Szenen eines kleinen Künstlerlebens: Erst die Filmrolle im vorigen Herbst. Dann ein (erfolgloses) Foto-Casting für eine Werbekampagne. Und jetzt der Anruf der Agentin: Studiotermin für eine Sprecherrolle.
Das umständliche Auswahlverfahren möchte sich der Auftraggeber für das Firmenvideo ersparen. Er hatte sich bereits im Internet schlau gehört. Der Job ist mein. Eine Trefferquote von 2:1 im Talentwettbewerb reicht zwar nicht ganz fürs Dschungelcamp, kann sich aber in der Kreisliga, in der ich spiele, durchaus sehen lassen, finde ich.
Opa war mal Filmschauspieler
Das vertrackte Beziehungsdrama, in dem ich im Oktober die Rolle eines deutschen Regisseurs spielen durfte, wird zurzeit geschnitten. Im Sommer soll der Film fertig sein. Ob Kino, Fernsehen oder Video-on-demand ist mir egal. Wichtig für die Nachfahren ist nur: Opa war mal Filmschauspieler.
Nach dem Dreh in den Bergen war erst mal Pause. Zeit für das richtige Leben: Job, Steuerkram, Reisevorbereitungen. Dann, als der Film schon wieder ganz weit weg war: Anruf der Agentin: Fotoshoting für ein Energieunternehmen.
Wie war das nochmal mit dem Brustumfang?
Casting in einem schicken Fabrikloft in Griffintown. Jungs mit weißeren Zähnen als ich, Mädels mit besseren Figuren sowieso. Und überhaupt: Was mache ich hier? Während meine Mitbewerber neben mir virtuos den Fragebogen mit ihren Körpermaßen ausfüllen, bringe ich gerade mal die Schuhgröße zu Papier. Taille: Hab ich eine? Brustumfang: Heftig. Augenfarbe geht klar. Bei der Haarfarbe wird’s schon wieder kompliziert. Braun oder Schwarz? Keines von beidem. Schreiben wir einfach mal „Salt and Pepper“.
Und dann das Shooting. Spätestens als der Stylist um die Abnahme meiner Brille bittet, ist mir klar: Das wird nix mit der Modelkarriere. Mal ehrlich: Wer guckt sich denn im Hochglanzprospekt schon gerne Tränensäcke in Körbchengröße 34a an?
„Die wollen Deinen Akzent!“
Neuer Kunde, neues Glück: „Mach dir nichts draus“, sagt die Agentin nach dem verpeilten Fotoshooting. Ein kanadisches Unternehmen sucht einen Sprecher für eine Firmen-Doku: „You are The Voice!“, macht mir die Agentin Mut. „Mag ja sein“, mime ich den Bedenkenträger, „aber die Stimme hat leider einen Akzent“. Das leuchtet auch der Agentin ein. Also trägt sie dem Kunden unsere Zweifel vor. Und zieht die Bewerbung für die Sprecherrolle wieder zurück.
Wenig später dann das Unfassbare: „Du hast den Job. Der Akzent! Die wollen deinen Akzent!“
Schon klar: Fremdsprachliche Akzente sind zurzeit beliebt wie nie zuvor. Der populärste DJ im Radiosender meines Herzens moderiert in einem Britisch, das die Queen alt aussehen lässt. Im englischsprachigen Fernsehen hier in Montreal gewinnen immer mehr Frankokanadier die Charme-Offensive. Und natürlich machen Akzente und fremde Sprachen auch nicht vor der Werbung Halt.
„Das Auto“, sagt eine sonore deutsche Stimme am Ende des kanadischen Werbespots für Volkswagen. Egal ob Englisch oder Französisch. Einfach „das Auto“.
Ein ausgelasteter Herbert: Du wirst keine Zeit mehr haben, Köln zu vermissen. Herzlichen Glückwunsch! Die haben einen guten Geschmack, denn Du hast wirklich ein wunderbare Stimme.
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