Elvis war in unserem Dorf!

Zwei Dinge lassen unser Dorf noch schöner werden als andere. Hudson liegt etwa 40 Minuten westlich von Montréal, auf dem direkten Weg nach Ottawa. Es ist zum einen die zauberhafte Lage am Lake of Two Mountains, wo die wöchentlichen Segelregatten dem See etwas sehr Edles verleihen. Zum andern ist es ein Flohmarkt, der jeden Sommer Tausende aus den umliegenden Gemeinden und Städten hierher lockt. „Finnegan’s Flea Market“ hat seinen Namen von einem Hund. Dieser irische Setter namens Finnegan ist inzwischen längst über die Regenbogenbrücke gegangen, hat dem Markt aber netterweise noch seinen Namensstempel hinterlassen. Finnegan gehörte einem Farmerehepaar namens Barbara und David Aird. Als die Airds ihre Farm aus Altersgründen nicht mehr bewirtschaften konnten, überlegten sie lange, was mit all den Wiesen und Feldern zu tun sei. Verkaufen wollten sie nicht. Da brachte sie ihre Tochter irgendwann auf die Idee, die Ländereien doch stundenweise an Trödler zu vermieten, die dort einmal in der Woche ihre Tausendsachen anbieten könnten. So wurde im Sommer 1972 aus hügeligen Äckern und Wiesen „Finnegan’s Flea Market“.

Zauberer-Utensilien, Dessertschalen und eine Mandoline

… und Vladimir Putin …

Wir lieben diesen Markt. Und wer sich in unserem Haus umsieht, wird schon bald merken, dass sich, wenn schon nicht die Trödler selbst, dann zumindest ihre Möbel und auch ein wenig Schnickschnack, nach und nach bei uns eingenistet haben. Esszimmertische und Kneipenstühle, feine Dessertschalen und Eierbecher. Sogar Zauberutensilien. Auch eine Mandoline mit schönen Intarsien und ein Banjo, das irgendwann mal sechssaitig gewesen sein muss, habe ich bei Finnegan’s erstanden – alles sehr preisgünstig und meist in exzellentem Zustand. Trödler, die bei Finnegan’s verkaufen, halten etwas auf sich und können es sich schon von daher gar nicht leisten, Schund für gutes Geld anzubieten. Nur einmal habe ich in all den Jahren eine schlechte Erfahrung mit einem Händler gemacht. Ausgerechnet ein deutschkanadischer Schlawiner hat mir einen Strohhut angedreht, der schon wenige Tage später buchstäblich in der Hand zerbröselte.

Manche der Verkäufer stehen schon seit 25 Jahren hinter ihren Ständen – so lange leben wir schon in Hudson. Ich weiß das deshalb so genau, weil in unserem Haus genau 25 Lockenten aus Holz stehen. Lore hat sich jedes Jahr eine neue gekauft, sie nennt sie „unsere Jahresenten“. Lockenten sind etwas sehr Kanadisches. Sie sind meist aus sehr leichtem, schwimmfähigen Holz, oft recht ungestüm zurecht geschnitzt, aber von der Größe her durchaus einer richtigen Ente ähnelnd. Die schwimmenden Pseudo-Enten dienten früher dazu, auf Seen echte Enten anzulocken, damit Jäger diese dann abballern konnten. Aber diesen mörderischen Exkurs vergessen wir jetzt einfach mal, sonst verlieren wir noch den Spaß an unseren schönen Lockenten.

Bauerntruhe für den Kapitän – Kamera für den Moderator

… und ER hier.

Besucher, vor allem solche aus Deutschland, lieben diesen Flohmarkt mindestens genauso wie wir. Ein mit uns befreundeter Flugkapitän hat sich vor Jahren so sehr in eine alte Bauerntruhe verliebt, dass er für den Rücktransport in dem von ihm gesteuerten Airbus irgendwo Platz schaffen musste, um das sperrige Möbelstück mit nach Hause nehmen zu können. Und ein anderer Freund, ein Radiomoderator, musste unbedingt eine antike Kamera haben. Ob er sie jemals benutzt hat, bezweifle ich. Aber allein der Gedanke daran, dass in Köln jetzt irgendwo ein Fotoapparat in der Wohnung steht, den unser Freund in Hudson erstanden hat, zaubert mir in diesem Moment, da ich das schreibe, ein Lächeln ins Gesicht.

Heute war also wieder Flohmarkt, und weil es der Neverending Summer of 011 immer noch so gut mit uns meint und wir übers Wochenende lieben Besuch aus der Stadt haben, machten wir uns natürlich wieder in Richtung Finnegan’s. Diesmal allerdings nicht mit dem Auto, das heißt: nicht nur mit dem Auto.

Über Eisenbahnschienen Im Gänsemarsch zur jährlichen Ente

Das letzte Stück, etwa einen Kilometer, hoppelten wir im Gänsemarsch auf einem stillgelegten Eisenbahngleis über Schwellen und Schienen, bis hin zur alten Farm. Allein der Spaziergang über die von Unkraut übersäten Schienen war ein Samstagsvergnügen der ganz besonderen Art. Zu wissen, dass hier mehr als 100 Jahre lang ein Personenzug verkehrt ist, der vor knapp einem Jahr aus Kostengründen eingemottet wurde, hat fast schon etwas Erhebendes.

Der Flohmarkt war auch heute wieder voll von Schnickschnack, den man so gar nicht braucht und doch am liebsten, Kuckucksuhr für Kuckucksuhr, kaufen möchte. Jede Menge Bücher in allen möglichen Sprachen, Schallplatten und alte Videokassetten. Möbel, Melkschemel, Flugzeugzubehör, filigrane Porzellanfingerhütchen und Schneeschuhe mit handgeflochtenen Trittflächen. Und: Elvis was here! In Form von kunstvoll-kitschigen Figurinen, als Buchtitel und auf Vinyl-Schallplatten. Ein paar Stände nebenan kitschte Vladimir Putin mit Herrn Presley um die Wette, als eher freudlose Bemalung einer russischen Matrjoschka. Diverse Päpste habe ich auch begrüsst und sogar Gott persönlich. Herrlich!

Kaum weniger bekannt als der Markt selbst sind die frisch gebratenen Hamburger und Hotdogs, die Familienmitglieder der Airds servieren. Angerichtet und garniert werden sie nach allen Regeln der Fastfood Haute Cuisine an einem Tresen von den Käufern selbst. Unsere Jahresente haben wir zum Glück bereits im Frühling gekauft. Lockenten werden nicht nur von Jahr zu Jahr teurer, sondern auch immer seltener. Gut, dass wir uns schon rechtzeitig eine geangelt haben.

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