Ein bisschen wie Disneyworld

Wildnis und Kommerz sind in Kanada manchmal nahe beieinander. Nehmen wir den heutigen Tag: Du frühstückst noch gemütlich an deinem See, keine Menschenseele weit und breit. Zwei Kolibris liefern sich am Zuckerwasserhäuschen die tägliche Schlacht am kalten Büffet, Eichhörnchen und Chipmunks stehen zur Begrüßung vor der Blockhütte stramm, in der Hoffnung, einen der Kirschkerne vom Vorabend zu ergattern. Ein Loon, der kanadischste Seevogel aller Seevögel, spielt das tägliche Versteckspiel mit sich selbst, taucht ab und auf und ab und wieder auf, so lange, bis er den Spiegeltanz satt hat und mit einem Fisch im Schnabel davon fliegt.

Morgens am Lac Dufresne

Das knallrote Kanu in der Bucht vor deiner Hütte wippt wichtig im Takt der Wellen. Du ignorierst es, schnallst stattdessen den Rucksack um und wanderst vom Tal auf dem steilen Waldweg dem Gipfel entgegen. Dort wohnt dein Auto, schlummert eingestaubt vor sich hin. Und freut sich, Herrn und Frau Blockhäuslesbesitzer aus der Wildnis in die Zivilisation kutschieren zu dürfen. Und sei es nur für einen wolkenverhangenen Tag.

Die Wildnis heißt Lac Dufresne und liegt zwei Autostunden nördlich von Montréal. Die Zivilisation taucht eine weitere Autostunde Richtung Norden am Horizont auf und nennt sich Mont Tremblant. Ein bisschen Disneyworld im kanadischen Nirgendwo. Spielwiese für Cityslickers.

Mittags am Spa de Mont Tremblant

Mont Tremblant ist eine schrille Ansammlung von exquisiten Ferienhäusern, handverlesenen Hotels, feinen Boutiquen und Restaurants mit bunten Blechdächern und falschen Erkern. Man isst dort Bratwurst mit Sauerkraut, Steak frites, Fajitas oder auch Crêpes mit Blaubeermarmelade. Wer die Taler locker sitzen hat, darf sich auch sternemässig bekochen lassen. Der Liquor Store führt Veuve Clicquot und edle Weinsorten aus Frankreich, Italien und Chile. Tommy Hilfiger ist hier und all die anderen, deren Namen jeder kennt wie Coca Cola und McDoof. Ein viel zu grosser Grußaugust auf einem viel zu kleinen Fahrrad bringt kleine Kinder manchmal zum Lachen.

Ein bisschen St. Moritz, ein wenig Disneyworld

Mont Tremblant ist ein Ferienort, in dem sich im Winter vor allem Japaner, Südamerikaner und auch Erholungssuchende aus Europa zum Skifahren, Snowboarden und Eissurfen treffen. Ein bisschen Sankt Moritz für nicht ganz Arme. Nicht gar so mondän, aber fast so teuer. Im Sommer wimmelt es in den Resorts von Kurzeitreisenden, die sich im Spa verwöhnen lassen, nachdem sie den Golfschläger verstaut haben. Aber auch von wulligen Wanderern, die tagsüber ihre Kletterkünste an den steilen Felsen der Umgebung üben und sich abends bei Bier und Chips in der micro brewery treffen, wo der Saft, der oben aus dem Zapfhahn kommt, unten im Keller gebraut wird.

Schrill und laut und gar nicht kanadisch

Wer schlecht zu Fuß ist oder schlicht keinen Bock auf Bewegung hat, kann sich kostenlos in der Stehgondel von einem Ende bis zum anderen schippern lassen – immer in Sichtweite über den roten, grünen und senfgelben Blechdächern von Mont Tremblant. Wer danach immer noch nicht genug hat, zahlt von jetzt an ziemlich viel für ziemlich wenig Höhenmeter. Eine Seilbahn bringt dich jetzt auch noch auf den letzten Gipfel. Von hier aus blickst du ins Tal, über die bizarre Stadt, die wie Disneyworld anmutet und auf den See, der dich daran erinnert, dass du dich doch noch irgendwo in der kanadischen Natur befindest und nicht im vergnügungssüchtigen Amerika.

Ein Haus, nicht teurer als ein Gebrauchtwagen

Nach ein paar Stunden ist dann aber auch gut und du freust dich wieder auf deinen See, fährst vorbei an Häusern und Hütten, in denen Menschen wohnen, von deren Leben du keine Ahnung hast. Du fragst dich, wie Leute eigentlich ticken, die alle vier Jahreszeiten in einem Trailer verbringen, der nicht mehr kostet als ein schlecht gepflegter Gebrauchtwagen.

Keine Fabrik weit und breit, nur Wälder und Seen, ein paar Tankstellen, ein Videostore und ein Tante-Emma-Laden, der hier Dépanneur heißt und tatsächlich, wie der Name sagt, Pannenhilfe-Funktion hat. Hier bekommst du Glühbirnen und Bananen, Kondome und Nachttischlämpchen – nichts ist dem Kanadier fremd, der es sich, jeder auf seine Façon, nett machen möchte.

Ein Traum für 18 000 Dollar

Und dann, als sich der Tagesausflug von deiner Blockhütte in die Zivilisation und wieder zurück schon fast dem Ende zuneigt, stehst du fassungslos vor einem Retro-Reisebus aus den 50er-Jahren, den ein Mensch in dieser herrlichen, aber gottverlassenen Gegend zwischen Busch und Ballaballa zu seinem Heim umgebaut hat. Violett ist er, der Bus. Und zu verkaufen. Für 18 000 Dollar.

Die Fata Morgana hat einen Namen: „Just A Dream“, steht auf dem Schild über der Windschutzscheibe. Und plötzlich hast du das Gefühl, der Bus habe in dem Film „Priscilla, Queen of the Desert“ Fahrerflucht begangen und gehöre in Wirklichkeit nach Australien und nicht in die kanadische Wildnis.

Dir ist, als lebe nicht der Bus gerade seinen Traum, sondern du.

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