Elkes Marathon hat ein Ende

Elke: Zum 7.Mal dabei

Manchmal werden einem Menschen ins Leben gespült, vor denen man einfach nur den Hut ziehen muss. So einfach ist das. Elke Dinter aus Montréal gehört auch zu denen. Obwohl sie vom Schicksal ziemlich gebeutelt wurde, ist sie die Stehauffrau in unserem Freundeskreis. An diesem Wochenende wächst sie wieder über sich hinaus.

Danke, Regisseur: Das „Wunder von Elke“

Elke Dinter ist das, was man im kanadischen Englisch herrlich uncharmant, aber liebevoll „a tough cookie“ nennt. Immer, wenn es ihr besonders schlecht geht, beißt sie auf ihre Berliner Görenzähne und tritt dem Schicksal kräftig eins in den Hintern. Nehmen wir die Zeit, da sie an Krebs erkrankt ist. Das war 2001, nach ihrer Rückkehr von der Hochzeitsreise. Es war ein schlimmer Krebs und hat zwei ihrer Freundinnen fast zeitgleich das Leben gekostet. Man könnte auch sagen: Zwei Drittel sterben daran. Ein Drittel lebt noch. Elke lebt. Und wie! Für das „Wunder von Elke“ bedankt sie sich „bei meinem Regisseur, oder wer immer das da oben sein mag“.

Trotz Krebs und Augenleiden immer ganz vorne

75 000 Dollar „erlaufen“

Oder: Die Zeit als Elke durch eine Makula-Degeneration einen Großteil ihres Sehvermögens verlor. Die meisten von uns würden daran verzweifeln, plötzlich nicht mehr lesen zu können, nicht mehr Auto fahren, nicht mehr dies und nicht mehr jenes. Was macht Elke? Geht zum Blindeninstitut, lässt sich einen „Screenreader“ an ihren Rechner anschließen und befiehlt jetzt dem Internet, was es ihr gefälligst vorzulesen hat. Wenn sie ihre Besucher nerven will, schmeisst sie mal kurz dieses sprechende Techniktool an. Es klingt scheußlich. Aber ohne den elektronischen Vorleser wäre Elke nicht mehr in der Lage, im Internet zu surfen. Und das wäre schlimmer als einen blechern tönenden Screenreader ertragen zu müssen.

Go Elke, Go!„: Mit 68 immer noch fit wie ein Turnschuh

Elke 2010 mit Freundin

Dass Elkes erster Mann ermordet wurde, damals, als sie noch in Venezuela lebten, ihr Haus auf dem Land in Flammen aufging und sie selbst mitten in der Nacht aufwachte, als ein Schmuckdieb sich gerade aus dem Staub machte, passt in die Geschichte dieser Frau. Sie wird übrigens in drei Wochen 68 und ist fit wie ein Turnschuh. Wobei wir beim eigentlichen Thema wären. An diesem Wochenende wird Elke insgesamt 60 Kilometer zu Fuß zurücklegen. Damit sie an dieser Tortur überhaupt mitmachen durfte, musste sie erst einmal 2000 Dollar Startgeld aufbringen. Alles Spenden. Alles für einen guten Zweck. Aus den zweitausend wurden inzwischen fast zehntausend. 2100 Dollar allein hat eine Truppe wilder Männer in einer Buschkneipe gesammelt. Sie veranstalten jedes Jahr ein „Spaghetti-Dinner“. Der Reinerlös geht an Elke: „Die haben den Spass und ich die Kohle“.

Schickimicki war gestern: Heute zählt die Spendenkasse

2010: So sehen Heldinnen aus

Freunde, Bekannte, Verehrer, Bewunderer, Fans – sie alle haben ein Scherflein dazu beigetragen, dass die Spendenkasse voll wird. Aber der richtig wichtige Beitrag kommt von Elke. Für die Spenden muss sie ein Versprechen einlösen: Einen 30-Kilometer-Marsch am Samstag, nochmal einen am Sonntag. Macht zusammen 60 Kilometer. Und das von einer Frau, die noch vor wenigen Jahren dem Tod nahe war. Und ein Leben lang als Modedesignerin die Schickimicki-Klientel bediente. Schmoozing gehörte da eher zum Handwerk als Walking. Und kucken sowieso.

