Toll: Kanada vor Kasachstan!

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Na bitte, geht doch: Endlich hat Kanada wieder einen Superlativ zu verbuchen. Leider geht der mal wieder in die falsche Richtung. Von allen Industrienationen der Welt steht Kanada an letzter Stelle, wenn es um den Klimaschutz geht. „Germanwatch“ hat soeben seinen jährlichen Klimaschutz-Index veröffentlicht. Und Kanada kommt auf Platz 59, gerade noch vor Kasachstan.

Wer sich für Einzelheiten der Index-Bewertung interessiert, sollte den SPIEGEL-Online-Beitrag von heute lesen. Eigentlich sei es gar nicht so erstaunlich, schreibt SPON, dass Kanada unter den Industrienationen das Schlusslicht bilde. Länder, die von ihren eigenen Ressourcen abhängig seien, hätten noch nie ein sonderlich großes Interesse am Klimaschutz gezeigt.

Tolles Team: Helmut Schmidt und Pierre Trudeau

Das ist nur bedingt richtig. Kanada war sehr wohl einmal Vorreiter in Sachen Umwelt- und Klimaschutz. Das liegt allerdings lange zurück, in der Ära des damaligen Premierministers Pierre Trudeau. Dieser hatte, u.a. zusammen mit Helmut Schmidt, den Nord-Süd-Dialog angeschoben. Auch wenn das Kind damals einen anderen Namen hatte als heute: Klimaschutz wurde durchaus groß geschrieben.

Anders heute. Der erzkonservative Premierminister Stephen Harper und sein stockkonservatives Kabinett lassen keine Gelegenheit aus, die Bremse zu ziehen, wenn es um erneuerbare Technologien geht. Und überhaupt: Umweltfreundliches Anzapfen von Ressourcen? Wie soll das denn gehen? Die Teersand-Förderung im Westen Kanadas ist dafür nur ein Horror-Beispiel von vielen.

Wie war das nochmal mit Greenpeace? Und wann?

Was mich schon immer gewundert hat: Warum hält sich eigentlich der Mythos Kanadas als super umweltfreundliches Land so hartnäckig? Dagegen kommt offensichtlich auch keine noch so kritische Berichterstattung an. Vielleicht spielt bei diesem rosaroten Gedankenkonstrukt eine gehörige Portion Erinnerungsoptimismus mit. Immerhin wurde Greenpeace mal hier gegründet.

Wann war das nochmal? 1971? Der Sohn würde sagen: World War Two!

Tolles Land. Schreckliche Politik.

Herzloser Harper: Aislin in der heutigen "Gazette"

Es gab Zeiten, da war Kanada für mich das coolste Land der Welt: Eine fortschrittliche Einwanderungspolitik. Ein weltbekannter Umweltguru namens David Suzuki, der schon von global warming sprach, als viele von uns noch gar nicht wussten, wie man das schreibt. Und ein Premierminister namens Pierre Elliot Trudeau, dessen Frau nach einem Bankett in Havanna kurz mal auf Fidel Castros Tisch tanzte.  Und jetzt? Ein Regierungschef namens Stephen Harper, der, wenn er nicht gerade bei Walmart shoppt, Umweltbestimmungen aushebelt und Waffengesetze lockert. Der Zuschüsse für Kulturprogramme kastriert und am liebsten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen würde. Zu links für den Rechten aus Alberta.

So ein Kasperlkabinett haben wir hier nicht verdient. „Schon der Zeitpunkt des Kioto-Austritts Kanadas – nur 48 Stunden nach dem Ende der Konferenz von Durban – ist eine Provokation“, schreibt die Süddeutsche Zeitung heute.

Ein Schutzzaun für fünfeinhalb Millionen Dollar

Es ist mir peinlich, wenn ich sehe, wie ein reiches Land wie Kanada seinen eigenen Bürgern gegenüber so tut, als nage man am Hungertuch. Kaputte Straßen, Brücken die wegen Sicherheitsmängeln gesperrt werden müssen. Eine marode Infrastruktur, monatelange Wartezeiten auf lebenswichtige Operationen und Krankenhäuser die nach Lazarett aussehen. Kuckt die Welt aber dann mal zu, wie  letztes Jahr beim G20-Gipfel in Toronto, dann wird geklotzt. Und wenn es nur mit einem drei Meter hohen Zaun ist, damit den Politikern ja keiner auf die Finger kucken kann. Der Zaun allein hat übrigens 5.5 Millionen Dollar gekostet.

