Auf dem „Leopard“ in Camp Shilo

NICHT GEDIENT, ABER DOCH IM EINSATZ: In den Siebzigern in Camp Shilo/Manitoba

Leopard-Panzer? Pah! Kenne ich! Schwer zu glauben, aber der Kerl mit Bart, der da im schweren Kriegsgerät posiert, bin ich. Dabei habe ich nie gedient. Aber das Reporter-Glück brachte mich Mitte der 70er-Jahre für eine Reportage nach Camp Shilo/Manitoba. Auf dem dortigen Truppenübungsplatz probte die Bundeswehr von 1974 bis zum Jahr 2000 den “scharfen Schuss”.

“Herby in Uniform – das kann ja lustig werden!“ Ich habe die Worte noch im Kopf, mit denen mich mein damaliger Chefredakteur Bernd Längin von Winnipeg aus ins 210 Kilometer westlich gelegene Camp Shilo schickte. In Winnipeg hatte ich nach meiner Ausbildung in Deutschland als Reporter bei einer der damals auflagenstärksten deutschsprachigen Auslands-Wochenzeitschriften angedockt, dem “Kanada Kurier”.

“Ich war jung, und brauchte das Geld”, ist nur die halbe Wahrheit, die zu dieser Mission geführt hatte. Stimmt: Jung war ich, gerade mal 24. Aber wegen des Geldes bin ich bestimmt nicht zu einer in journalistischer Hinsicht nicht gerade Pulitzerpreis-verdächtigen Postille ans andere Ende der Welt gegangen. Es war das Abenteuer, das mich lockte, nicht die Kohle.

Mein Reportergehalt war damals so mickrig, dass ich zur Monatsmitte regelmäßig im Kaufhaus “Hudson’s Bay Company” vorstellig wurde, um mir meine Zigaretten auf Kreditkarte zu kaufen. Das war auch im aufgeschlossenen Kanada damals nicht üblich. Aber die Verkäuferinnen bei “The Bay” hatten ein Einsehen mit dem klammen German Boy und machten Monat für Monat eine Ausnahme für mich. Kippen auf Kredit – sowas gab es damals tatsächlich.

Es war Hochsommer, als ich mit meinem VW-Campingbus auf dem Trans-Canada-Highway Number One in das Städtchen Brandon und dann weiter nach Camp Shilo tuckerte. Auf dem Truppenübungsplatz angekommen, musste ich vor dem Anpassen der Uniform erst einmal die Hosen runterlassen.

“Nein”, sagte ich wahrheitsgemäß bei meiner Vorstellung, “gedient habe ich nie. Aber”, und hier beginnt die Lüge, “interessiert habe ich mich schon immer für die Bundeswehr”.

Die Wahrheit ist: Ich hasste Uniformen, verachtete das Militär und blickte mit Argwohn auf jeden, der seine Jugend in den Dienst einer Einrichtung stellt, die notfalls auf Menschen schießen lässt.

Aber das war nicht Thema meiner Reportage. Thema war: Wie ist das, wenn 5600 deutsche Soldaten mit einem hochmodernen Panzer vom Typ „Leopard“ den scharfen Schuss üben? Und: Warum ausgerechnet hier, in der kanadischen Prärie? 

Die Antwort auf die zweite Frage war einfach: Weil es im gesamten NATO-Raum keine freie Übungsfläche gab, die auch nur annähernd an die Dimensionen von Camp Shilo kam: 96,000 Acres, gut 380 Quadratkilometer. Das entspricht mehr als der Fläche von Stuttgart, Ulm und Biberach zusammen.

Meine Erinnerung an den Reportereinsatz in Camp Shilo vor fast 50 Jahren ist eher lückenhaft. Ich weiss noch, dass ich eine Uniform tragen sollte, von der ich bis heute nicht weiss, welchen Dienstgrad sie mir verlieh. 

Ausserdem kommen mir, wenn ich an die Prärie denke, Millionen von Moskitos in den Kopf. Ihre Angriffe abzuwehren war schwieriger als sich vor dem imaginären Feind in Deckung zu bringen.

Das Essen. Daran erinnere ich mich auch noch. Deutsche Hausmannskost mitten in der kanadischen Prärie. Wie hatte ich das vermisst! Warum die „Gulaschkanone“ allerdings so heißt, ist mir bis heute nicht klar. Soldatensprach, schwere Sprach.

Schlaf gab’s wenig, dafür viel Alkohol und bis in die Nacht hinein viel zu erzählen. Die meisten der mir zugeteilten Kameraden im Schlafsaal waren übrigens richtig nett. Einige trauten mir in meiner Uniform wohl nicht so richtig über den Weg. Verständlich: Irgendwie war ich ja auch der Spion, der aus Ummendorf in die kanadische Prärie gekommen war.

