Läuft gut: „Es wird kälter!“

FEUERWEHR-EINSATZ bei minus 42 Grad: „Schrecklich!!!“ (Foto: CP/CTV-TV)

Motzen geht immer. Noch vor einigen Wochen war an dieser Stelle von viel zu milden Temperaturen und zu wenig Schnee die Rede. Jetzt zeigt uns Petrus den Mittelfinger und räumt auf mit metereologischen Vorurteilen. Glaubt man der kanadischen Umweltbehörde, dann werden wir zurzeit von einer Kältewelle heimgesucht, wie es sie jede Generation nur einmal erlebt.

Wie sich minus 46 Grad Celsius in Montreal anfühlen? So, als könnte dir der Wind jeden Moment die Haut in Fetzen reissen. Schon klar: Die minus 46 ist die gefühlte Temperatur mit einkalkuliertem “wind chill factor”. Auf dem Thermometer ist ohnehin nichts zu sehen. Das ist nämlich seit Tagen eingefroren.

Eingefroren ist auch die Balkontür. Die lässt sich nicht mehr richtig schließen. Heiße Luft war gestern. Die Klinke macht keinen Muckser mehr. Dafür pfeift der Wind durch die Ritzen. Den Anruf beim Schlüsseldienst sparen wir uns für mildere Tage auf. Das Apartment würde bei Reparaturen mit offener Tür innerhalb weniger Minuten bis zur Unbewohnbarkeit auskühlen.

Ein Glück, dass die undichte Stelle mit Klamotten, Sofakissen, Zeitungspapier und dem berühmten kanadischen Alleshelfer, “duct tape” vorübergehend versiegelt werden kann.

Gestern hatten wir kein Internet. Ob die Störung auf übermäßige Kälte oder mangelnden Kundenservice zurückzuführen ist, wird das Geheimnis des Providers bleiben. Eine definitive Antwort steht jedenfalls noch aus.

Dass Wasserleitungen bei Temperaturen wie diesen einfrieren, ist lästig, aber nichts Besonderes. Und auch dass die Heizung vorübergehend ausfällt, passiert öfter mal. Die Wärmepumpen, die im Sommer als Klimaanlagen dienen, stehen oft auf ungeschützten Dächern und geben schon mal den Geist auf. Mein Freund Doug kann jetzt ein Lied davon singen.

Dass das Leben in einer Millionenstadt wie Montreal auch bei Extremtemperaturen wie diesen trotz einiger Einschränkungen fast normal weiterläuft, fasziniert mich auch nach 40 Jahren Kanada noch immer. Auf Kälteeinbrüche, Eisregen und Schneemassen sind die Kommunen hier bestens vorbereitet.

Bei einem dramatischen Feuer im Osten der Stadt wurden in der Nacht 20 Familien obdachlos. Kaum war der Alarm ausgelöst, standen auch schon Rettungsbusse der Hilfsorganisationen da. Es warteten Tee, Heizdecken und heisse Suppen auf die Bewohner, die soeben ihr Hab und Gut verloren hatten.

Mit beheizten Bussen werden Tag und Nacht auch Obdachlose von der Straße geholt und in Notunterkünfte gebracht. Angeblich gibt es genug Betten fü jeden und jede.

Der Junge, der auf dem Parkplatz des Supermarkts die Einkaufswagen einsammelt, klagt nicht, er bibbert nur. “Wir sind in Kanada”, erinnert er mich am Vorbeilaufen. Wie könnte ich das nur vergessen?

Lediglich das traditionelle Eisbaden im St-Lorenz-Strom zum Auftakt des Winterkarnevals in Quebec City wurde wegen der bitteren Kälte verschoben. „Morgen dann“, lächelte eine enttäuschte Teilnehmerin in die Kamera, „spätestens übermorgen“.

Mitleid? Geht so.

Der Freund in Köln reagiert gewohnt pragmatisch. “Es läuft gut für uns”, schreibt er. “Der Klimawandel ist da. Es wird kälter, nicht wärmer”.

Der Neffe in Wien hat für die kanadische Eiszeit nur ein Wort und drei Ausrufezeichen übrig:

“Schrecklich!!!”

HAUSMEISTER FRANCESO beim Schneeräumen. „Wir Spanier mögen das nicht so!“