Jean Chrétien

Der ehemalige Premierminister Jean Chrétien bringt es heute auf den Punkt. In einer Weihnachtsbotschaft an seine politischen Freunde warnt er: „Was kommt als nächstes? Nimmt Mr. Harper den Schwulen wieder das Recht zu heiraten? Oder Schwangeren das Recht der Abtreibung? Sind wir wieder dabei, die Todesstrafe einzuführen?“

Die Karawane der Ewiggestrigen zieht vorbei

Jean Chrétien ist ein Liberaler und seine Befürchtungen sind nicht unbegründet. Was die stockkonservative Harper-Regierung in Ottawa fabriziert, macht mir Angst. Es ist, wie wenn man eine Karawane von Ewiggestrigen auf dem Weg ins Mittelalter an sich vorbeiziehen sieht. Wobei das mit dem Vorbeiziehen wörtlich zu nehmen ist. Denn die Konservativen haben im Parlament die absolute Mehrheit. Was also von den Harper-Leuten erst einmal ausgeheckt wurde, ist quasi schon Gesetz. Debattiert wird im Unterhaus lediglich der Form halber. Die sozialdemokratische Opposition macht sich rein optisch gut. Bewegen kann sie absolut nichts. Die Grünen haben es gerade mal mit einer einzigen Abgeordneten ins Parlament geschafft.

Stephen Harper

Sich zu einer konservativen Politik zu bekennen, ist eine Sache. Sich jedoch wegen der öffentlichen Wahrnehmung als fortschrittlich zu gerieren, in Wirklichkeit aber hinterwäldlerischer zu sein als Rübezahl, ist nicht nur unehrlich. Es ist auch in höchstem Maße staatsschädlich. Schon fordert der Grünen-Energieexperte Hans-Josef Fell einen Boykott kanadischen Erdöls. Die konservative Regierung unter Stephen Harper vergrault sich durch ihre antiquierte Pro-Co2-Politik vielleicht nicht unbedingt die Investoren. Gut möglich, dass sogar das Gegenteil der Fall ist. Sie versaut es sich aber vor allem mit jungen ErstwählerInnen, die sich nach einem zaghaften Versuch, Politik zu schnuppern, desillusioniert wieder zurückziehen werden. So hatten sie nämlich nicht gewettet.

Die Konservativen verkriechen sich in ihren Höhlen

Dabei hätte es auch nicht geholfen, am Wahltag das Kleingedruckte zu lesen. Das gab es nämlich nicht. Im Wahlkampf gab sich die Harper-Regierung noch als einigermaßen fortschrittlich und umweltfreundlich aus. Als die absolute Mehrheit dann unter Dach und Fach war, konnten sich die Konservativen wieder in ihren Höhlen verkriechen.

Stimmt: Jedes Land hat die Regierung, die es verdient. Nur: Mit so einer Regierung hatten wohl die wenigsten derer gerechnet, die im Frühjahr für den Harper-Clan stimmten. Diese Augenwischerei muss, wenn schon nicht bestraft, dann zumindest abgestraft werden. Leider sind es bis zur nächsten Wahl noch mehr als drei Jahre. Ein Jammer!

Fremdschämen für Kanada

foto: yukonbay

Es gibt Zeiten, da bin ich richtig stolz darauf, Kanadier zu sein. In den letzten Tagen schäme ich mich allerdings ein bisschen für mein Land. Kanada hat sich beim Gipfel in Durban nämlich wie ein Umweltschwein benommen. Während der Rest der Welt unserem Planeten neue Lebensgeister einzuhauchen versucht, schlägt sich Kanada auf die Seite der Dreckschleudern. Und steigt aus dem Kioto-Protokoll aus.

Stolz bin ich auf Kanada meistens, wenn die USA sich politisch wieder einmal dermaßen daneben benehmen, dass Kanada eigentlich nur besser dastehen kann. Nehmen wir den Irak-Krieg: Ottawa war dagegen und hat den Amis die kalte Schulter gezeigt: Keine kanadische Rakete wurde abgefeuert. Ich hätte pausenlos die kanadische Flagge schwenken können.

Harper am Zügel der Wirtschaft - Foto: dapd

Umgekehrt könnte ich die Regierung in Ottawa zurzeit genauso pausenlos an die Wand nageln. Wer Bilder von verzweifelten Eisbären sieht, die unter den Tatzen keinen Halt mehr haben, weil ihnen das Softeis wegschmilzt, muss sich fragen, ob den Politikern eigentlich das Hirn eingefroren ist. Selbst China wundert sich über die Haltung Kanadas, und das will etwas heißen.

