Mein Zehn-Millionen-Dollar-Diner

Ein Loch in der Wand, ein paar Tische, Stühle und eine Theke – frugaler geht nicht. Und trotzdem ist mein Lieblingsdiner am Boulevard St. Laurent das mit Abstand berühmteste Restaurant der Dreieinhalb-Millionen-Stadt Montréal. Jetzt ist „Schwartz’s“ verkauft worden. Für zehn Millionen Dollar. Der Käufer: Céline Dions Ehemann.

Der Schock unter Montréals Schwartz-Fans ist groß. Zwar gab es immer mal wieder Gerüchte, Hy Diamond wolle seinen jüdischen Delikatessen-Diner aus Altersgründen abstoßen. Aber so schnell? Und für so viel? Und vor allem: An so einen Käufer? Die „Huffington Post“ schreibt: Die Entscheidung sei gefallen. Und René Angelil, der Ehemann und Manager der Québecer Diva Céline Dion, sei der Käufer.

Spezialität: Smoked Meat

Der Kaufpreis von zehn Millionen Dollar ist selbst für Montréaler Verhältnisse monströs. Aber er macht irgendwo auch Sinn. Denn genau genommen ist „Schwartz’s“ viel mehr als ein Restaurant. Es ist eine Geldruckmaschine – und das schon seit 1928. Damals hatte der aus Osteuropa eingewanderte Reuben Schwartz den Diner am Boulevard Saint Laurent eröffnet. Spezialität bei „Schwartz’s“ ist und war schon immer: Smoked Meat. Nicht zu verwechseln mit schwäbischem Rauchfleisch. Es ist gepökeltes Rindfleisch, nach einem Verfahren hergestellt, aus dem seit der Ankunft der jüdischen Schwartz-Family vor 84 Jahren ein Staatsgeheimnis gemacht wird, als gehe es um die Coca-Cola-Rezeptur.

Auch dass der Céline Dion-Gatte René Angelil den Laden jetzt gekauft hat, passt. Schon seit Jahren hat er seine Goldfinger im Restaurant-Business, wie etwa der Diner-Kette „Nickels“. Außerdem kehrt René schon seit vielen Jahren bei Schwartz’s ein, um sich bei seinen häufigen Montréal-Besuchen seinen Smoked-Meat-Fix abzuholen.

„Schwartz“-Gäste: Angelina Jolie, Halle Berry, Sting und die Stones

Menschenschlangen vor Schwartz's

An Prominenz aus aller Welt mangelt es im Delikatessenladen ohnehin nicht: Von Leonard Cohen über Sting, Barbara Streisand, Angelina Jolie, und Halle Berry – sie alle ließen sich in dem schmucklosen Laden mit den arg lädierten rot-weißen Markisen schon bedienen. Und auch die „Rolling Stones“ wollten bei ihren Konzerten in Montréal nicht auf Smoked Meat verzichten. Mick, Keith und die Boys ließen sich das Pökelfleisch allerdings ins Hotel schicken. Paul McCartney, heißt es, sei dagegen nicht schwach geworden. Er sagte, wie es sich für einen Veganer gehört, freundlich Thank-you zum Schwartz-Fleisch-Angebot..

Gespannt bin ich nach dem Besitzerwechsel vor allem auf eins: Muss ich mein Smoked Meat auch weiterhin in bar bezahlen? Oder lässt Monsieur Angelil etwa die Zukunft beginnen? Mit Visa, Mastercard und American Express. Oder vielleicht sogar mit neuen Markisen?

Typisch Montréal: Smoked Meat

Wer in Montréal war, ohne bei „Schwartz’s“ gegessen zu haben, hat das vielleicht wichtigste Küchen-Kapitel verpasst. Und das will etwas heißen bei mehr als 5000 Restaurants. Die Spezialität in dem jüdischen Delikatessen-Diner heißt „Smoked Meat“. Und ist, rein kulinarisch, vom schwäbischen Rauchfleisch etwa so weit entfernt wie Münsingen von Montréal.

Bücher wurden über den Diner am Boulevard Saint-Laurent geschrieben und auch in Filmen kommen Frank und seine Truppe vor. Und jetzt noch: „Schwartz’s, The Musical“. Uraufgeführt im ältesten Montréaler Schauspielhaus, dem Centaur Theatre. Nach keinem Restaurant werde ich in Montréal häufiger gefragt als nach „Schwartz’s“. Dabei ist der Diner am Boulevard Saint-Laurent schwer zu übersehen. Vor der Tür warten bei Tag und Nacht lange Menschenschlangen geduldig auf Einlass. Reservierungen? Wo kämen wir denn da hin!

Ein paar Tische, eine Theke. Foto: Ben_Ross

Eigentlich ist „Schwartz’s“ ja gar kein richtiges Restaurant, sondern ein Loch in der Wand mit ein paar Tischen und einer Sitztheke, hinter der sich manchmal verschwitzte, aber fast immer gut gelaunte „Meatcutter“ eine Scheibe nach der anderen abschneiden. Serviert wird das berühmte Sandwich in Roggenbrot. Als Beilagen gibt’s hausgemachte Pommes, eine Salzgurke, Krautsalat oder eingelegte Paprika. Und viel Senf. Typisches Getränk: Cherry Coke. Cola mit Kirschgeschmack. Bärenhunger um Mitternacht? Kein Problem: Schwartz’s ist täglich von 8 bis 00:30 Uhr geöffnet. Samstags sogar bis 02:30 Uhr.

Superstar-Diner als Musical

„Smoked Meat“ ist gepökeltes Rindfleisch und wird nach einem Verfahren hergestellt, aus dem seit der Ankunft der jüdischen Schwartz-Family vor 80 Jahren ein Staatsgeheimnis gemacht wird. Die Coca Cola-Rezeptur ist ein offenes Buch dagegen. Da nützt auch meine Seilschaft mit Frank, dem Manager, nichts. (Frank ist übrigens der gestrenge Herr im Bannerfoto). Obwohl wir uns seit 30 Jahren kennen, hat er mir das Rezept bis heute nicht verraten.

Es wird gemunkelt, das Fleisch werde zuerst geräuchert und anschließend 10 bis 20 Tage und Nächte gepökelt, eingelegt in eben jene mysteriöse Mixtur aus Flüssigkeiten und Gewürzen. Ein bisschen wie Pastrami, aber … naja, Smoked Meat eben. Oder Viande Fumée, wie der Montréaler sagt.

Schwartz’s-Junkies sind leicht von den Touristen zu unterscheiden. Sie wählen bei der Bestellung zielsicher zwischen den drei Varianten: mager, halbfett und fett. Ganz Verrückte bestellen auch mal extrafett. Bei so viel kulinarischer Abenteuerlust empfiehlt es sich jedoch, vorsichtshalber gleich den Notarzt mit einzuladen.

Menschenschlangen bei Wind und Wetter

Das Ambiente bei Schwartz’s ist nichts für schwache Gemüter. Ausschließlich männliche Kellner servieren an Tischen, zwischen die gerade noch das Telefonbuch von Montréal passt. Tischdecke? Würde gerade noch fehlen! Wozu gibt’s denn Papieruntersetzer mit aufgedruckter Speisekarte. Auf den Steinfliesen geht es zu wie im kanadischen Winter. Achtung, Rutschgefahr! Das kommt von den vielen „Extrafett“-Bestellungen. Die Wand ist vollgepflastert mit Zeitungsclips: Rockmusiker und Hollywoodstars, Bestsellerautoren und Politiker – sie alle kucken dir beim Essen zu.

Eine Restaurant-Kritik an der Wand habe ich bisher allerdings nicht entdeckt.