Probesitzen im “Leopard”-Panzer war fürchterlich. Eng, heiss und laut. Wenn von hinten die “Howitzers” anrollten, die Panzerhaubitzen, konnte einem Angst und Bange werden.

Im Jahr 2000 kündigte die Bundeswehr den Vertrag mit dem kanadischen Verteidigungsministerium aus militärstrategischen, aber auch aus Kostengründen. Mit dem Mauerfall sei, so mutmaßte man damals in Politikerkreisen, eine bis zu den Zähnen bewaffnete Bundesrepublik nicht mehr nötig. Was für ein Trugschluss!

Als Deutschland schließlich seine Truppen aus Manitoba abzog, hatten insgesamt 150.000 Soldaten in Camp Shilo trainiert.

Bin ich stolz darauf, zeitweise einer von ihnen gewesen zu sein? Nicht wirklich. Aber die Erfahrung, im heute so heiss diskutierten “Leopard” gesessen zu haben, kann mir keiner mehr nehmen.

Blick in die Kochtöpfe der Welt

Thailändisches Huhn in einer grünen Currysauce? Gegrillte Rippchen vom Grill beim Portugiesen? Oder wie wär’s mit Tandoori Chicken mit Reis und einer indischen Currygemüse-Pfanne? Zu exotisch, sagen Sie? Kein Problem. Fish&Chips im British Pub um die Ecke geht immer. Ein kleiner kulinarischer Streifzug durch die Stadt meines Herzens.

5000 Kneipen und Restaurants gibt es angeblich in Montreal, in Worten: FÜNFTAUSEND. Wer hier nicht fündig wird, sollte sich Gedanken über eine neue Suchmaschine machen.

Es hat sich einfach so ergeben, dass wir in den letzten Tagen und Wochen viel auf Achse waren. Besucher aus Deutschland und der Schweiz, die verwöhnt werden wollten. Kanadische Freunde, die im Feiertagstrubel ein wenig vernachlässigt wurden. Auch ein Geschäftsessen mit dem Steuerberater war dabei. Alles in allem ein paar tausend Kalorien zu viel für einen, der ohnehin noch nie im Leben an Untergewicht litt.

Der Thailänder heisst Pick Thai und liegt im Stadtteil Notre-Dame-de-Grâce – sicher nicht die erste Adresse für feines Essen. Aber genau das haben wir in dem unscheinbaren Restaurant gegenüber der Métro-Station Vendôme vorgefunden. 

Wunderbar frisch zubereitete asiatische Küche, liebevoll serviert. Mit einer Auswahl, die auch den anspruchsvollen Geschmack trifft. Für mich durfte es Huhn und Shrimps in grüner Curry-Sauce sein, als Beilage “sticky rice”, eine Basmati-Reisart, die an den klebrigen Reis erinnert, der von Sushi-Köchen verwendet wird.

Huhn aus dem Tandoori-Ofen gab’s ein paar Tage später bei meinem Lieblings-Inder Swagat, von dem hier schon öfter die Rede war. “Tandoori Chicken” wird in Joghurt und einer  exotischen Gewürzmischung mariniert und dann goldbraun im 300 Grad heißen Lehmofen gebacken. 

Als Beilage bieten sich Basmatireis und Gemüsecurry an. Fortgeschrittene Esser mit etwas höherem Kalorienbedarf lassen sich dazu noch ofenfrisches Naan servieren, ein Fladenbrot, das auf dem indischen Subkontinent etwa so populär ist wie Spätzle in Ummendorf.

Der Portugiese! Den wünscht sich mein befreundeter Steuerberater schon seit gut 20 Jahren zu unserem jährlichen “business lunch” (oder wie immer man das nennt, wenn zwei ältere Herren stundenlang von ihren Krankheiten erzählen). Dass unser portugiesisches Stammlokal ausgerechnet während der heissen Phase von Covid abgefackelt wurde, ist tragisch. Aber es ist ja nicht so, dass es in Montreal keine Alternativen dazu gäbe.

Eine davon ist das Casa Minhota und liegt in meiner Lieblingsstraße, dem Boulevard Saint-Laurent, vier Türen nördlich vom berühmten Diner Schwartz’s, dessen Besitzerin Céline Dion heißt. Im Gegensatz zu Schwartz’s hat das Casa Minhota kein “Smoked Meat” im Angebot, dafür jede Menge Fischgerichte und auch Rippchen vom Holzkohlengrill. Wer ein portugiesisches Restaurant verlässt, ohne zum Dessert noch eine Crème Caramel verzehrt zu haben, hat das Leben nicht verstanden.

