Laugenbrezeln mit Ben Johnson

Usain Bolt ist also bei der Leichtathletik-WM in Südkorea disqualifiziert worden. Auch Ben Johnson fiel damals tief in Südkorea. Und: Auch er war einmal der schnellste Mensch der Welt. Kurz nach der „Schande von Seoul“ päppelten wir ihn bei einem schwäbischen Vesper wieder auf. Flashback: Der Tag, als Ben Johnson bei uns zu Gast war.

Trauriger Verlierer: Ben Johnson

Der wohl schillerndste Besucher, den wir je in unserem Haus empfingen, war kleinwüchsig und scheu, dafür aber ungemein muskulös. Vor allem aber war er blitzschnell, auch wenn ihm das später keiner mehr so richtig abnehmen wollte. Ben Johnson war bei den Olympischen Sommerspielen 1988 als die „Schande von Seoul“ in die Geschichte eingegangen, weil er, wie sich später im Labor herausstellte, gedopt gewesen war. Sein sensationeller Olympiarekord von 9.79 Sekunden auf 100 Meter wurde ihm aberkannt, ebenso sein Weltrekord. Und damit sein Geld und seine Ehre. Immerhin blieb dem Mann, der schon als Kind barfuß an den Armenstränden von Jamaika entlang gesprintet war, ein pechschwarzer Ferrari.

Die rennende Apotheke trifft auf Michael Schumacher

Die Liebe zu schnellen Autos war es, die Ben Johnson an einem Juni-Tag, Anfang der 90er-Jahre, zu uns führte.

Alles für Schumi: Damals noch Ferrari-Pilot

RTL hatte aus Anlass des Formel-Eins-Rennens in Montréal eine glänzende Idee: In einem kurzen Einspielfilm sollte der schnellste Mann auf zwei Beinen zusammen mit dem schnellsten Mann auf vier Rädern porträtiert werden. Michael Schumacher für diesen Dreh zu gewinnen, war kein Problem. Er stand bei RTL unter Vertrag und konnte nicht anders. Wie aber bekommt man eine ehemalige Sprintersensation vor die Kamera, von der die Weltpresse nach dem Dopingskandal allenfalls noch als „rennende Apotheke“, „Anabolika-Mann“ oder  „Betrüger-Ben“ Notiz nahm? Ganz einfach: Man lockt ihn mit Michael Schumacher. Das war mein Job, dafür wurde ich bezahlt.

10 000 Dollar für einen gefallenen Helden? Nein, Danke!

Zehntausend Dollar. So viel hatte Johnsons Manager bei unserem ersten Telefonat für ein Interview mit seinem Schützling verlangt. Immerhin, so die Begründung, sei Ben Johnson noch immer eine große Nummer in der Welt. Auf Hawaii zum Beispiel. Dort bringe Johnson den Insulanern Fitness bei. Oder in Libyen. Dort trainierte der einstige Superstar mit der einstigen Fußball-Nationalmannschaft des einstigen Gadaffi den schnellen Start. Fakt ist: Die Welt von Ben, der Rakete, ist klein geworden. Zehntausend Dollar für einen gefallenen Helden – nein danke.

Manchmal sind Spiele wichtiger als Brot. Keine drei Stunden nach dem gescheiterten Businessdeal klingelt mein Mobiltelefon. Das war zu jener Zeit noch eines jener unförmigen Geräte, die später als „Motorola-Knochen“ bekannt wurden.. „Ben hier.“ – „Hi!“ – „Angenommen ich würde zu euch nach Montréal kommen, könnte ich dann echt auch Michael Schumacher treffen?“ – „Klar. Und du kannst dir das Rennen von der Pressekabine aus anschauen.“ – „Super. Dann bis Samstag.“ So schön kann Fernsehen sein: Der große Ben Johnson trifft den großen Michael Schumacher. Und alles für lau.

Treffpunkt McDonald’s-Parkplatz in der Vorstadt

Es ist heiß an diesem Samstag vor dem Großen Preis von Kanada. Die Autofahrt von Toronto nach Montréal dauert genau sechs Stunden – ob mit Fiat, Ford oder Ferrari spielt keine Rolle. Auf kanadischen Highways gilt Tempolimit 100.

