Tolles Land. Schreckliche Politik.

Herzloser Harper: Aislin in der heutigen "Gazette"

Es gab Zeiten, da war Kanada für mich das coolste Land der Welt: Eine fortschrittliche Einwanderungspolitik. Ein weltbekannter Umweltguru namens David Suzuki, der schon von global warming sprach, als viele von uns noch gar nicht wussten, wie man das schreibt. Und ein Premierminister namens Pierre Elliot Trudeau, dessen Frau nach einem Bankett in Havanna kurz mal auf Fidel Castros Tisch tanzte.  Und jetzt? Ein Regierungschef namens Stephen Harper, der, wenn er nicht gerade bei Walmart shoppt, Umweltbestimmungen aushebelt und Waffengesetze lockert. Der Zuschüsse für Kulturprogramme kastriert und am liebsten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen würde. Zu links für den Rechten aus Alberta.

So ein Kasperlkabinett haben wir hier nicht verdient. „Schon der Zeitpunkt des Kioto-Austritts Kanadas – nur 48 Stunden nach dem Ende der Konferenz von Durban – ist eine Provokation“, schreibt die Süddeutsche Zeitung heute.

Ein Schutzzaun für fünfeinhalb Millionen Dollar

Es ist mir peinlich, wenn ich sehe, wie ein reiches Land wie Kanada seinen eigenen Bürgern gegenüber so tut, als nage man am Hungertuch. Kaputte Straßen, Brücken die wegen Sicherheitsmängeln gesperrt werden müssen. Eine marode Infrastruktur, monatelange Wartezeiten auf lebenswichtige Operationen und Krankenhäuser die nach Lazarett aussehen. Kuckt die Welt aber dann mal zu, wie  letztes Jahr beim G20-Gipfel in Toronto, dann wird geklotzt. Und wenn es nur mit einem drei Meter hohen Zaun ist, damit den Politikern ja keiner auf die Finger kucken kann. Der Zaun allein hat übrigens 5.5 Millionen Dollar gekostet.

Jean Chrétien

Der ehemalige Premierminister Jean Chrétien bringt es heute auf den Punkt. In einer Weihnachtsbotschaft an seine politischen Freunde warnt er: „Was kommt als nächstes? Nimmt Mr. Harper den Schwulen wieder das Recht zu heiraten? Oder Schwangeren das Recht der Abtreibung? Sind wir wieder dabei, die Todesstrafe einzuführen?“

Die Karawane der Ewiggestrigen zieht vorbei

Jean Chrétien ist ein Liberaler und seine Befürchtungen sind nicht unbegründet. Was die stockkonservative Harper-Regierung in Ottawa fabriziert, macht mir Angst. Es ist, wie wenn man eine Karawane von Ewiggestrigen auf dem Weg ins Mittelalter an sich vorbeiziehen sieht. Wobei das mit dem Vorbeiziehen wörtlich zu nehmen ist. Denn die Konservativen haben im Parlament die absolute Mehrheit. Was also von den Harper-Leuten erst einmal ausgeheckt wurde, ist quasi schon Gesetz. Debattiert wird im Unterhaus lediglich der Form halber. Die sozialdemokratische Opposition macht sich rein optisch gut. Bewegen kann sie absolut nichts. Die Grünen haben es gerade mal mit einer einzigen Abgeordneten ins Parlament geschafft.

Stephen Harper

Sich zu einer konservativen Politik zu bekennen, ist eine Sache. Sich jedoch wegen der öffentlichen Wahrnehmung als fortschrittlich zu gerieren, in Wirklichkeit aber hinterwäldlerischer zu sein als Rübezahl, ist nicht nur unehrlich. Es ist auch in höchstem Maße staatsschädlich. Schon fordert der Grünen-Energieexperte Hans-Josef Fell einen Boykott kanadischen Erdöls. Die konservative Regierung unter Stephen Harper vergrault sich durch ihre antiquierte Pro-Co2-Politik vielleicht nicht unbedingt die Investoren. Gut möglich, dass sogar das Gegenteil der Fall ist. Sie versaut es sich aber vor allem mit jungen ErstwählerInnen, die sich nach einem zaghaften Versuch, Politik zu schnuppern, desillusioniert wieder zurückziehen werden. So hatten sie nämlich nicht gewettet.