Heute war dann schließlich noch das Pub Burgundy Lion an der Reihe, gerade mal um die Ecke von uns. Bier vom Fass, dazu Fish&Chips (oder umgekehrt), das Ganze mit einem Gesprächspartner, der als Kardiologe nicht nur die Herzen der Menschen kennt, sondern auch die Küchen dieser Welt – was will man mehr an einem Wintertag wie diesem?

Vielleicht noch eine Überraschung zum Schluss? Der Vater der frisch aus England zugereisten Kellnerin lebte jahrelang in Biberach, gerade mal fünf Kilometer von Ummendort entfernt.

Ein weiterer Griff in die Wundertüte, die sich Leben nennt.

MONTREAL IM WINTER: Ein nettes Restaurant findet sich immer. Fotos © Bopp

Jetzt haben wir den Sch…

Genau. Jetzt haben wir den Schnee. Erst neulich hatte ich ihn an dieser Stelle noch vermisst. Jetzt ist er da. In solchen Mengen, dass ich seit Tagen nicht mehr aus dem Haus war. Dabei funktioniert die Schneeräumung in Kanada vorbildlich. Aber in einer Millionenstadt wie Montreal dauert es halt, bis Fräsen, Pflüge und Laster auch noch in die letzten Ecken kommen. 

Das heisst, das mit dem “Nicht-mehr-aus-dem-Haus” ist nur die halbe Wahrheit. Zum Glück gibt es Freunde, die ihren gehbehinderten Kumpel auch im Blizzard im Auto abholen und wieder zurückbringen. Abendessen beim Inder? Lunch beim Portugiesen? Alles kein Problem.

Und wo ist die Frau an meiner Seite? Steckt im Schneesturm auf der Farm fest. Auch das kein Beinbruch: Sie macht es sich am Holzofen kuschelig mit der Freundin aus der schneearmen Schwyz.

Einem Schneesturm etwas Positives abzugewinnen, ist gar nicht schwer. Zu wissen, dass es vorübergehend keine einfache Möglichkeit gibt, die Wohnung zu verlassen, trägt wesentlich zur Entschleunigung bei.

Hörbücher, die ich längst schon hören wollte, sind jetzt plötzlich auf meiner Playlist (Aktuell: “Berlin Alexanderplatz”) Podcasts, die ich schon fast nicht mehr auf dem Schirm hatte, werden wieder aktuell. (“Canadian True Crime”, “ZEIT-Verbrechen”, “Deutsches Reiseradio” und auch die schrägen Mädels aus Chemnitz mit “Da muss man dabei gewesen sein”). 

Songs, die ich schon seit Jahren nicht mehr auf der Gitarre gespielt hatte, werden entstaubt und mit neuen Akkorden aufgepimpt (Le Métèque, Sailing, Hallelujah).

Nur das mit den höheren Tönen muss ich noch üben. Mit Kreuz- und Stimmbändern geht das Alter nicht immer gnädig um. Seitdem ich weiss, dass auch Rod Stewart sein „Sailing“ um eine Oktave tiefer singt als noch vor ein paar Jahren, fühle ich mich besser.

Langeweile? Keine Spur. Manchmal lese ich sogar die BLOGHAUSGESCHICHTEN.

Sie offensichtlich auch. Danke dafür!

Ein wahrlich vielsaitiges Leben

Mit einer Wandergitarre fing alles an. Um dieses wunderschöne Instrument mit seinen kunstvollen Perlmutt-Intarsien ranken sich viele Geschichten. Mal hieß es, Vater hätte die Klampfe von einem spanischen Orgelbauer abgekauft, der auf Arbeitssuche war und zufällig durch Ummendorf wanderte. Ein andermal wurde kolportiert, sie sei im Tauschverfahren bei uns gelandet. Jedenfalls war diese Gitarre Teil unseres Haushalts, so lange ich denken kann.

Die Wandergitarre ist dort geblieben, wo sie hingehört: In meinem Elternhaus in Ummendorf.

Es sollte nur die erste von vielen Gitarren sein, die mich auf meinem Leben begleiteten. Als Gitarrist bei den “Outlaws”, der damals todsicher härtesten Rockband östlich von Liverpool, musste es eine Elektrogitarre sein – eine “Framus” mit einem atemberaubend schönen Klangkörper.

Es folgten eine “Yamaha”, eine “Hofner”, eine “Fender” und schließlich eine in Montreal handgeschreinerte Akustik-Gitarre der Marke “Seagull”.

Zwischendurch nannte ich auch eine zwölfsaitige Gitarre mein eigen – ein herrlich-herausforderndes Instrument. Zwölf Saiten müssen laufend nachgestimmt werden, auch während des Spiels. Das, so fand ich, kann ziemlich spaßbremsend sein. Als Straßenmusiker leistete sie mir jedoch gute Dienste, verschaffte mir stets Gehör und brachte mir so manchen Taler ein.

