
Haben Menschen kein eigenes Leben, wenn sie wochenlang jeden Prozesstag verfolgen, in dem es um die B-Schauspielerin Amber Heard und den Hollywoodstar Johnny Depp geht? Schlimmer noch: Haben sie ihr Leben verloren, wenn sie, wie Karl Lagerfeld meinte, das Ganze auch noch in Jogginghosen tun? Keineswegs.
Ich bekenne mich schuldig. Der Voyeur in mir hat gesiegt. War ich zuhause, saß ich gebannt vor dem Laptop. Unterwegs zückte ich schon mal in der U-Bahn oder im Café das Handy, um nichts zu verpassen. Neigte sich dann der Prozesstag dem Ende zu, hätte ich dem Countdown-Zähler gerne Speed gegeben. Schließlich brauchte ich am nächsten Morgen wieder neuen Stoff.
Mehr als einmal stellte ich fest: Ich bin nicht allein. Auch andere Menschen, die noch ein richtiges Leben haben, konnten sich der Faszination dieses Promi-Prozesses nicht entziehen. Kein Wunder, denn er enthielt alles, was wir Storyteller so lieben:
Macht. Glamour. Show. Skandale. Schöne Frauen. Attraktive Männer. Filme. Geld. Liebe. Leidenschaft. Exotische Reisen. Gewalt. Sex, Drogen und selbst Rock’n-Roll. Schließlich war Johnny Depp, noch ehe er in Hollywood landete, ein nicht ganz unbekannter Musiker.
Ob ein Mister Depp 100 Millionen Dollar an seine Ex-Frau Amber Heard blechen muss, oder ob “Miss Heard”, wie er sie während des Prozesses nannte, 50 Millionen an ihren vermeintlichen Peiniger zahlt, ist mir relativ wurscht. Der Unterhaltungswert so einer Geschichte ist unbezahlbar.
Und für häusliche Gewalt, nur um dies auch noch klarzustellen, gibt es sowieso keine Entschuldigung. Kein Betrag der Welt wird die Folgen wieder gut machen können.
Ohne dem Urteil vorgreifen zu wollen: So richtig knusper sind Beide nicht. Wer, wie Johnny Depp, nicht mehr weiss, wie viele Immobilien und Luxusautos er besitzt und wer, wie Amber Heard, eine dieser Immobilien, ein Millionen Dollar teures Penthouse in Los Angeles, einzig und allein als Umkleidezimmer benutzt, hat andere Sorgen als Sie und ich.
Wenn im Prozess vom Alltag des Ehepaars Depp-Heard die Rede war, dann hörte sich das ungefähr so an:
“Auf dem Flug von Los Angeles nach Moskau hat er mir im Privatjet eine gewischt”.
“Nach der Hochzeitseise im Orient-Express nach Bangkok hatte ich ein Veilchen”.
“Zum Geburtstag auf Johnnys Privatinsel auf den Bahamas kam er zu spät und wurde wütend.”
“Während eines Filmdrehs in Australien hat er die Küche kurz und klein geschlagen”.
„Zum Frühstück gab’s Kokain und Whisky“.
“Vor einem Presstermin in Tokio ist er mal wieder total ausgerastet und hat sich in eine Ecke der Hotelsuite verkrümelt“.
“Mein Wein-Budget beläuft sich auf 30.000 Dollar im Monat”.
“Ich weiss nicht mehr genau, wie viele Häuser ich in Hollywood besitze. Ich glaube, es sind fünf”.
“Ach ja, zusätzlich zu den Häusern in den Hollywood Hills kommen noch fünf Penthäuser, auf einem Stock, die ich in der Innenstadt von Los Angeles bewohne“.
“Ich besitze noch ein kleines Dorf in der Nähe von St. Tropez”.
„Das Schlösschen in Südfrankreich musste ich für ein paar Millionen restaurieren lassen“.
Und da wundern sich Leute, warum die Nation am Fernseher klebt?
Schon jetzt steht fest: Egal wie das Urteil nächste Woche ausfällt, es gibt nur Verlierer. Wer wochenlang jedes noch so intime, manchmal unappetitliche Detail seines Leben so vor der Weltöffentlichkeit ausbreitet, hat es doch eigentlich schon verloren.
Ich bin da ganz egoistisch und hätte den Beiden gerne noch ein wenig beim Verlieren zugeguckt.
So viel Unterhaltung für so wenig Geld gibt’s so schnell nicht wieder.