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Dinge erklären zu müssen, die man selber nicht versteht – auch das gehört zu den Aufgaben des Journalisten. An diesem Tag, dem 22. Oktober 2014, trifft die Ansage meines ersten Chefredakteurs voll zu. Wie soll man Menschen erklären, dass ausgerechnet Kanada, eines der friedlichsten Länder der Welt, von (mutmaßlichen) Terroristen angegriffen wird?
Eine Antwort auf diese Frage konnte ich auch dem Fernsehsender n-tv nicht geben. Der hatte mich gleich für zwei Einspielfilme gebeten, über die Hintergründe des Attentats vor dem Parlamentsgebäude in Ottawa zu berichten.
Plötzlich war ich wieder Korrespondent. Dabei hatte ich mir vor Jahren geschworen, nicht mehr tagesaktuell zu arbeiten. „Die Bütt“, wie Journalisten die Plattform für Mikrofon und Kamera nennen, sollte den Jüngeren gehören. Tausende von Hörfunkbeiträgen in 25 Korrespondentenjahren müssten genügen.
Warum der Sinneswandel? Schuld daran ist ein treuer Blogleser, der als Journalist bei n-tv arbeitet. Wir kennen uns nicht, sind uns aber einig, dass Montréal ein guter Platz zum leben und arbeiten ist. Marcel spricht von seiner „Traumstadt“. Er war zum Studium hier.
Marcel war es, der mich unmittelbar nach den Schüssen in einem Livegespräch für seinen Sender um meine Einschätzung gebeten hatte. Meine Einschätzung? Schwer zu sagen. Terrorakte sind nie zu erklären. Wie erklärt man einem Kind, dass sein Vater, ein 24jähriger Soldat aus Hamilton/Ontario, kaltblütig erschossen wurde, während er die friedlichste aller friedlichen Stätten zu bewachen hatte: Das Denkmal für den unbekannten Soldaten vor dem Parlament in Ottawa?
Nach jahrelanger Pause wieder als Korrespondent zu arbeiten, ist ein interessanter Akt der Selbstwahrnehmung. Der Testosteronspiegel schnellt noch immer in die Höhe, wenn das rote Live-Lämpchen angeht. Die Gewalt der Sprache, der Stimme – das alles vergisst man leicht, wenn man statt im Studio jahrelang nur noch in Seminarsälen steht, um aus guten Journalisten noch bessere zu machen. Das Livegespräch verzeiht kein Zögern.
Regelmäßig wieder live aus dem richtigen Leben zu berichten, könnte eine spannende Art sein, den letzten Lebensabschnitt zu bestreiten. Nur leider beinhalten Live-Reortagen allzu häufig Katastrophen und menschliche Schicksale. Und Dinge erklären zu müssen, die man selbst nicht verstanden hat.
Auf all dies kann ich gut verzichten. Der Abschied von der Bütt war schon okay.
Leider sind es doch immer wieder die schlechten Nachrichten, die Katastrophen, die uns freie Journalisten besonders fordern. Und leider sind es nicht selten diese schlechten Nachrichten, die – aufgrund der Nachfrage unserer Redaktionen auf der anderen Seite des Teichs – das Einkommen sichern. Der Icestorm 1998, der Absturz der Swissair-Maschine, Lac Megantic und nun das. Das ist schwer zu ertragen. Und noch schwerer ist es, in den Aufgeregtheiten des Tages zwischen Fakten und Gerüchten zu unterscheiden, Gerüchte, die sehr schnell als Fakten gelten und oft erst mit mehrstündiger Verspätung geradegerückt werden.
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JournalistInnen geht es wie ÄrztInnen: einmal im Beruf, immer im Beruf. Du wirst nie davon loskommen. Deshalb hast Du Dir diesen Beruf ja seinerzeit auch ausgesucht. Schön wäre es noch zu erfahren, wann Du „ausgestrahlt“ wurdest. Vieleicht läßt sich das über N-TV dann ja noch hören.
Mir scheint hinter dem Ganzen eher persönliche Probleme (der beteiligten Personen?) unter dem Deckmantel des Terrorismus zu stecken. Oder aber eine neue Art von Terroristen:ohne Ziel, Sinn und Verstand außer dem einen, durch die Medien zu gehen und die eigene Macht zu genießen mit welcher Ideologie auch immer im Rücken, also die Ebene der IS.
Ich hoffe, Dein nächster Blog bringt hier vielleicht auch ein bißchen Aufklärung. Ansonsten: weiter so, das Feld will bestellt werden, wir alle warten auf (Deine/unsere) Ernte. Danke, daß Du „Deinen“ Job machst. Wer, wenn nicht Du mit Deiner Kanada- und Deutschland-Erfahrung ist besser geeignet, darüber zu berichten?!
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