Beim Marsch durch Montréal ist Elke nicht alleine. Jedes Jahr nehmen 2000 bis 3000 Frauen – und auch ein paar Männer – daran teil. Und alle haben sie zuvor Spenden für die Krebshilfe gesammelt. Alles in allem sind so schon viele Millionen zusammen gekommen. Von Elke allein schon gut 75 000 Dollar. Sie ist schon zum siebten Mal dabei. Ihr Mann Ain übrigens auch. Nur: Er gehört der „Sweeper„-Truppe an. Das sind die Jungs, die sich um die Verletzten und Erschöpften kümmern. Elke musste er noch nie zusammenkehren.

Ohne „Volunteers“ würde Kanada nicht funktionieren

Elke und Murene

Mit ihrem Engagement für die Krebshilfe gehört Elke Dinter zu den Zigtausenden von Freiwilligen, die in Kanada ehrenamtlich tätig sind. „Volunteering“ ist hier der Zement für eine einigermaßen gut funktionierende Gesellschaft. „Wo soll denn sonst die Kohle für die ganze Forschung herkommen?“, fragt Elke und ist überrascht über eine von mehreren möglichen Antworten: Zum Beispiel vom Staat? Forschung sei ein Fass ohne Boden. Für sie sei es deshalb selbstverständlich, zurückzugeben, was sie bekommen hat. Paybacktime nennt man das hier. Dazu gehört auch, dass Elke mindestens einmal pro Woche im Katzen-Asyl mithilft. Und Ehemann Ain alte Menschen im Smart zum Arzt fährt. So wichtig wird das Freiwilligen-Engagement hier genommen, dass es Einwanderern, die kanadische Staatsbürger werden möchten, vor dem Überreichen der Urkunde offiziell ins Stammbuch geschrieben wird: „Volunteers“ haben größere Chancen, den kanadischen Pass zu bekommen, als andere.

Elke ist das übrigens egal. Sie lebt zwar schon seit 1968 in Kanada, ist aber Deutsche geblieben. Kanadierin zu werden, hat sie gar nicht vor. Bei guten Menschen spielen Grenzen keine Rolle.

CTV-Bericht über Elkes Engagement für die Krebshilfe. >> HIER <<  geht’s zum Video.

„Liebe ist besser als Wut“

Eben habe ich das erste Herbstblatt im Wald vor unserem Haus gefunden. Es ist noch etwas blässlich in der Rötung. Aber der Indian Summer kommt noch früh genug. Für mich ist dieses Ahornblatt ein Symbol der Vergänglichkeit und damit passend zum Tod des kanadischen Oppositionsführers Jack Layton, über den ich gestern an dieser Stelle geblogged hatte.

„Smiling Jacks“ Abschiedsbrief kurz vor seinem Tod

„Smiling Jack“, ein aufrechter Sozialdemokrat des linken Flügels, war der ganz große Hoffnungsträger der kanadischen Politik. Er wurde nur 61 Jahre alt. Weniger als 48 Stunden vor seinem Tod schrieb er einen Abschiedsbrief an alle Kanadier. Hier die Übersetzung: „Liebe ist besser als Wut. Hoffnung ist besser als Angst. Zuversicht ist besser als Verzweiflung. Lasst uns deshalb stets liebevoll, hoffnungsvoll und zuversichtlich sein – und wir verändern die Welt.“

Tot mit 61: Jack Layton

Eine andere Passage aus dem Abschiedsbrief des an Krebs gestorbenen Ausnahme-Politikers möchte ich Ihnen auch nicht vorenthalten. Diejenigen, die davon betroffen sind, wissen, wovon ich spreche: „To other Canadians who are on journeys to defeat cancer and to live their lives, I say this: please don’t be discouraged that my own journey hasn’t gone as well as I had hoped. You must not lose your own hope.Treatments and therapies have never been better in the face of this disease. You have every reason to be optimistic, determined, and focused on the future. My only other advice is to cherish every moment with those you love at every stage of your journey, as I have done this summer.“

An alle Krebspatienten: Gebt die Hoffnung nicht auf!

Übersetzung: „Anderen Kanadiern, die mit einer Krebserkrankung leben, möchte ich sagen: Verzagt nicht und lasst euch nicht entmutigen! Auch wenn meine eigene Reise nicht so günstig verlaufen ist wie ich gehofft hatte: Gebt die Hoffnung nicht auf! Krebstherapien waren nie erfolgreicher als zurzeit. Ihr habt allen Grund, optimistisch, zielgerichtet und fokussiert in die Zukunft zu blicken. Ich möchte Euch raten, auf Eurer Reise jeden Moment mit Euren Lieben zu genießen, so wie ich es diesen Sommer getan habe.“

In diesem Sinne: Genießen Sie den Sommer, egal wo Sie sind.

