Carlos letzter Camino ✚

16. April 2019: Mit Carlo vor der Herberge in Foncebadón

Es gibt Menschen, die trifft man nur ganz kurz im Leben, aber sie gehen einem nie mehr aus dem Sinn. So ein Mensch war Carlo. Wir haben ihn am 16. April 2019 auf dem Jakobsweg kennengelernt. Irgendwo in der Nähe von Foncebadón, hoch in den Bergen, hatten sich unsere Wege gekreuzt. Eben finde ich Carlos Todesanzeige. Er ist mit gerade mal 53 Jahren in seiner bayerischen Heimat gestorben.

Ich war besorgt um ihn und habe seinen Namen gegoogelt, weil ich auf meine Weihnachts-, Neujahrs- und sonstigen Grüße nichts mehr von ihm gehört hatte. Schon vor längerer Zeit hatte er mir von seinen Herzbeschwerden berichtet. Jetzt ist die schreckliche Gewissheit da: Carlo ist tot – und ich kann es noch immer nicht fassen. 

Als wir uns am frühen Morgen jenes 16. April vor vier Jahren hoch in den spanischen Bergen begegnet sind, wusste ich: Es wird ein guter Tag werden. Von den Hunderten von Menschen, die man als Pilger im Laufe einer Camino-Wanderung trifft, bleiben immer ein paar im Gedächtnis haften. Einer davon war Carlo. Wir schrieben uns noch Jahre nach unser Begegnung Mails und Messages.

Dass wir Carlo schon im frühen Morgennebel getroffen haben, war in vielfacher Hinsicht ein Gewinn. Zum einen hatte seine joviale, freundliche Art etwas Ansteckendes. Zum anderen war er ein durchtrainierter Fastfünfziger, der als Motivationsfaktor für die schwierige Bergwanderung äußerst stimulierend wirkte. 

Intensive Gespräche: Lore und Carlo auf dem Camino

Wir sind damals den ganzen Tag zusammen gewandert, haben am Abend zusammen gegessen und getrunken. Wir haben geredet und gelacht und uns am nächsten Morgen von ihm verabschiedet. Mit seinem sportlichen Wanderrhythmus konnten wir nicht mithalten, wir mussten ihn ziehen lassen. 

Sein bayerischer Humor war ansteckend. Nur wenn er von seiner Frau und seinem Sohn erzählte, legte sich ein bisschen Traurigkeit über sein freundliches Gesicht. Er wünschte sich so sehr, dass sie die Freuden des Caminos mit ihm teilen könnten. 

Die Gespräche mit diesem frisch-fröhlichen Mann aus Bayern waren inspirierend, intensiv und nachhaltig. Carlo empfand es offensichtlich genau so.

Eben finde ich eine Mail, die er mir später geschrieben hatte:

„Die Begegnung mit Euch war eine so wunderbare Erfahrung, welche ich in meinem ganzen Leben noch nicht erfahren durfte. Und ich denke sehr viel an euch, vor allem an Deine liebe Frau Lore. Sie hat mir soviel mitgegeben und ich denke immer wieder daran, wie ihr nach dem Abendessen zu Bett gegangen seid und sich Lore noch einmal umgedreht hat und mir den Zeigefinger zeigte. So ungefähr als wollte sie mir sagen: Denk daran, was ich Dir gesagt habe. Wirklich unvergesslich. Ich werde daraus auch meine Schlüsse ziehen”.

Was Lore ihm damals gesagt hatte, soll hier nicht ausgebreitet werden. Nur so viel: Es waren intensive Gespräche, bei denen es um Stress-Abbau ging und darum, ein ruhigeres, genusshaltigeres Leben zu führen.

Schwätzchen mit Carlo auf dem Camino..

Carlo brannte an allen Enden. Er hatte einen Power-Job bei einem Auto-Zulieferer. In seiner Freizeit vertrieb er maßgeschneiderte Edel-Fahrräder, die er nach seinem Design bauen ließ. Und gab es mal wieder ein Spitzenspiel des FC Liverpool, flog er kurzerhand zu einem Match nach England.

Ob er sich Lores Worte zu mehr Entschleunigung wirklich zu Herzen genommen hatte? Wir wissen es nicht.

Jetzt hat Carlo also seinen letzten Camino angetreten. Lore und ich wünschen ihm auf seiner letzten Reise alles, was man einem guten, liebenswerten Menschen nur wünschen kann. Und seiner Familie wünschen wir die Kraft, ohne den Ehemann, den Vater, weiter zu leben. 

Buen Camino, Carlo!