Wenn ich unterwegs bin, kann ich leider nicht täglich bloggen. Deshalb hin und wieder der Griff ins Archiv. Hier finden Sie Manuskripte meiner Hörfunk-Reportagen. O-Töne können hier leider nicht eingestellt werden.
Dieser Text wurde nicht aktualisiert. Deshalb: Kein Anspruch auf Vollständigkeit!
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Dechaillons ist ein kleines Dorf am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms. Dort wohnt der Rentner Delphis Duhamel, ein freundlicher Herr mit einem freundlichen Hobby. Monsieur Duhamel begrüßt sämtliche Schiffe, die hinter seinem Haus auf dem Sankt-Lorenz-Strom vorbeiziehen. Ob Frachter oder Passagierschiff – für Delphis Duhamel spielt das keine Rolle – bei ihm ist jeder Kahn willkommen.
Sobald der Mann durchs Fernglas festgestellt hat, in welchem Land das vorbeiziehende Schiff registriert ist, beginnt das Begrüßungs-Zeremoniell: Monsieur Duhamel hisst die jeweilige Landesflagge, und lässt dabei die dazu passende Nationalhymne abspielen. Für den guten Ton sorgen zwei Lautsprecher, die er eigens dafür im Garten installiert hat.
Die Sammlung an Flaggen und Musik kann sich sehen lassen: siebzig Fahnen, elf Hymnen – Gesang oder Orchester. Die jeweilige Herkunft ist fein säuberlich in ein Logbuch eingetragen, das Monsieur Duhamel neben den Tonbändern mit den Nationalhymnen aufbewahrt. Und ist der Herr des Hauses mal gerade nicht da, hält seine Frau Lorraine Begrüßungs-Wache.
Angefangen hatte alles vor dreißig Jahren. Die Kinder der Duhamels waren damals noch klein und Vater Delphis suchte nach einer Möglichkeit, seinen drei Jungs die große, weite Welt näherzubringen. Das ist gar nicht so einfach, am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms. Doch die Heimerziehung funktionierte gut: Schipperte zum Beispiel ein holländischer Frachter hinterm Haus vorbei, wurde eben Holland im Erdkundebuch behandelt. Auf diese Art und Weise lernten die Duhamel-Buben von der guten Stube aus die ganze Welt kennen.
Flaggen und Hymnen hat sich der pensionierte Handwerker im Laufe der Jahre gekauft. Die Griechen und Portugiesen seien die freundlichsten Schiffsbesatzungen, erzählt der Flaggenmann von Dechaillons. Viele Seeleute kennen ihn schon. Die winken ihm dann freundlich zu, oder lassen auch mal über Bordlautsprecher einen persönlichen Gruß los.
Und die Deutschen? „Auch nett“, sagt der freundliche Herr. Nur mit der Flagge komme er neuerdings immer durcheinander. Hammer und Sichel auf schwarz-rot-goldenem Grund habe er schon länger nicht mehr gesehen. (Gesendet: Februar 1993)