Der Tag hatte, wie jeder Tag in Palma, wunderbar angefangen: Der strahlend blaue Himmel versprach nur Gutes, das „Inselradio“ 21 Grad. Alfonso war, was nicht selbstverständlich ist, gut gelaunt, als er uns die Ensaimada servierte. Freunde, was kostet die Welt? Sagen wir mal: 140 Euro.
Ein Wochenauftakt könnte schlimmer sein, als ihn mit einem Spaziergang an der Uferpromenade zu begehen. Vorbei an all den großen und kleinen Segelschiffen und an den bunten Fischernetzen, die breitmaschig ausgelegt darauf warten, geflickt zu werden. Papageien in den Palmen, eine Amsel im Gebüsch. Und dann: eine dieser schwarz gekleideten Frauen, deren Lächeln ich einfach nicht lesen kann. Erst probiert sie mit aufgesetzter Freundlichkeit, Lore einen Kräuterstrauß ins Dekolleté zu stecken. Lore winkt ab, zu viel Intimität am frühen Morgen. Doch die fremde Frau lässt nicht locker und zwängt meiner Frau das Bündel Kräuter geradezu gewaltsam auf. Das war nicht gut.
Es entwickelt sich eine Art Hütchenspiel, mit dem meist osteuropäische Ganoven Touristen trickreich Geld aus der Nase ziehen oder auch aus dem Portemonnaie. Nur waren diesmal keine Hütchen im Spiel, sondern Kräutersträuße. Jetzt ist Lore nicht der Typ, der mit alten Frauen Streit anfängt. Also lässt sie die Alte schliesslich gewähren, nimmt das Sträußchen entgegen, öffnet ihr Portemonnaie und zieht daraus zwei Euro. Damit will sie der jetzt immer aufdringlicher werdenden Frau ihren unfreundlichen Lorbeerdienst bezahlen.
Das Ablenkungsmanöver der Kräuterhexe
Ich tue inzwischen das, was Männer gerne tun, wenn Frauen untereinander Geschäfte machen: Ich laufe weiter. Als der Abstand noch keine zehn Schritte beträgt, vernehme ich tumultartiges Handeln hinter meinem Rücken. Ich drehe mich um, laufe auf Lore und die Alte zu und sehe in dem Moment, wie die Lorbeerfrau 140 Euro unter dem Zeitungspapier verschwinden lässt, mit der die Alte ihre Kräuter verpackt hat. Die Scheine hatte sie während eines Ablenkungsmanövers mit dem Strauß fast unbemerkt aus Lores Portemonnaie gezogen. Das gestohlene Glück währt nicht lange. Lore entreißt ihr die Scheine wieder. Ich stellt die Alte in den Senkel. Das war’s schon.
Nichts passiert, zumindest nichts Dramatisches. Und trotzdem bietet so ein versuchter Trickdiebstahl Gesprächsstoff für die nächsten Stunden. Hatten wir was falsch gemacht? Waren wir zu gutgläubig? Hätten wir nicht ahnen müssen, dass eine dunkel gekleidete Alte irgendetwas im Schilde führt, wenn sie einer Frau, offensichtlich Touristin, einen Strauß mit Kräutern aufdrängt?
Immer auf der Hut sein. Auch vor alten Damen.
Eigentlich nicht. Freundlichkeit ist auf Mallorca kein Luxus. Man findet sie in vielen Formen und an jeder Ecke. Nur nicht an einem strahlenden Montagmorgen im Hafen von Palma, wo eine alte Frau mit einer gemeinen Aktion leicht den guten Ruf der liebenswerten Palmesanos ins Wanken bringen könnten. Mein Bild von der Sicherheit auf Mallorca hat dieses düstere Wesen trotzdem nicht erschüttert, denn der Vorfall hätte sich überall auf der Welt ereignen können. Aber vielleicht ist es ganz gut, sich hin und wieder einem Reality Check zu unterziehen, wenn man auf Reisen ist. So gesehen ist diese Episode auch nicht als Anklage gemeint. Eher als Hinweis, auch ohne Hütchenspieler immer und überall auf der Hut zu sein. Auch bei alten Damen.