oder vier. Sie sind manchmal betrunken, oft zugekifft, meistens verdreckt und immer total verloren. Einer von ihnen trägt immer einen Sombrero, auch im Winter.
Wohnungsnot in Kuujjuaq und Kangiqsualujjuaq
Gut tausend Inuit leben zurzeit in Montreal. Das sind tausend zu viel. Sie gehören nicht hierher und sind auch nicht ohne Not von ihren Siedlungen in der kanadischen Arktis in die Inner Cities gekommen. Aber dort, wo sie herkommen, ist kein Platz mehr für sie. Es herrscht Wohnungsnot in Kuujjuaq, Kangiqsualujjuaq oder wie immer die Ureinwohnersiedlungen entlang der Ungava Bay heißen, eineinhalbtausend Kilometer nördlich von Montreal.
Es sei keine Seltenheit, lese ich im „housing report“ der Makivik Corpration, dass sich 15 Männer, Frauen und Kinder ein einziges Zimmer teilen. Das überdachte Loch, das als Plumpsklo dient, teilen sie sich oft mit doppelt so vielen Leuten. Die Makivik Corpration muss es wissen. Es ist eine Organisation, die sich seit Jahren mit den Problemen kanadischer Ureinwohner befasst und dabei immer erstaunlich objektiv und leidenschaftslos geblieben ist.
Alkohol, Alleskleber und andere Drogen
Viele der Inuit wachsen mit Alkohol, gesnifftem Benzin und Alleskleber auf. Sexueller Missbrauch von Inuitkindern ist weit verbreitet, Prügel gehören in vielen Familien zum Alltag. Arbeitsplätze gibt es nur wenige in diesen verlassenen Communities. Das Gesundheitswesen klemmt hinten und vorne. Der Schulbetrieb, wenn er dann überhaupt stattfindet, kann oft nur mit Mühe aufrecht erhalten werden.
Das Ganze ist ein Teufelskreis. Weil sie saufen, prügeln sie. Weil sie prügeln, kommen sie in den Knast. Weil sie im Knast waren, dürfen sie nicht in ihre Siedlungen zurück. Die Spirale ließe sich fortsetzen.
So landen viele von ihnen in Montreal. Oft fängt es mit einem Krankenhausaufenthalt an, für den sie von ihren Siedlungen in den Süden geflogen werden. Sind sie erst einmal hier, wollen viele von ihnen nicht mehr in ihre Dörfer zurück. Oder sie können nicht, weil sie dort geächtet werden.
Bei minus 25 Grad unter der Brücke friert auch der Eskimo
Doch Montreal kann nicht die Lösung sein. Die Suppenküchen der Stadt sind ohnehin zum Bersten voll. Ihre ethnische Herkunft macht es den Inuit schwer, sich hier zu integrieren. Also stehen sie an der Kreuzung und betteln Autofahrer an. Nicht weit von hier habe ich Inuit gesehen, wie sie unter einer Autobahnbrücke ihr Nachtlager aufschlagen. Das mag in Sommer noch erträglich sein. Aber im Winter, bei minus 25 Grad, friert auch ein Eskimo. Manchmal zu Tode.

Ureinwohner in Winnipeg/Manitoba. © Bopp
Der Staat – wieder einmal „der Staat“ – tut wenig, um die Situation zu entschärfen. Und wenn, dann genau das Falsche. Er pumpt Geld in die Ureinwohner-Siedlungen und wundert sich hinterher, dass die Kohle zweckentfremdet ausgegeben wurde. Eine befreundete Geschäftsfrau, die viel im kanadischen Norden unterwegs ist, wurde mehr als einmal Zeuge dieser Misswirtschaft. „Wir haben ihnen nagelneue Häuser hingestellt“, erzählte mir die Bauunternehmerin. „Beim nächsten Besuch waren nur noch Bauruinen übrig“. Die teuren Holzfertighäuser hatten die Ureinwohner abgefackelt, um warm zu haben.
Geld kann nicht die Lösung sein. Aber was dann?
Verallgemeinerungen sind eine gefährliche Sache. Deshalb soll hier auch nicht zu viel mit Klischees und Anekdoten gearbeitet werden. Aber aus eigener Anschauung behaupte ich: Kanada macht im Umgang mit seinen Ureinwohnern noch immer verheerende Fehler. Ich habe die desolaten Zustände in Reservaten gesehen. Und ich werde Abend für Abend Zeuge vor meiner Haustür, wenn bekiffte Inuit im Sombrero Autofahrer anbetteln.
Geld allein kann nicht die Lösung sein. Die Frage ist: Was dann?