Überleben in der Wildnis

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Stromausfall am frühen Morgen. Die Kerzen müssen rationiert werden, das Verfallsdatum der Batterien für die Taschenlampe lautet: September 2001. Das mit der Vorsorge haut auch nicht mehr so hin wie kurz nach dem katastrophalen Eissturm von 1998.

Damals war Millionen Quebecern vor Schreck das Blut in den Adern geronnen.  Wochenlang mussten sie – also wir – ohne Heizung, ohne Elektroherd, ohne warmes Wasser und selbst ohne Bargeld aus dem Bankautomat auskommen. Nichts ging mehr. Auch die Zapfsäule an der Tankstelle hatte das Pumpen eingestellt. Zentimeter dicke Eisschichten hatten die Überlandleitungen der ganzen Provinz zum Knicken gebracht.

15 Jahre nach dem Großen Eissturm: Wieder im Dunkeln

Und jetzt, 15 Jahre später? Sitze ich wieder im Dunkeln. Der Kaffee wird mit lauwarmem Wasser aufgebrüht, das der Holzofen nach einstündigem Warten nur widerborstig auf Zimmertemperatur gebracht hat. Und überhaupt neigt sich der Holzvorrat dem Ende zu. Diese Zeilen tippe ich auf dem schwindsüchtigen MacBook, der langsam Hunger hat. Noch operiert er bei 52 Prozent. Bei 30 werde ich den Deckel zuklappen. Wer weiss, was noch alles getippt werden muss, das wirklich wichtig ist.

Diesmal erleben wir den Stromausfall nicht im Eigenheim. Wir haben uns in die Blockhütte gewagt, zwei Stunden nördlich von Montreal. Hier wollten wir dem Halloween-Zirkus in der Stadt aus dem Weg gehen. Und überhaupt: Was gibt es Schöneres, als von der City aufs Land zu fahren und dort vom Küchenfenster aus dem See beim Wellengang zuzusehen.

Sagte ich Weltuntergang? Einen Sturm wie diesen gab es seit zehn Jahren nicht mehr, las ich kurz vor dem Blackout noch im Handy.

Dem Wellengang habe ich nun stundenlang zugesehen, das Ruderboot, das der Wind wegzublasen drohte, ist sturmfest versorgt. Von mir aus könnte jetzt wieder Schluss sein mit dem ganzen reduzierten Hüttenzauberkram.

Gefällte Bäume über dem Wanderpfad

Klar, ich könnte zum Auto wandern und in die große Stadt zurück. Aber eine Zufahrt zum Blockhaus gibt es nicht und der Wagen steht hoch oben auf dem Berggipfel geparkt, unsere Hütte liegt auf See-Ebene. Der Weg nach oben ist beschwerlich und führt durch einen Wald. Vermutlich liegen gefällte Bäume kreuzweise über dem Wanderpfad. Also bleiben wir hier. Lesen, warten, lesen, reden, warten.

Genau so wollten wir es, als wir diese Cottage vor 16 Jahren erstanden haben. Die Natur wollten wir am Bauch kitzeln und dem Schicksal in den Hintern treten, sollte es uns dann tatsächlich einmal herausfordern. Ist ein mehrstündiger Stromausfall eine echte Herausforderung? Eher nicht.  Also lesen wir und schreiben und lesen und warten. Und machen es uns nett.

Der „Survival Spirit“ schwindet dahin

Trotzdem zweifle ich an Tagen wie diesen an meinem Überlebensgeist. Vieles von dem, was ich mit 30, 40 oder von mir aus auch 50 noch sportlich gesehen habe, wird mir lästig. Achtung! Opa erzählt jetzt kurz vom Krieg: „Lasst euch sagen, Kinder, mit fast 65 lässt der Survival Spirit nach!

Warum soll ich Feuerholz den Berg hoch oder runter schleppen, nur damit ich es warm habe? Hat der liebe Gott nicht genau dafür die Heizung erfunden und den Elektroherd?

Und während ich meinen Logenplatz verfluche, von dem aus ich zusehe, wie der Sturm einen Baumstamm über dem Lac Dufresne vor sich hintreibt, flackert verheißungsvoll die einzige Lampe im Haus. Hurra, der Strom ist wieder da! Und geht Sekunden später wieder aus …

Margas Geheimrezept bei Katastrophen: Suppe hilft immer!

Aber dann, genau drei Stunden und 20 Minuten, nachdem der  Strom sich verabschiedet hatte, geht das Licht wirklich wieder an. Jetzt nichts wie dem Rechner Stoff geben, das Handy aufladen, Kaffee machen, Suppe kochen. „Suppe auf dem Holzofen ansetzen!“, hat unsere Freundin Marga oft gesagt, ehe sie vor ein paar Wochen gestorben ist, „Suppe kochen ist Pflicht, wenn der Strom ausfällt“. Suppe hält warm und macht satt.

Marga musste es wissen, sie ist 93 Jahre alt geworden und hat mehr Stromausfälle erlebt als uns voraussichtlich noch bevorstehen.

Achtung, unkorrigiert! Kurz nach dem Einstellen dieses Blogposts wieder Stromausfall. Der MacBookAir ist jetzt bei 28 Prozent. Klappe zu und tschüss.

Ein Gedanke zu „Überleben in der Wildnis

  1. Hallo Herbert,

    ich bewundere Dich sehr, eine kalte Hütte, das wär nix für micht. Denn nicht erst mit fast 65 lässt der Survival Spirit nach. Bei mir war es ungefähr das 30. Lebensjahr, als ich das Windsurfen an Pfingsten am Ijsselmeer in Holland zwar noch o.k. fand, aber nicht mehr das anschließende Hineinkriechen in das eiskalte Zelt mit den klammen Schlafsäcken. Auch zu zweit wurde es nicht besser. Denn es ist ja bekannt, dass Frauen zum Vorspiel immer eine langfristig vorher angestellte Heizung benötigen. Mein Mann und ich sind deshalb am Ijsselmeer nur noch mit dem Wohnwagen aufgetaucht. Spießig hin oder her: Nix mehr klamm und mit Heizung, Gesundheit und Eheleben gerettet.

    Aprops Survival: Was macht denn das Fitnesscenter? ;-)

    Liebe Grüße aus dem ebenfalls sturmgeplagten Ruhrpott
    Silke

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