Allein unter lauter Latinos. Oder: Wie Mario Kotze die WM gewann

wmEs war ein Versehen. Richtiger Anlass, falscher Ort. Die Champs-Bar am Boulevard St. Laurent ist gewöhnlich eine gute Adresse, um sich in Montreal Sportereignisse auf der Großleinwand anzuschauen. Warum ich ausgerechnet zum WM-Finale bei der spanischsprachigen Live-Übertragung unter lauter Latinos gelandet bin, ist mir noch immer ein Rätsel.

Schlimm war das Versehen nicht. Jedenfalls weiss ich jetzt, dass der deutsche Torschütze auf spanisch Mario „Kotze“ und Herr Löw mit Vornamen „Chogy“ heißt. Der Name, der mir inzwischen am geläufigsten ist, gehört einen gewissen Bastian „Swanschdagaaa“, auf gut bayerisch Schweinsteiger.

Die Live-Reporter des argentinischen Fernsehens gaben sich redlich Mühe, die Namen der deutschen Spieler korrekt auszusprechen. Manchmal kamen sie freilich an ihre Grenzen. So wie wir auch, wenn es gilt, in fremden Sprachen zu parlieren.

Die Namen der Kicker waren also kein Thema. Schon eher die Tatsache, als einziger Nicht-Latino in einem Meer von argentinischen Fan-Trikots gelandet zu sein.

War mir nach Jubel zumute, wenn Manuel Neuer mal wieder einen seiner spektakulären Fänge machte, sagte mir ein Blick in die Runde, dass ich angesichts der Überzahl argentinischer Fans lieber schweigen sollte. Als Dank musste ich dann die Buhrufe des Bar-Publikums für Neuers Glanzleistung über mich ergehen lassen.

Es ist nicht einfach, Jogi-Fan zu sein, wenn in einer Latino-Bar das DFB-Team gerade den argentinischen Gegner zerlegt.

Irgendwann gegen Ende des Spiels muss mein Schauspieltalent geschwächelt haben. Als mir meine Tischnachbarin nach einem weiteren unterdrückten Jubel die Frage nach meiner Herkunft stellte: „De donde eres?”, blieb mir nichts anderes übrig, als mit der Wahrheit herauszurücken: “Alemania”. Kurzes Raunen am Tisch. Dann High Fives. Und schließlich das Angebot, in die Tacotüte zu greifen, die jetzt die Runde machte.

So harmonisch entwickelte sich die argentinisch-deutsche Tischkoalition schließlich, dass ich es ernsthaft bedauerte, meinen “Kiss me, I am German”-Button zuhause gelassen zu haben.

Zum Soccer in die „Champs Bar“

soccer

Als Arjen Robben den Ball in der 88. Minute zum 2:1 ins Tor jagt, prosten in der knallvollen Montrealer Champs Bar Fußballfans aus aller Welt den 34 Bildschirmen zu, auf denen das große Finale übertragen wird. Gesiegt hat zwar Bayern München. Aber irgendwo auch Europa – zumindest in der Wahrnehmung der meisten Kanadier hier.

European Soccer“, sagt der Montrealer neben mir in der Champs Bar, „is sometimes better than hockey“. Aber eben nur manchmal. Weil mit Ottawa jetzt auch das letzte kanadische NHL-Team aus der Eishockey-Play-off-Runde geflogen ist, schaut man eben „Soccer“. So richtig elektrisiert sind die wenigsten meiner kanadischen Freunde von dem seltsamen Spiel, in dem 22 Jungs einem Ball nachrennen. Fußball hat in Kanada keine Tradition. Hockey rules.

Wann er zum letzten Mal ein Fußballspiel gesehen habe, will ich von meinem kanadischen Tischnachbarn wissen. „Hmmm“, überlegt der. „Das war, als David Beckham mit Los Angeles gegen die Montreal Impact gespielt hat“. Das ist schon richtig lange her.

Wenn große Sport-Events nicht im heimischen Fernsehen übertragen werden, weil den kanadischen Lokalsendern die Rechte dafür zu teuer sind, wird die Champs Bar am Montrealer Boulevard St. Laurent zum TV-Tempel für den internationalen Fußball. Auf zwei Etagen und Dutzenden von Bildschirmen gleichzeitig wird dann alles gezeigt, was die Satellitenanbieter im Programm haben. Boxen, Kricket und Baseball, Formel Eins sowieso. Und gestern natürlich Fußball.

Links von mir sitzt ein Däne, dem egal ist, wer gewinnt, so lange er sein Guinness hat. Rechts ein Holländer, dem Bayern über alles geht (Robben!). Die deutschstämmige Kellnerin kann sich nicht entscheiden. „Muss hier Bestellungen aufnehmen“ grummelt sie. Als Bayern siegt, legt sie dann doch kurz das Tablett ab und klatscht heftig Beifall.

Applaus gibt’s auch von den Haitianern, den Senegalesen, den Spaniern, Brasilianern, Italienern, Portugiesen, Franzosen und Engländern. Und natürlich von den vielen Deutschen im Saal. Die meisten meiner kanadischen Landsleute klatschen, wenn ein Tor fällt. Irgend eins.

Vor mir sitzt eine Reihe Polen mit Borussia-Schals. Offiziell ist man also für die Lewandowski-Truppe aus Dortmund. Aber als dann die Bayern den Augenschmaus mit einem Tor von Robben toppen, wird eben für München gejubelt.

Europa hatte den Ball ins Netz gezaubert.