Dinner-Einladungen bei unserer Freundin Ute sind immer etwas ganz Besonderes. Allein schon die Anfahrt zu ihrem Haus ist ungewöhnlich: Ute wohnt auf einer Insel, mitten im Sakt-Lorenz-Strom.
Von St. Henri aus geht es mit dem Fahrrad am Atwater Market vorbei. Eine Fußgängerbrücke führt über den Lachine-Kanal. Weiter geht’s über kurvige Gassen und Sträßchen durch das ehemalige Montréaler Arbeiterviertel Verdun, vorbei an stillgelegten Fabriken und schicken Lofts.
Und dann, als hätte der Reiseveranstalter Überstunden gemacht, taucht plötzlich ein Stück Urwald auf, das am Ufer des an dieser Stelle einen Kilometer breiten Sankt-Lorenz-Stroms endet. Dazwischen der Singsang von Vögeln und das Zirpen von Grillen. Auch eine Waschbärenfamlie ist neulich mal behäbig vor unseren Rädern vorbei getippelt.
Über eine schmale Brücke, die parallel zum Rush-Hour-Verkehr der Dreieinhalb-Millionenstadt verläuft, geht es jetzt über den Sankt-Lorenz-Strom nach île des Sœurs. Dort wohnt Ute.
Die Nonnen des Ordens von Notre-Dame haben die knapp vier Quadratkilometer große Insel 250 Jahre lang als Farmland genutzt. Erst in den 50er-Jahren wurde mit der Besiedlung begonnen. Heute zählt Nun’s Island zu den gehobeneren Wohngegenden in Montréal. Rund 18.000 Menschen leben dort.
In der Küche ihres Reihenhauses zaubert Ute die feinsten Gerichte: Von Mainzer Hausmannskost bis extrem exotisch – nichts, das unserer weitgereisten Freundin fremd wäre. Ihre kulinarischen Kompositionen reichen von Tandoori-Chicken über Gaspacho bis zu Lammfleischbällchen mit Ingwersprenkel. Oder auch Lachs-Tartar mit Kapern und Dill. Oder, wie vor ein paar Tagen, ein Blumenkohlgericht mit zerlaufenem Käse – ein Gaumen- und Augenschmaus, der von der Optik her stark an einen gestülpten Vanillepudding erinnert.
Das Besondere an Utes Speisen: Sie sind nicht etwa in einer raffiniert ausgestatteten Hightech-Küche zubereitet worden. Alles ist hier klein, aber in höchstem Maße funktional. Ein bisschen erinnert mich Utes Küche an die Kochstation eines ICE-Speisewagens, über die ich vor Jahren während einer Fahrt von Basel nach Mannheim als Reporter berichtete. Jeder Handgriff des Küchenchefs war der Geschwindigkeit des Zuges angepasst, alles musste stimmen.
Wie damals im Intercity, so ist auch in Utes Küche kein Platz für Sperenzchen, jeder Millimeter wird genutzt. Ein Tupperware-Turm getrockneter Kräuter kann gar nicht kippen, weil er links und rechts gestützt wird von einem Gerüst aus Schöpfkellen, Brotmessern, Schneebesen, Fleischzangen und Kartoffelstampfern.
Auch Utes Herd ist alles andere als Hightech: Vier Kochplatten, ein Backofen, kein Keramikgedöns. Praktisch, sauber und irgendwo auch ein bisschen Retro.
Ich kenne Luxus-Küchen, an deren Ausstattung Paul Bocuse seine Freude hätte, deren Output sich aber qualitativ im Kentucky-Fried-Chicken-Bereich bewegt.
Bei Ute ist das Gegenteil der Fall. In ihrem Häuschen im Sankt-Lorenz-Strom entstehen auf ein paar Quadratmetern kulinarische Glanzleistungen, die ihre Freunde regelmäßig zum Schwärmen bringen.
Drei Sterne für Chez Ute. Mindestens.
Wenn einem da nicht das Wasser im Munde zusammenläuft… Bitte, wo kann man denn solche Freundinnen abonnieren?
Peter aus Sherbrooke
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