Weitgereist und ein bisschen berühmt: Meine erste Wandergitarre als Titelbild von „Das gibt sich bis 1970“

Heute kommt nun eine weitere Gitarre dazu, eine mattschwarze “Vangoa”. Eine junge Französin bot sie im Internet an. Sie besitze das Instrument erst seit einem Monat, erzählte sie mir beim Abholen. Jetzt trenne sie sich wieder von ihm, weil ihr Freund sie zu Weihnachten mit einer qualitativ hochwertigeren Gitarre beschenkt habe.

Die Neue darf in der Stadt bleiben, die anderen kommen aufs Land. Im Blockhaus schlummert derweil noh eine antike Mandoline vor sich hin.

Aber in der Stadt geht musikalisch die Post ab. Dort wartet noch ein ziemlich vorlautes Banjo darauf, von seinem Herrchen liebevoll wachgezupft, manchmal aber auch geschlagen zu werden.

Es ist nicht das erste Banjo, das ich besitze.

Das Erste war ein ziemlich mitgenommenes Stück, das ich in den 70er-Jahren mit einem Redaktions-Kollegen in Wablingen gegen eine Super-8-Filmkamera eingetauscht hatte. Ein großer Fehler! Es verging kein Tag, an dem ich das scheppernde Saiteninstrument nicht vermisst hätte.

DIE NEUE: Seit gestern Teil der Kollektion.

Gestillt wurde meine Sehnsucht dann ein Vierteljahrhundert später bei einem Weinfest im Remstal, zu dem ich aus Kanada angereist war. Der inzwischen in die Jahre gekommene Tausch-Kollege von damals hatte keine Verwendung mehr für das gute Stück und gab es mir zu meiner unfassbar großen Freude zurück.

Heute darf sich das Banjo im Blockhaus von den zahlreichen Händen ausruhen, durch die es gegangen ist – und auch von einigen Reisen. 

Auf einer dieser Reisen per Anhalter durch Europa hatte mir ein gewisser “Donovan” bei einer gemeinsamen Jam-Session in Italien ein Autogramm aufs Fell gekritzelt. Die Unterschrift war später dem Reinigungsdrang einer schwäbischen Hausfrau zum Opfer gefallen, der Ehepartnerin des Tausch-Kollegen. Sie hatte Donovans Schriftzug – warum auch immer – fein säuberlich mit Bürste und Seife entfernt.

Wie konnte sie auch wissen, dass es sich bei der Unterschrift um eine Widmung jenes Donovan handelte, der später unter anderem mit Welthits wie „Mellow Yellow“ und „Colours“ Millionen von Schallplatten verkaufte?

Kanada im Januar: Prima Klima?

Nebelwolken über dem braun-grünen Gras. Plusgrade, die einen beim Holzhacken ins Schwitzen bringen. Und weit und breit kein Schnee. Petrus spielt verrückt.

Den letzten Dreikönigstag ohne Schnee haben wir, wenn ich mich richtig entsinne, vor Jahren auf Mallorca verbracht. Aber hier in Kanada? Undenkbar.

Bis jetzt. Es war von Eisregen die Rede und von einer “Wetterbombe”, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr hatten. 

Wetterbombe? Ja, bombiges Wetter. Aber keine Spur von einer Katastrophe.

Das heißt doch: Klimakatastrophe.

Wer es immer noch nicht wahrhaben will, dass der Welt durch die Klimaveränderung Ungemach droht, muss sich einfach auf den einschlägigen Wetterseiten umschauen. Für Montreal und Umgebung tänzelt das Quecksilber laut Vorhersage den ganzen Januar über frech zwischen frisch und ziemlich frisch umher. Bitterkalt war mal.

Dabei sind minus 25, manchmal sogar minus 35 Grad Celsius im Januar in diesen Breiten gewöhnlich keine Besonderheit. Doch von “gewöhnlich” müssen wir uns wohl verabschieden.

Die Silvesternacht, als uns um Mitternacht auf dem mit einer dicken Eisschicht versehenen Lac Dufresne der Sekt im Glas gefror, ist noch gar nicht lange her.

Die Fahrt mit dem SUV auf dem zugefrorenen Lake of Two Mountains von Hudson nach Oka gehörte jahrelang zu unserem Winter-Ritual. Statt dem SUV steht jetzt ein Kleiner in der Garage. Und zugefroren ist der „Lac des Deux Montagnes“ allenfalls noch in meinem Bild-Archiv.

So richtig freuen kann man sich nicht über Wärmegrade im Januar. Und das, so heißt es, sei erst der Anfang.

Von wegen prima Klima.

VOR GENAU 20 JAHREN: Von Hudson mit dem Auto über den zugefrorenen Lac des Deux Montagnes.