25 Jahre lang habe ich für die ARD aus Kanada, Alaska und anderen Teilen der Welt berichtet. Meine Reportagen lesen Sie von Zeit zu Zeit hier im Blog. Die Texte wurden nicht aktualisiert.
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Ein Österreicher erfüllt sich seinen Traum vom Fliegen (Sendung: Juni 2001)

Heute gehen wir in die Luft. Für eine Reportage über den Alltag eines Wasserflugzeug-Piloten. Klaus Horky stammt aus Linz an der Donau. An der kanadischen Westküste hat er sich seinen Lebenstraum erfüllt. Ich treffe ihn in Tofino auf Vancouver Island.
Sanft wie ein Papierflieger setzt die einmotorige „Cessna“ mit 98 Stundenkilometern auf dem betonharten Wasser auf. Das metallische Zischen unter den Schwimmkufen hat etwas Beruhigendes. Jetzt hat auch der Propeller aufgehört, sich zu drehen. Klaus Horky, Mitte 50, nimmt die Baseballmütze vom Kopf. Im Cockpit ist es heiß. Horky tupft sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn. Dann er erzählt er, während er die Instrumente noch einmal checkt, wie ihm ein paar Monate zuvor die Wasserlandung nicht ganz so gut gelungen ist wie eben. „Ein Crash?“- „Sagen wir mal: Eine ziemlich harte Landung“. Später erzählt mir der alte Haudegen: „Man könnte auch sagen: überschlagen“.

Cessna-180
Mit harten Landungen kennt sich Klaus Horky aus. Sie gehören zum Berufsalltag eines jeden Wasserflugzeug-Piloten. Seit mehr als 30 Jahren ist Klaus Horky aus Linz an der Donau Buschpilot in der kanadischen Wildnis. Von Vancouver-Island aus beliefert er die Bewohner der entlegenen Inseln mit Post, fliegt Ärzte auf Indianerreservate und Umweltschützer in die abgeholzten Regenwälder. Und dann: Immer wieder die Touristen. Vor allem Wale wollen sie sehen. Die ziehen auf dem Weg von Mexiko nach Alaska unmittelbar an der Küste von Tofino vorbei.
Whale Watching vom Ufer aus kannte ich bereits von früheren Besuchen in British Columbia. Auch in Tadoussac in Québec, wo der St.-Lorenz-Strom in den Saguenay River mündet, hatte ich spektakuläre Walbegegnungen. Und in Maine, vor der Küste vor Bar Harbor. Aber das, was mir Klaus Horky an diesem Tag am westlichsten Zipfel Kanadas zeigte, hatte ich noch nie erlebt. Noch heute bekomme ich eine Gänsehaust, wenn ich die Szenen Revue passieren lasse: Tonnenschwere Tiere, die sich fast spielerisch in den Wellen aufbäumen und dann meterhohe Fontänen in die Luft blasen: Mehr Natur geht nicht.
Der Weg nach Tofino ist weit und beschwerlich: Von Vancouver aus mit der Fähre rüber nach Nanaimo auf Vancouver Island. Dann mit dem Wagen die Küste entlang. Hinter Qualicum Beach fangen die Regenwälder von Clayoquot Sound an. Stunden und Stunden Autofahrt -dann endlich liegt es da, als wäre nichts gewesen: Ein Fischerdorf mit dem rauen Charme der Westküste.
Für einen, der in Ottensheim aufgewachsen ist und von seinen Eltern nach Linz in eine kaufmännische Lehre geschickt wurde, damit er „später mal was Rechtes wird“, ist Klaus Horky ganz schön schräg geraten: Militärdienst in Hoersching. Dann die Segelflieger-Lizenz und schließlich ab für acht Monate nach Schweden. Aber das war’s irgendwie auch nicht. 1967 wanderte er nach Kanada aus.
„Lass uns da rüber fliegen“, schreit er mir unter dem Lärm der Cessna zu. „Dort drüben nistet ein Weißkopfadler.“ Behutsam zieht Horky das Wasserflugzeug ein paar Fuß nach unten. Tatsächlich: Ein Adler hat es sich in einer Baumkrone gemütlich gemacht. Extras wie diese sind es, die Klaus Horky bei „Tofino Air“ den Ruf als Spitzenflieger eingebracht haben. Von den sechs Piloten, die bei dem Charterunternehmen auf Vancouver Island angestellt sind, hat Klaus Horky nicht nur die meisten Flugstunden auf dem Buckel. Keiner kennt sich im Busch besser aus als der Linzer in Kanada.

