Einmal um die Welt – und jetzt?

Was macht eigentlich ein Mensch, der elf Jahre seines Jahres damit verbracht hat, einmal um die Erde zu wandern und dann wieder zu Frau, Freunden und Familie in seine Heimatstadt zurückkehrt? Der Insekten verspeist und Raubüberfälle überlebt und dabei 54 Paar Schuhe verschleißt? Er schreibt an einem Buch, hält Vorträge. Und geht jeden Tag joggen.

Als hier im Blog von dem Marsch des Montrealers Jean Beliveau die Rede war, gingen die Klickzahlen in die Höhe wie schon lange nicht mehr. Jetzt, zehn Monate nach Beliveaus Rückkehr, bringt seine Frau alle, die sich für das Leben des Weltwanderers interessieren, auf den neuesten Stand.

Es geht ihm gut. Die Integration in sein Leben, 2. Teil, sei gelungen. Aus Angst vor Platznot habe man das kleine Apartment in der Montrealer Innenstadt verkauft und ein Haus im Grünen erworben. Geld verdient der Weltreisende offensichtlich auch. Er wird zu Vorträgen eingeladen, besucht Firmen und Schulen, tritt in Talkshows auf, darunter auch in einer französischen. Und er schreibt an einem Buch, das Anfang 2013 auf den Markt kommen soll.

Seine bisher größte Herausforderung, schreibt Beliveaus Frau Lucie, sei ein Vortrag für ein großes Unternehmen gewesen, den er ausschließlich in Englisch gehalten habe. Das sei deshalb erwähnenswert, weil Jean mit seiner zweiten Landessprache immer noch Probleme habe.

Fernweh? Nicht wirklich, sagt Lucie über Jean. Es sei ja nicht so, dass er gar nicht mehr auf Achse sei. Neulich seien sie in Quebec-City gewesen und in den Laurentians, nördlich von Montreal. Nicht schlecht, aber eben nicht die Anden und auch nicht die Chinesische Mauer und gleich gar nicht der Eifelturm.

Ein tolles Video über den Streckenverlauf finden Sie hier.

(Diese Infos stammen übrigens von meinem befreundeten Kollegen Gerd in Ottawa. Der steht mit Lucie und Jean in Mailkontakt. Danke!)

Typisch Montréal: Smoked Meat

Wer in Montréal war, ohne bei „Schwartz’s“ gegessen zu haben, hat das vielleicht wichtigste Küchen-Kapitel verpasst. Und das will etwas heißen bei mehr als 5000 Restaurants. Die Spezialität in dem jüdischen Delikatessen-Diner heißt „Smoked Meat“. Und ist, rein kulinarisch, vom schwäbischen Rauchfleisch etwa so weit entfernt wie Münsingen von Montréal.

Bücher wurden über den Diner am Boulevard Saint-Laurent geschrieben und auch in Filmen kommen Frank und seine Truppe vor. Und jetzt noch: „Schwartz’s, The Musical“. Uraufgeführt im ältesten Montréaler Schauspielhaus, dem Centaur Theatre. Nach keinem Restaurant werde ich in Montréal häufiger gefragt als nach „Schwartz’s“. Dabei ist der Diner am Boulevard Saint-Laurent schwer zu übersehen. Vor der Tür warten bei Tag und Nacht lange Menschenschlangen geduldig auf Einlass. Reservierungen? Wo kämen wir denn da hin!

Ein paar Tische, eine Theke. Foto: Ben_Ross

Eigentlich ist „Schwartz’s“ ja gar kein richtiges Restaurant, sondern ein Loch in der Wand mit ein paar Tischen und einer Sitztheke, hinter der sich manchmal verschwitzte, aber fast immer gut gelaunte „Meatcutter“ eine Scheibe nach der anderen abschneiden. Serviert wird das berühmte Sandwich in Roggenbrot. Als Beilagen gibt’s hausgemachte Pommes, eine Salzgurke, Krautsalat oder eingelegte Paprika. Und viel Senf. Typisches Getränk: Cherry Coke. Cola mit Kirschgeschmack. Bärenhunger um Mitternacht? Kein Problem: Schwartz’s ist täglich von 8 bis 00:30 Uhr geöffnet. Samstags sogar bis 02:30 Uhr.

Superstar-Diner als Musical

„Smoked Meat“ ist gepökeltes Rindfleisch und wird nach einem Verfahren hergestellt, aus dem seit der Ankunft der jüdischen Schwartz-Family vor 80 Jahren ein Staatsgeheimnis gemacht wird. Die Coca Cola-Rezeptur ist ein offenes Buch dagegen. Da nützt auch meine Seilschaft mit Frank, dem Manager, nichts. (Frank ist übrigens der gestrenge Herr im Bannerfoto). Obwohl wir uns seit 30 Jahren kennen, hat er mir das Rezept bis heute nicht verraten.

Es wird gemunkelt, das Fleisch werde zuerst geräuchert und anschließend 10 bis 20 Tage und Nächte gepökelt, eingelegt in eben jene mysteriöse Mixtur aus Flüssigkeiten und Gewürzen. Ein bisschen wie Pastrami, aber … naja, Smoked Meat eben. Oder Viande Fumée, wie der Montréaler sagt.

Schwartz’s-Junkies sind leicht von den Touristen zu unterscheiden. Sie wählen bei der Bestellung zielsicher zwischen den drei Varianten: mager, halbfett und fett. Ganz Verrückte bestellen auch mal extrafett. Bei so viel kulinarischer Abenteuerlust empfiehlt es sich jedoch, vorsichtshalber gleich den Notarzt mit einzuladen.

Menschenschlangen bei Wind und Wetter

Das Ambiente bei Schwartz’s ist nichts für schwache Gemüter. Ausschließlich männliche Kellner servieren an Tischen, zwischen die gerade noch das Telefonbuch von Montréal passt. Tischdecke? Würde gerade noch fehlen! Wozu gibt’s denn Papieruntersetzer mit aufgedruckter Speisekarte. Auf den Steinfliesen geht es zu wie im kanadischen Winter. Achtung, Rutschgefahr! Das kommt von den vielen „Extrafett“-Bestellungen. Die Wand ist vollgepflastert mit Zeitungsclips: Rockmusiker und Hollywoodstars, Bestsellerautoren und Politiker – sie alle kucken dir beim Essen zu.

Eine Restaurant-Kritik an der Wand habe ich bisher allerdings nicht entdeckt.