Auf den Punkt gebracht: Kanada steigt aus dem Kioto-Protokoll aus. Damit weigert es sich, den Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid gesetzlich zu begrenzen. Dabei hat es 2010 den höchsten CO2-Anstieg gegeben, der je verzeichnet wurde.

Und was macht Kanada? Genehmigt noch kurz vor dem Umweltgipfel in Durban ein neues Teersand-Projekt im Norden der Provinz Alberta. Selbst Leute, die hinter dem Projekt stehen, räumen ein: Jährlich werden eineinhalb Millionen Tonnen Treibhausgase in die Luft gejagt. Das entspricht dem Dreck von 270 000 Autos.

Wenn ich den kanadischen Umweltminister Peter Kent jetzt sehe, wie er ohne einen Hauch von Selbstzweifel in Durban sein sauberes Kanada verkauft, könnte ich schreien. Vor allem aber habe ich einmal mehr Zweifel an der Integrität nicht nur von Politikern, sondern auch von Journalisten.

Umweltminister Kent - Foto: TheStar

Mr. Kent war nämlich, ehe er von der konservativen Regierung ins Parlament berufen wurde, eines der bekanntesten kanadischen Fernsehgesichter. Stets tief besorgt über die umweltpolitischen Fehlleistungen in Ottawa. So jedenfalls hat er sich im Fernsehen verkauft. Bei diesem Mann hatte auch ich jahrelang das Gefühl: Der tickt wie du. Bei dem ist mein politisches Geiwssen gut aufgehoben. Doch kaum hatte er seinen Studiohocker geräumt und seine Familienfotos auf dem Ministerschreibtisch aufgebaut, war es damit vorbei. Plötzlich schlägt sein Herz für die Politik seines stockkonservativen Premierministers Stephen Harper. Und verteidigt Dreckschleuder-Projekte, die eigentlich jedem Kanadier die Schamesröte ins Gesicht treiben müssten.

Cool, Canada. So macht man sich Freunde.

Energiesparen? Wir doch nicht!

Darf’s ein bisschen mehr sein? Mehr Wasser? Mehr Strom? Mehr Sprit? Mehr Holz im Kamin? Noch ein bisschen Erdgas gefällig? Kein Problem: Es ist noch Suppe da. Jede Menge sogar. Ein Land wie Kanada, das Ressourcen im Überfluss hat, tut sich schwer im Umgang mit ihnen. Für die meisten Kanadier, die ich kenne, ist Energie sparen ein Fremdwort. Motto: „Wir haben’s doch!“

In vielen kanadischen Einkaufszentren geht der Sommer nahtlos in den Winter über. Eben noch lief die Klimaanlage auf Hochtouren – und schon wird der Schalter auf Heizung umgelegt. Nirgendwo habe ich bei 30 Grad Außenhitze mehr gefroren – und bei minus 25 Grad im Freien mehr geschwitzt – als in kanadischen Kaufhäusern.

Den ökonomischen Umgang mit Energie haben viele Kanadier nie gelernt. Selbst junge, fortschrittlich denkende, intelligente Menschen haben den Schuss noch nicht gehört: Irgendwann versiegt auch im Land mit den größten Süßwasservorräten der Welt die letzte Quelle.

Bruthitze im Winter: Einkaufszentrum

In unserem Wohnviertel hat jedes zweite Haus einen Swimmingpool. Die meisten davon sind beheizt. Selbst jetzt, da die Tagestemperatur kaum noch die 12-Grad-Marke erreicht, dampft es noch aus dem einen oder anderen Schwimmbecken. Die Elektroheizung wärmt das Chlorwasser problemlos auf 25 Grad auf. „Wenn mir danach ist“, sagte mir neulich einer meiner Nachbarn, „dann dürfen’s auch mal 40 Grad Wassertemperatur sein“. Er meinte das wirklich so. Und war dabei richtig stolz.

Ist ja auch verlockend: Das Wasser kommt praktisch zum Nulltarif aus der Leitung. Wasseruhren gibt es nicht. Sie würden jeden Montréaler auf die Palme bringen. Und der Strom aus der Steckdose wird bei Tag und Nacht zum Schnäppchenpreis geliefert. Kein Wunder also, dass die Wohnzimmerlampe oft rund um die Uhr brennt. „Burglar Light„, nennen Kanadier diese Art von Energieverschwendung, mit der angeblich Einbrecher abgeschreckt werden sollen.

