Typisch Montréal: Smoked Meat

Wer in Montréal war, ohne bei „Schwartz’s“ gegessen zu haben, hat das vielleicht wichtigste Küchen-Kapitel verpasst. Und das will etwas heißen bei mehr als 5000 Restaurants. Die Spezialität in dem jüdischen Delikatessen-Diner heißt „Smoked Meat“. Und ist, rein kulinarisch, vom schwäbischen Rauchfleisch etwa so weit entfernt wie Münsingen von Montréal.

Bücher wurden über den Diner am Boulevard Saint-Laurent geschrieben und auch in Filmen kommen Frank und seine Truppe vor. Und jetzt noch: „Schwartz’s, The Musical“. Uraufgeführt im ältesten Montréaler Schauspielhaus, dem Centaur Theatre. Nach keinem Restaurant werde ich in Montréal häufiger gefragt als nach „Schwartz’s“. Dabei ist der Diner am Boulevard Saint-Laurent schwer zu übersehen. Vor der Tür warten bei Tag und Nacht lange Menschenschlangen geduldig auf Einlass. Reservierungen? Wo kämen wir denn da hin!

Ein paar Tische, eine Theke. Foto: Ben_Ross

Eigentlich ist „Schwartz’s“ ja gar kein richtiges Restaurant, sondern ein Loch in der Wand mit ein paar Tischen und einer Sitztheke, hinter der sich manchmal verschwitzte, aber fast immer gut gelaunte „Meatcutter“ eine Scheibe nach der anderen abschneiden. Serviert wird das berühmte Sandwich in Roggenbrot. Als Beilagen gibt’s hausgemachte Pommes, eine Salzgurke, Krautsalat oder eingelegte Paprika. Und viel Senf. Typisches Getränk: Cherry Coke. Cola mit Kirschgeschmack. Bärenhunger um Mitternacht? Kein Problem: Schwartz’s ist täglich von 8 bis 00:30 Uhr geöffnet. Samstags sogar bis 02:30 Uhr.

Superstar-Diner als Musical

„Smoked Meat“ ist gepökeltes Rindfleisch und wird nach einem Verfahren hergestellt, aus dem seit der Ankunft der jüdischen Schwartz-Family vor 80 Jahren ein Staatsgeheimnis gemacht wird. Die Coca Cola-Rezeptur ist ein offenes Buch dagegen. Da nützt auch meine Seilschaft mit Frank, dem Manager, nichts. (Frank ist übrigens der gestrenge Herr im Bannerfoto). Obwohl wir uns seit 30 Jahren kennen, hat er mir das Rezept bis heute nicht verraten.

Es wird gemunkelt, das Fleisch werde zuerst geräuchert und anschließend 10 bis 20 Tage und Nächte gepökelt, eingelegt in eben jene mysteriöse Mixtur aus Flüssigkeiten und Gewürzen. Ein bisschen wie Pastrami, aber … naja, Smoked Meat eben. Oder Viande Fumée, wie der Montréaler sagt.

Schwartz’s-Junkies sind leicht von den Touristen zu unterscheiden. Sie wählen bei der Bestellung zielsicher zwischen den drei Varianten: mager, halbfett und fett. Ganz Verrückte bestellen auch mal extrafett. Bei so viel kulinarischer Abenteuerlust empfiehlt es sich jedoch, vorsichtshalber gleich den Notarzt mit einzuladen.

Menschenschlangen bei Wind und Wetter

Das Ambiente bei Schwartz’s ist nichts für schwache Gemüter. Ausschließlich männliche Kellner servieren an Tischen, zwischen die gerade noch das Telefonbuch von Montréal passt. Tischdecke? Würde gerade noch fehlen! Wozu gibt’s denn Papieruntersetzer mit aufgedruckter Speisekarte. Auf den Steinfliesen geht es zu wie im kanadischen Winter. Achtung, Rutschgefahr! Das kommt von den vielen „Extrafett“-Bestellungen. Die Wand ist vollgepflastert mit Zeitungsclips: Rockmusiker und Hollywoodstars, Bestsellerautoren und Politiker – sie alle kucken dir beim Essen zu.

Eine Restaurant-Kritik an der Wand habe ich bisher allerdings nicht entdeckt.