Rennende Rakete: Johnson

Als Treffpunkt war ein Luxushotel unweit der Rennstrecke vereinbart. Doch irgendwann zwischen Toronto und Montréal verließ den ehemaligen Sprinterkönig der Schneid. „Kannst du mich auf dem McDonald’s Parkplatz trefffen?“, klingt es kleinlaut aus dem Handyknochen – „Klar. Aber warum denn nicht im Hotel?“ Er spreche kein Französisch, sagt der Mann von Welt, und traue sich nicht allein in die große Stadt. Der Parkplatz vor McDonald’s gleicht einer Kirmes. Eine Traube von Menschen drängt sich um einen pechschwarzen Ferrari. Ein paar Mädels klopfen vergnügt an die Fensterscheiben, Teenager schütteln und rütteln an dem 200-tausend-Dollar-Flitzer als wäre es ein Spielzeugauto. Ein Junge lehnt sich frech über die Kühlerhaube und zeigt dem Fahrer mit beiden Händen das V-Zeichen. Hinterm Lenkrad: Ein Muskelpaket, das sich nicht aus seinem Fahrzeug traut. Dass es sich beim Fahrer um den Ben Johnson handelt, war für die Parkplatzhorde nicht schwer zu erraten. „Ben One“ steht auf dem amtlichen Kennzeichen. „Nix wie weg hier!“, zischt Johnson durch das inzwischen heruntergelassene Autofenster. „Kann ich hier noch irgendwo duschen, ehe ich Schumi im Hotel treffe?“ – „Kein Problem. Fahr hinter mir her, wir gehen zu mir.“

Schwäbisches Vesper für den Mann aus Jamaika

Laugenbrezeln für den Jamaikaner in Kanada

In der Straße, in der ich wohne, gilt ein Ferrari als ein Exote, der dem Genfer Autosalon entwichen sein muss. „Mehr von der Sorte – und die Immobilienpreise schnellen in die Höhe!“, ruft mein Nachbar Scott über den Zaun. Freunde, die an diesem Samstag zu Besuch bei uns waren, staunen nicht schlecht, als ein echter, wenn auch gefallener Held in ihre Richtung tänzelt. Sehr gesprächig ist Ben Johnson allerdings nicht. Dafür aber hungrig. Rauchfleisch, Radieschen, Laugenbrezeln – dem Mann aus Jamaika schmeckt das schwäbische Vesper bei Bopps. Kurze Dusche, ein Blick ins Korrespondenten-Archiv („Wow! Alles über mich?“) – und schon sind wir auf dem Weg nach Montréal. Die Szene mit Schumi ist schnell abgedreht. Johnson zieht sich in seine Suite zurück. Morgen wollen wir uns an der Rennstrecke treffen.

Der einstige Multimillionär hat kein Geld mehr zum Tanken

Dreißig Minuten vor dem Start zum Großen Preis von Kanada fehlt noch einer in der Pressekabine. Er habe es sich anders überlegt, sagt Johnson über Handy. Er werde nun doch nicht zum Rennen kommen und lieber direkt nach Toronto zurück fahren. Schade eigentlich. „Sonst noch was, Ben?“ – „Ja, ich muss noch tanken.“ – „Mach das mal und schick uns die Rechnung.“ – „Ich hab kein cash mehr.“ – „Kreditkarte?“ – „Geht nicht. Limit ist ausgeschöpft.“

Tief gefallen: Johnsons Landsmann Usain Bolt

Dem Mann kann geholfen werden. Ein Kurierfahrer wird engagiert. Er bringt wenige Minuten vor Beginn des Autorennens Bargeld ins Hotel, damit Ben Johnson seinen Ferrari auftanken kann.

Warnung an Usain Bolt: Sprinterhelden können tief fallen. Ben Johnson lebt übrigens noch immer in Toronto. Sein Geld verdient der inzwischen Vierzigjährige als Fitnesstrainer. In einem Zeitungsinterview Anfang Juli erwähnte er stolz die Namen seiner prominentesten Kunden: Diego Maradona und Usain Bolt.