Dass es trotz der unvorstellbaren Wasservorräte vor allem im Sommer immer wieder zu Wasser-Engpässen kommt, ist ein weiteres trauriges Kapitel des Buches: „Wie aase ich am besten mit meinen Vorräten?“.

Wassernotstand im Sommer

In der Provinz Québec, in der ich wohne, herrscht Energie-Überfluss. Das zeigt sich schon in den öffentlichen Klos. Kaum ein Hahn, aus dem neben kaltem nicht auch heißes Wasser kommt. Heißes Wasser. Nicht lauwarmes. So viel Energie wird hier produziert, dass es sich die Provinzregierung von Québec erlauben kann, massenweise Elektrizität in die benachbarten US-Bundesstaaten Vermont und New York zu exportieren. 15 Prozent des Energiebedarfs kommt übrigens aus Kernkraftwerken. Tendenz steigend.

Was war nochmal in Fukushima?

Wir lachen uns hier noch kaputt

Lacht gerne: Kanadas Außenminister John Baird    Foto: CP

Wenn es Politikern zu wohl wird, lachen sie uns aus. Den kanadischen Außenminister schüttelte ein Lachkrampf, als er von der Opposition wegen seiner Farbwahl gerügt wurde. Ist ja auch total witzig: John Baird hatte darauf bestanden, seinen Namen auf der Visitenkarte in Goldrelief gedruckt zu sehen.

Selten so gelacht im kanadischen Parlament: John Baird, ohnehin nicht gerade die große Leuchte der konservativen Regierung, kriegte sich nicht mehr vor Lachen. Ein Oppositionspolitiker hatte sich doch tatsächlich erdreistet, die Luxusvariante seiner Visitenkarte zu kritisieren. Was mich auf die Palme bringt, sind nicht die paar hundert Dollar mehr, die so eine Goldrelief-Version kostet. Es ist diese Selbstbedienungs-Attitüde, die viele Politiker so unglaubwürdig macht.

Nicht immer geht es um Geld. Meistens aber um Macht. Und damit auch irgendwo wieder um Geld. Beispiel: Bei den letzten Wahlen im Mai schafften ein paar Dutzend linke No-Names aus der Provinz Québec den Einzug ins Bundesparlament in Ottawa. Eine Sensation. Endlich frischer Wind in Ottawa! Dachte ich. Viel Wind schon. Aber kein frischer. Inzwischen streiten sich die Genossinnen und Genossen der New Democratic Party fast nur noch.

Und natürlich geht es wieder um Macht. Es geht um die Nachfolge des Parteivorsitzenden Jack Layton, der im Sommer an Krebs verstorben war. Ich hielt „Smiling Jack“ für einen der größten Politiker, den Kanada je hervorgebracht hat. Die Grabenkämpfe, die seit seinem Tod innerhalb seiner Partei ausgetragen werden, sind des Andenkens dieses Mannes nicht würdig.

Verkehrschaos Montréal. Foto: Gazette

Noch einmal Dampf ablassen: Wenn es um den Schutz der Umwelt geht, hat Kanada den Schuss immer noch nicht gehört. Statt endlich den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und die Vorstädte rund um Montréal an die City anzubinden, kippen die Verantwortlichen die Pläne für die dringend notwendige Ausweitung der U-Bahn wieder. Motto: Jetzt, da so viel Geld in Verbesserungen der Infrastruktur investiert wird, müssten die Straßen und Brücken schließlich auch genutzt werden. Und weil die Kohle für die  – angeblich – verbesserten Autofahrer-Bedingungen ja von irgendwo her kommen muss, lassen sich Politiker diesmal etwas sehr Originelles einfallen: Eine deftige Preiserhöhung für die armen Pendler, die von den ohnehin schon lächerlich wenigen Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs Gebrauch machen.

Immerhin gab es bei den Fahrpreiserhöhungen heftigen Gegenverkehr. Die betroffenen Pendler wollten die Entscheidung des zuständigen Kommunalverbandes nicht ohne weiteres schlucken. Eine Krisensitzung wurde einberufen. Schade: Der wichtigste Mann fehlte. Ausgerechnet der Bürgermeister der Vorstadtgemeinde, die das größte Interesse an einem reibungslosen Nahverkehr haben müsste, ließ sich entschuldigen. Die Gazette meldete später: Statt der Krisensitzung nahm der Spitzenpolitiker an einem Golfturnier teil.

Grünes Kanada? Lachhaft. Ich könnte rot werden vor Zorn.