Kaltherzige Katastrophen-Politik

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© ctv.ca (screenshot)

Politiker sind eine seltsame Spezie. Kaum sind sie gewählt, arbeiten sie daran, wiedergewählt zu werden. Dabei ist ihnen oft jedes Mittel recht.  So gehört schon eine Menge Kaltschnäuzigkeit dazu, Kapital aus einer Katastrophe zu schlagen, noch ehe die Todesopfer identifizert sind. Genau das hat der Vorsitzende der kanadischen New Democratic Party (NDP), Thomas Mulcair, jetzt getan.

Ein Zugunglück in dem Québecer Städtchen Lac-Mégantic hat Tote, Verletzte und unermessliche Sachschäden gefordert. Doch noch ehe die Leichen geborgen, die Angehörigen informiert sind, stellt sich der Vorsitzende der Sozialisten mit erhobenem Zeigefinger vor die Presse und sagt: „Alles nur die Schuld der regierenden Konservativen!“ Hätten die nämlich rechtzeitig die Sicherheitsvorkehrungen für Öl- und Gastransporte erhöht, wäre die Katastrophe von Lac-Mégantic nicht passiert.

Es mag ja ein Fünkchen Wahrheit daran sein. Der Sparwahn von Premierminister Stephen Harper grenzt manchmal an Idiotie. Aber darüber lässt sich entspannt im Parlament reden oder auch bei einer zu diesem Thema einberufenen Pressekonferenz.

Doch Stunden nachdem eine halbe Stadt in Flammen aufgegangen ist, verkohlte Leichen geborgen werden und Menschen ohne Obdach sind, Vorwürfe zu machen, wie sie jetzt von Thomas Mulcair kommen, ist verabscheuungswürdig und bringt keinem etwas. Am wenigsten dem Mann, der damit versucht, Wähler für seine Partei zu gewinnen.

Die sozialdemokratische NDP, die als Oppositionspartei im Großen und Ganzen keinen schlechten Job in Ottawa macht, sollte ihren Vorsitzenden einem reality check unterziehen.

Möglich, dass durch den Versuch, politisches Heu aus einer Katastrophe zu machen, ein paar neue Mitglieder zur NDP überlaufen. Möglich aber auch, dass die unzeitgemäße Hetze gegen die Regierung ein Schuss nach hinten wird.

Politischer Selbstmord wäre die gerechte Strafe für einen Parteivorsitzenden, dem Maß und Ziel abhanden gekommen zu sein scheinen.

Wir lachen uns hier noch kaputt

Lacht gerne: Kanadas Außenminister John Baird    Foto: CP

Wenn es Politikern zu wohl wird, lachen sie uns aus. Den kanadischen Außenminister schüttelte ein Lachkrampf, als er von der Opposition wegen seiner Farbwahl gerügt wurde. Ist ja auch total witzig: John Baird hatte darauf bestanden, seinen Namen auf der Visitenkarte in Goldrelief gedruckt zu sehen.

Selten so gelacht im kanadischen Parlament: John Baird, ohnehin nicht gerade die große Leuchte der konservativen Regierung, kriegte sich nicht mehr vor Lachen. Ein Oppositionspolitiker hatte sich doch tatsächlich erdreistet, die Luxusvariante seiner Visitenkarte zu kritisieren. Was mich auf die Palme bringt, sind nicht die paar hundert Dollar mehr, die so eine Goldrelief-Version kostet. Es ist diese Selbstbedienungs-Attitüde, die viele Politiker so unglaubwürdig macht.

Nicht immer geht es um Geld. Meistens aber um Macht. Und damit auch irgendwo wieder um Geld. Beispiel: Bei den letzten Wahlen im Mai schafften ein paar Dutzend linke No-Names aus der Provinz Québec den Einzug ins Bundesparlament in Ottawa. Eine Sensation. Endlich frischer Wind in Ottawa! Dachte ich. Viel Wind schon. Aber kein frischer. Inzwischen streiten sich die Genossinnen und Genossen der New Democratic Party fast nur noch.

