Schatten über dem Sonnenzirkus

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© CTV/Cirque du Soleil

Wenn es den Leuten gut geht, sagte mein Vater immer, dann gehen sie in den Zirkus. Geht’s ihnen schlecht, dann gehen sie erst recht in den Zirkus. Jetzt geht es dem Zirkus nicht so gut und 400 Menschen schlecht. Sie verlieren in den nächsten Tagen und Wochen ihren Job.

Wie kann das sein? Eine Milliarde Dollar Umsatz machte der Cirque du Soleil im vergangenen Jahr, 14.2 Millionen Tickets wurden verkauft. Noch nie hatte „le Cirque“, wie die Montrealer ihren Vorzeigezirkus nennen, so viele Produktionen gleichzeitig am Start. Neunzehn sind es zurzeit, von fest installierten Shows in Las Vegas bis zu Aufführungen im Libanon und Korea, in Marokko und Neuseeland.

Starker Dollar, schwacher Kurs: Der Zirkus verliert Geld

Wenn das vor 19 Jahren aufgebaute Unternehmen jetzt trotzdem den Gürtel enger schnallen muss, dann liegt das angeblich am starken kanadischen Dollar. Die meisten Beschäftigten, nämlich 2000, arbeiten in Montreal, müssen aber mit Geld bezahlt werden, das zu 99 Prozent im Ausland erwirtschaftet wird. Allein der durch einen ungünstigen Wechselkurs bedingte Verlust liegt bei 3 Millionen Dollar pro Jahr.

Drei Millionen sind eine Menge Geld. Aber Peanuts im Vergleich zu dem, was der Gründer und Eigentümer des Cirque du Soleil mal so kurz für eine Reise ins All ausgibt. 30 Millionen Dollar habe sich Guy Lalilberté das Abenteuer kosten lassen, an Bord einer Weltraumkapsel mitfliegen zu dürfen, heißt es.

Zu teuer für eine vierköpfge Familie

Egal. Es ist seine Kohle und er war es, der aus einer Chaotentruppe von Feuerspuckern, Fakiren und Rasierklingenschluckern ein Unternehmen von Weltruf aus dem Boden gestampft hat. Nur: Hat Monsieur Laliberté eigentlich vergessen, wie lange eine Familie mit zwei Kindern arbeiten muss, um sich die 400 Dollar für ein paar Stunden in der Manege leisten zu können?

Die Cirque-Vorstellungen, die oft in Montreal Premiere feiern, haben auch uns jahrelang fasziniert. Ob Saltimbanco oder Allegria oder wie sie sonst alle heißen – für uns gehörten die Shows im blau-gelb gestreiften Zelt zu den Highlights des Kultursommers in Montreal. (Ehrlich gesagt waren die Premierentickets umsonst. Als die „deutsche Stimme des Cirque du Soleil“ für Promotion-Videos gab es zum Sprecherhonorar fast immer noch Eintrittskarten für die ganze Familie).

Selbst die Textilfarben werden selbst hergestellt

Dass mein Herz noch immer für diesen wunderbaren Zirkus schlägt, hat noch einen anderen Grund: Selten habe ich in meinem Reporterleben Menschen getroffen, die mit einer solchen Begeisterung bei der Sache waren. Für eine Hörfunk-Reportage über den Cirque du Soleil bekam ich eine Führung durch die Montrealer Zentrale. Ich sah die Kostümnäherinnen und die Schuhmacher, die Gürtelschneider und Kettenschweisser.

Und ich aß mit Hochseilakrobaten und Zirkusmusikern im hauseigenen Restaurant, in dem ein Sternekoch den Löffel schwingt. Alles, wirklich alles, das zu einer Vorstellung gehört, stellt Le Cirque selbst her. Selbst der Farbstoff, mit dem die Kostüme der Akrobaten und Tänzerinnen eingefärbt werden, stammt aus eigener Produktion.

Guy Laliberté mag die Idee für dieses geniale Spektakel gehabt haben. Aber es sind die Menschen, die den „Zirkus ohne Tiere“ zu dem gemacht haben, was er heute ist: Ein Spasskonzern, der Tausende beschäftigt und Millionen beglückt. Vielleicht gelingt es Monsieur Laliberté ja doch noch, die Massenentlassungen zu verhindern. Verdient hätte es der Sonnenzirkus.

>>>   Hier geht’s zu meiner Hörfunkreportage über den Cirque du Soleil   <<<

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