Smiling Jack ist tot

Warum müssen eigentlich die Guten immer so früh gehen? Da hatte Kanada endlich mal einen Politiker am Start, der die Schnarchnasenpolitik der Konservativen Regierung aufmischen konnte – und jetzt ist er tot. Mitten in den Sommerferien. Mit gerade mal 61.

Jack Layton: Tot mit 61 – Foto: CP

Scheißkrebs. Jack Layton war für viele von uns der ganz große Hoffnungsträger für die etwas andere Bundespolitik in Kanada. Er kämpfte gegen Asbest und für die Rechte der Indianer. Die dreckschleudrigen Teersandfelder in Alberta waren ihm ein Gräuel. Mehr Kontrastprogramm zur Politik des blässlichen konservativen Regierungsschefs Stephen Harper geht nicht.

Lieber Chinatown als Villa

Jack Laytons NDP hatte es im Mai zum ersten Mal in der Geschichte der Partei geschafft, die Rolle der offiziellen Opposition zu übernehmen. Doch statt in der prunkvollen Residenz des Oppositionsführers zu domizilieren, behielten Jack und seine aus China stammende Frau Olivia Chow lieber ihr Häusle in der Torontoer Chinatown. Solche Männer braucht das Land.

Foto: CP

Welcome … und Goodbye – Foto: CP

Ein Hardcore-Sozialdemokrat des linken Flügels war er. Aufrecht, umsichtig, einfühlsam, „caring„, wie es heute in fast allen Nachrufen heißt. Noch vor drei Wochen hatte ein spindeldürrer und vom Krebs gezeichneter Smiling Jack im Fernsehen verkündet, er werde rechtzeitig zur neuen Legislaturperiode im September wieder in Ottawa sein. Das hat er nicht geschafft – was für ein Jammer. Jack Layton gehörte der Neuen Demokratischen Partei (NDP) an und sorgte sich wie kaum ein Politiker vor ihm um dieses Land mit all seinen schwierigen Facetten.

So kannten wir ihn: „Just call me Jack“

Ich bin diesem wunderbar optimistischen Menschen drei Mal in meinem Leben begegnet. Einmal als Journalist, vor dem Bundesparlament in Ottawa. Das zweite Mal im vorletzten Wahlkampf, mitten im Winter. Da fror sich der arme Kerl bei minus 25 Grad in seiner Strickweste einen ab, während wir uns im Parka versteckten. Mister Layton – „just call me Jack“ wie er immer sagte – Jack Layton hatte unbedingt darauf bestanden, eine Rede im Freien zu halten, damit möglichst viele Menschen ihn in der Mittagspause hören konnten.

Unsere Freundin Marjolaine hat Jack viel zu verdanken

Foto: CP

Marjo im Parlament – Foto: CP

Das letzte Mal sah ich Jack Anfang Mai 2011. Marjolaine, eine gute Freundin von uns, hatte für die NDP kandidiert (und später einen Sitz im Bundesparlament gewonnen). Marjo hatte sich anstecken lassen vom Charisma dieses Mannes. „Endlich ein Politiker, dem man über den Weg trauen kann“, sagte sie damals. So hatten viele gedacht, die in Jack Layton den neuen Stern am Polithimmel sahen – mit Recht, wie sich herausstellte. Allein in der Provinz Québec brachte er es fertig, die Anzahl der NDP-Sitze von gerade mal einem auf 58 zu erhöhen – das hatte es in Kanada noch nie gegeben. Ab sofort war Jack Layton selbst bei den sonst so anglo-kritischen Québeckern „Le Bon Jack„. Sie liebten ihn. Als die Wahlkampagne sich dem Ende zuneigte, rief Marjolaine uns an und bat darum, ihr ein wenig Schützenhilfe zu geben und bei einer für sie sehr wichtigen Veranstaltung dabei zu sein.

Tränen der Rührung – und schließlich ein Lächeln

Da stand sie nun, strahlte und hatte Tränen der Rührung in den Augen, als sie all ihre Freunde im Saal sah. Marjos Tränen müssen Jack an diesem Nachmittag ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. Er war sichtlich stolz, als er in der Montréaler Oststadt sein Team vorstellte. Darunter so eine aufrechte, engagierte und, wie sich später herausstellte, auch erfolgreiche Wahlkämpferin wie unsere Freundin Marjolaine Boutin-Sweet.

Jetzt ist er tot und ich, wir, das Land – wir alle werden ihn schrecklich vermissen. Dass Jack Layton in Hudson aufgewachsen ist, dem Dorf, in dem ich lebe, mindert auch nicht meinen Schmerz.

Farewell Jack! Keep on smiling.