Tofino - Foto: JWyatt
Gegen elf Uhr morgens kommt ein freundlicher Mann mit geröteten Wangen auf dem Boardwalk daher geschlürft. Dr. John Armstrong ist Arzt. Viermal pro Woche verlegt er seine Sprechstunde in die Indianerreservate rund um Tofino. Heute geht es nach A-Housset. Dort leben 1200 Indianer vom Stamme der Nuu-Cha-Nultch. Die „Nootkas“, wie Armstrong seine Patienten liebevoll nennt, teilen die Probleme der meisten kanadischen Ureinwohner: Alkoholismus, Drogenmissbrauch.
In A-Housset kommt noch eine unverhältnismäßig hohe Zahl an Teenager-Schwangerschaften dazu. Und dann die zunehmend falsche Ernährung der Indianer. Hamburger statt Hummer. Lollipops statt Lachs. Die drastische Umstellung macht viele Indianer krank. Der Organismus der Nootka-Indianer hatte sich im Laufe der Jahrhunderte an den Genuss von Meeresfrüchten gewöhnt.
Auf dem Rückflug von „Flores Island“ unterbricht ein Krächzen aus dem Bord-Lautsprecher die Beschaulichkeit: „Auf Hot Springs Cove wartet Jenny“. Jennifer Miller ist Ende zwanzig und Sozialarbeiterin. Klaus Horky kennt ihre Geschichten schon. Die meisten von ihnen sind traurig und haben kein Happy End. Wie es Jennifer Miller fertig bringt, unter dem ohrenbetäubenden Lärm der „Cessna“ einzuschlummern, bleibt mir ein Rätsel. Ohne Klaus, den Buschflieger, wäre sie aufgeschmissen, sagt Jenny. Als Transportmittel blieben ihr da allenfalls noch Kajak oder Kanu.
Und dann: Horky, der Postillion: Ein Leinensack mit der Aufschrift „Canada Post – Special Destinations“ wartet auf dem Pier in Tofino darauf, ausgeflogen zu werden. Klaus Horky macht das. Hebt den Sack auf, schleudert ihn lässig ins Cockpit – und ab geht die Post: Meares-Island, Hot Springs, noch einmal nach Vargas rüber und zurück. Vierzig Minuten später sind wir wieder in Tofino.
Vorher erklärt mir Horky noch das, was Wasserflugzeug-Piloten eine „Beethoven-Landung“ nennen. Sobald die Schwimmkufen Kontakt mit der Wasseroberfläche haben, hüpft die Maschine erst mal auf und ab: Da-Da-Da-Daaaa. Beethovens Fünfte lässt grüßen. Mit einem Buschpiloten als Dirigent, dessen Konzertsaal das Cockpit einer Cessna ist.
Klaus Horky ist seit Ende 2011 im Ruhestand. Die Zeitung „Gabriola Sounder“ hat zu seinem Abschied einen Artikel veröffentlicht.
Seitdem ich in Kanada lebe, spielen Tiere für mich eine große Rolle. Haustiere sowieso. Wilde Tiere erst recht. Hohe Tiere weniger. Was mich aber – pardon – tierisch nervt, ist der Umgang der hiesigen Medien mit Tieren, die in freier Wildbahn leben und das tun, was ihr gutes Recht ist: ihr Territorium verteidigen. Dann machen Journalisten regelrecht Hatz auf wilde Tiere. So auch jetzt wieder, nach einer Cougar-Attacke auf Vancouver Island.
Der Bub wurde also vom Cougar gebissen. Dem Vater und Großvater des Jungen gelang es, die Wildkatze zu verscheuchen und Schlimmeres zu verhindern. Bleibende körperliche Schäden wird das Kind voraussichtlich nicht davontragen. Soweit die Fakten. Was folgt, ist ein Medienspektakel – so wie wir es in den vergangenen 30 Kanada-Jahren kennen und hassen gelernt haben: „Kind ums Haar von Cougar totgebissen“ – „Warum schützt uns der Staat nicht besser vor wilden Tieren?“ – „Wie konnte das passieren? Die Eltern haben alles richtig gemacht!“ Haut rein, ihr Journalisten! Nicht nur Sex sells. Auch Sensationen. Auch dann, wenn es im Grunde genommen gar keine sind.
Dass Cougars Menschen anfallen, kommt vor. So wie Hunde Menschen anfallen oder Pferde nach Kindern treten, die doof rumstehen. Dass Cougars aber Menschen tödlich verletzen, passiert so gut wie nie. In den vergangenen 100 Jahren ist es in Kanada gerade mal fünf Mal passiert. Schrecklich für die Beteiligten. Aber statistisch gesehen nicht von hohem Nachrichtenwert. Fünf tödliche Cougar-Attacken in 100 Jahren, in einem Land, das 40 mal so groß ist wie Deutschland. Wie oft fallen Kampfunde nochmal Kinder an?


Ich liebe den Anblick eines so mächtigen Tieres und musste einem kanadischen Freund versprechen, vor meinem ersten Campingtrip in Manitoba sogar einen Crashkurs im Umgang mit Bären zu absolvieren. Wichtigstes Gebot: „Bei einsamen Wanderungen unbedingt Krach machen!“ Aber die Blechdose, die ich daraufhin hinter mir herzog, kam bei meinen Wanderfreunden nicht immer gut an. Deshalb habe ich mich aufs Pfeifen verlegt – etwas, das Lore heute noch zur Weißglut bringt. „Du musst hier im Haus keine Bären vertreiben“, sagt sie dann schon mal, wenn ich sie zu sehr damit nerve. Noch eine Lektion aus dem Bären-Crashkurs von Manitoba: „Beim Anblick eines Bären ja nicht mehr bewegen. Am besten totstellen“. Doch so weit ist es nie gekommen. Heute würde ich mich ja schon totstellen, wenn ich damit einen Bären ANLOCKEN könnte, geschweige denn vertreiben.
Mögen Geschichten wie diese auch noch so exotisch klingen, meinem Ruf als Grizzly Adams aus den Bergen nützen sie wenig. Die Frage, die mir bei meinen Besuchen in Deutschland mit am häufigsten gestellt wird, lautet nach wie vor: „Hast du denn schon mal Bären gesehen?“ Und immer muss ich etwas verlegen, aber wahrheitsgemäß antworten: „Ja, schon. Aber das ist schon eine Weile her.“ Ist es auch. Den letzten Bären habe ich vor genau sieben Jahren am Rande des Alaska-Highway gesehen. Aber es war ein ausgewachsener Grizzly mit einem Bärenjungen und diese Kombination allein zählt schon mindestens dreimal. Und weil ich aus Prinzip nicht in den Zoo gehe, wo wilde Tiere im Gehege eingesperrt sind, habe ich seither keinen einzigen Bären mehr zu Gesicht bekommen. Waschbären schon, aber eben keine Schwarzbären und gleich gar keine Grizzlies.