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Screenshots © La Presse, The Gazette, CTV
Seien wir ehrlich: So richtig viel passiert in Kanada nicht. Das politische Geschehen ist überschaubar, man könnte auch sagen: langweilig. Selbst das mit den Wetter-Extremen ist dank global warming nicht mehr das, was es einmal war. Nagellack beim Trocknen zuzuschauen ist spannender als eine kanadische Nachrichtensendung.
Dann passiert das Unfassbare: Ein Hockeyspieler stirbt! Im gesegneten Alter von 83 Jahren! Eine Legende! Ein Gott! Und plötzlich bekommt der Nachrichten-Konsument den Eindruck: Nach dem Tod von Jean Béliveau wird Kanada nie mehr das sein, was es einmal war.
Nicht falsch verstehen: Wenn gute Menschen gehen, ist es immer zu früh. Monsieur Béllveau war bestimmt ein fantastischer Hockeyspieler und ein genau so großartiger Mensch. Aber muss der arme Mann deshalb gleich tagelang im offenen Sarg in einer der größten Eishockey-Arenen des Landes aufgebahrt werden, im Montrealer Molson-Centre?
Tausende stehen stundenlang in der Bibberkälte, um dem Mann seit zwei Tagen die letzte Ehre zu erweisen. Viele von ihnen mit Hockeyshirts, die nach dem Tod Jean Béliveaus auf den Markt geworfen wurden. Sie tragen, wie der Spieler zu seinen besten Zeiten, die Rückennummer 4.
Und dann die O-Töne: “It was wonderful,“ sagt ein Mann namens Dickie Moore dem Fernsehsender CTV, „I think Jean would love to stand up and say thank you”. Hat Mr. Moore das tatsächlich so gesagt? Ja, hat er. “Jean würde am liebsten aufstehen, um danke zu sagen”.
Man gewöhnt sich langsam daran, dass die Aufmacher in sämtlichen Montrealer Zeitungen seit genau einer Woche fast ausschließlich dem Tod Jean Béliveaus gewidmet sind, die Nachrichtensendungen mit den neuesten Béliveau-Anekdoten beginnen und die Flaggen in Québec auf Halbmast stehen.
Woran ich mich nicht gewöhnen mag, ist dies: Der Eishockeyspieler Jean Béliveau, der vor 43 Jahren das letzte Mal einen Puck gejagt hat, wird ein Staatsbegräbnis erhalten. Ganz offiziell und mit Trauergästen aus aller Welt.
Bei allem Respekt für einen verstorbenen Eishockeystar: Kann es sein, dass im nachrichtenarmen Kanada der Heißhunger auf News den Bick für die Realität leicht vernebelt hat?
R.I.P. Jean Béliveau.
Na ja, jedem Land seine Feiern. Ich erinnere mich noch deutlich der großen Ehrungen für unseren ersten Bundestrainer, Sepp Herberger, die alle in den Medien heftig gefeiert wurden. „Sein“ taktischer Sieg von Bern (1954) gilt in Sportlerkreisen als eigentlicher Gründugnstag der Bundesrepublik Deutschland. Ein Sonderzug holte die Mannschaft ab, es gab den Empfang beim Bundespräsidenten, in Bonn dann den Silbernen Lober als Ehrung beim damaligen Innenminster Gerhard Schröder usw. usw. Bis 1964 blieb er, am Schluß sehr umstrittener, Bundestrainer, ehe er zurücktrat.
Jede der folgenden Ehrungen schmückten unsere Kasseler Provinzialpresse… Auszug aus Wikipedia…
1954: Ehrenbürger der Gemeinde Hohensachsen (heute: Stadt Weinheim)
1957: Goldener Verdienstorden des DFB (höchste deutsche Fußballauszeichnung)
1962: Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland
1967: Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland
1977: Sonderstempel der Post und Gründung der Sepp-Herberger-Stiftung durch den DFB.
1977: Ehrenring der Stadt Mannheim
1997 wurde – im Bahnhof Weinheim – ein ICE-Zug der Deutschen Bahn auf Herbergers Namen getauft; zudem gab die Deutsche Post eine Sondermarke zu 100 Pfennig mit Herbergers Porträt heraus.
Und das ist nur der Trainer nach 1945. Vorher war er bereits heftig aktiv und ist als einer der fünf NSDAP-Mitglieder in die Hall of Frame des DFB aufgenommen worden.
Um anderes als den Sport hat er sich nicht verdient gemacht.
Ich kann die Kanadier verstehen, auch wenn ich auch keine Freundin des Personenkults bin. Warte mal ab, lieber Herbert, an Deinem Sarg werden weniger, aber eindrucksvollere Persönlichkeiten stehen! ;)
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Wusste gar nicht, dass es diesen Jean Béliveau jemals gab, wie kanadisch bin ICH denn?
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Eine sehr befremdliche, ja erschreckende Realität, die Du dort in Canada beschreibst! Während gerade quer durch die EU ein Lkw Konvoi mit den Überresten des Malaysischen Flugs MH17 rollt. Die Trauer und die Umstände, die diese 298 Todesopfer und deren Angehörige begleiten, wären wahrhaftigmindestens ein ebenso wichtiges Dauerthema. Priorität und als Aufmacher, für die kanadischen Zeitungen und TV-Sender weitaus eher nachvollziehbar. Victims were also passengers from Canada and the UK. Ganz zu schweigen von den Verursachern ,und Hintergründen zu dieser Tragödie !
Es bedarf hier einer besonders verstärkten Presseeinwirkung zur Klärung aller begleitenden Umstände ! Damit die Täter schnellstens überführt werden können !
So ‚merkwürdige‘ Berichterstattung hab ich ja weder in den USA noch in der EU bisher erleben müssen. Selbst die Mallorquiner hier in Spanien, fallen dagegen ins Abseits.
(zum Glück;) ) lg. von der Sonneninsel, Rolfo
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