Die Konservativen verkriechen sich in ihren Höhlen

Dabei hätte es auch nicht geholfen, am Wahltag das Kleingedruckte zu lesen. Das gab es nämlich nicht. Im Wahlkampf gab sich die Harper-Regierung noch als einigermaßen fortschrittlich und umweltfreundlich aus. Als die absolute Mehrheit dann unter Dach und Fach war, konnten sich die Konservativen wieder in ihren Höhlen verkriechen.

Stimmt: Jedes Land hat die Regierung, die es verdient. Nur: Mit so einer Regierung hatten wohl die wenigsten derer gerechnet, die im Frühjahr für den Harper-Clan stimmten. Diese Augenwischerei muss, wenn schon nicht bestraft, dann zumindest abgestraft werden. Leider sind es bis zur nächsten Wahl noch mehr als drei Jahre. Ein Jammer!

Fremdschämen für Kanada

foto: yukonbay

Es gibt Zeiten, da bin ich richtig stolz darauf, Kanadier zu sein. In den letzten Tagen schäme ich mich allerdings ein bisschen für mein Land. Kanada hat sich beim Gipfel in Durban nämlich wie ein Umweltschwein benommen. Während der Rest der Welt unserem Planeten neue Lebensgeister einzuhauchen versucht, schlägt sich Kanada auf die Seite der Dreckschleudern. Und steigt aus dem Kioto-Protokoll aus.

Stolz bin ich auf Kanada meistens, wenn die USA sich politisch wieder einmal dermaßen daneben benehmen, dass Kanada eigentlich nur besser dastehen kann. Nehmen wir den Irak-Krieg: Ottawa war dagegen und hat den Amis die kalte Schulter gezeigt: Keine kanadische Rakete wurde abgefeuert. Ich hätte pausenlos die kanadische Flagge schwenken können.

Harper am Zügel der Wirtschaft - Foto: dapd

Umgekehrt könnte ich die Regierung in Ottawa zurzeit genauso pausenlos an die Wand nageln. Wer Bilder von verzweifelten Eisbären sieht, die unter den Tatzen keinen Halt mehr haben, weil ihnen das Softeis wegschmilzt, muss sich fragen, ob den Politikern eigentlich das Hirn eingefroren ist. Selbst China wundert sich über die Haltung Kanadas, und das will etwas heißen.

Auf den Punkt gebracht: Kanada steigt aus dem Kioto-Protokoll aus. Damit weigert es sich, den Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid gesetzlich zu begrenzen. Dabei hat es 2010 den höchsten CO2-Anstieg gegeben, der je verzeichnet wurde.

Und was macht Kanada? Genehmigt noch kurz vor dem Umweltgipfel in Durban ein neues Teersand-Projekt im Norden der Provinz Alberta. Selbst Leute, die hinter dem Projekt stehen, räumen ein: Jährlich werden eineinhalb Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft gejagt. Das entspricht dem Dreck von 270 000 Autos.

Wenn ich den kanadischen Umweltminister Peter Kent jetzt sehe, wie er ohne einen Hauch von Selbstzweifel in Durban sein sauberes Kanada verkauft, könnte ich schreien. Vor allem aber habe ich einmal mehr Zweifel an der Integrität nicht nur von Politikern, sondern auch von Journalisten.

Umweltminister Kent - Foto: TheStar

Mr. Kent war nämlich, ehe er von der konservativen Regierung ins Parlament berufen wurde, eines der bekanntesten kanadischen Fernsehgesichter. Stets tief besorgt über die umweltpolitischen Fehlleistungen in Ottawa. So jedenfalls hat er sich im Fernsehen verkauft. Bei diesem Mann hatte auch ich jahrelang das Gefühl: Der tickt wie du. Bei dem ist mein politisches Geiwssen gut aufgehoben. Doch kaum hatte er seinen Studiohocker geräumt und seine Familienfotos auf dem Ministerschreibtisch aufgebaut, war es damit vorbei. Plötzlich schlägt sein Herz für die Politik seines stockkonservativen Premierministers Stephen Harper. Und verteidigt Dreckschleuder-Projekte, die eigentlich jedem Kanadier die Schamesröte ins Gesicht treiben müssten.

Cool, Canada. So macht man sich Freunde.