Und natürlich geht es wieder um Macht. Es geht um die Nachfolge des Parteivorsitzenden Jack Layton, der im Sommer an Krebs verstorben war. Ich hielt „Smiling Jack“ für einen der größten Politiker, den Kanada je hervorgebracht hat. Die Grabenkämpfe, die seit seinem Tod innerhalb seiner Partei ausgetragen werden, sind des Andenkens dieses Mannes nicht würdig.

Verkehrschaos Montréal. Foto: Gazette

Noch einmal Dampf ablassen: Wenn es um den Schutz der Umwelt geht, hat Kanada den Schuss immer noch nicht gehört. Statt endlich den öffentlichen Nahverkehr auszubauen und die Vorstädte rund um Montréal an die City anzubinden, kippen die Verantwortlichen die Pläne für die dringend notwendige Ausweitung der U-Bahn wieder. Motto: Jetzt, da so viel Geld in Verbesserungen der Infrastruktur investiert wird, müssten die Straßen und Brücken schließlich auch genutzt werden. Und weil die Kohle für die  – angeblich – verbesserten Autofahrer-Bedingungen ja von irgendwo her kommen muss, lassen sich Politiker diesmal etwas sehr Originelles einfallen: Eine deftige Preiserhöhung für die armen Pendler, die von den ohnehin schon lächerlich wenigen Möglichkeiten des öffentlichen Nahverkehrs Gebrauch machen.

Immerhin gab es bei den Fahrpreiserhöhungen heftigen Gegenverkehr. Die betroffenen Pendler wollten die Entscheidung des zuständigen Kommunalverbandes nicht ohne weiteres schlucken. Eine Krisensitzung wurde einberufen. Schade: Der wichtigste Mann fehlte. Ausgerechnet der Bürgermeister der Vorstadtgemeinde, die das größte Interesse an einem reibungslosen Nahverkehr haben müsste, ließ sich entschuldigen. Die Gazette meldete später: Statt der Krisensitzung nahm der Spitzenpolitiker an einem Golfturnier teil.

Grünes Kanada? Lachhaft. Ich könnte rot werden vor Zorn.

„Liebe ist besser als Wut“

Eben habe ich das erste Herbstblatt im Wald vor unserem Haus gefunden. Es ist noch etwas blässlich in der Rötung. Aber der Indian Summer kommt noch früh genug. Für mich ist dieses Ahornblatt ein Symbol der Vergänglichkeit und damit passend zum Tod des kanadischen Oppositionsführers Jack Layton, über den ich gestern an dieser Stelle geblogged hatte.

„Smiling Jacks“ Abschiedsbrief kurz vor seinem Tod

„Smiling Jack“, ein aufrechter Sozialdemokrat des linken Flügels, war der ganz große Hoffnungsträger der kanadischen Politik. Er wurde nur 61 Jahre alt. Weniger als 48 Stunden vor seinem Tod schrieb er einen Abschiedsbrief an alle Kanadier. Hier die Übersetzung: „Liebe ist besser als Wut. Hoffnung ist besser als Angst. Zuversicht ist besser als Verzweiflung. Lasst uns deshalb stets liebevoll, hoffnungsvoll und zuversichtlich sein – und wir verändern die Welt.“

Tot mit 61: Jack Layton

Eine andere Passage aus dem Abschiedsbrief des an Krebs gestorbenen Ausnahme-Politikers möchte ich Ihnen auch nicht vorenthalten. Diejenigen, die davon betroffen sind, wissen, wovon ich spreche: „To other Canadians who are on journeys to defeat cancer and to live their lives, I say this: please don’t be discouraged that my own journey hasn’t gone as well as I had hoped. You must not lose your own hope.Treatments and therapies have never been better in the face of this disease. You have every reason to be optimistic, determined, and focused on the future. My only other advice is to cherish every moment with those you love at every stage of your journey, as I have done this summer.“

An alle Krebspatienten: Gebt die Hoffnung nicht auf!

Übersetzung: „Anderen Kanadiern, die mit einer Krebserkrankung leben, möchte ich sagen: Verzagt nicht und lasst euch nicht entmutigen! Auch wenn meine eigene Reise nicht so günstig verlaufen ist wie ich gehofft hatte: Gebt die Hoffnung nicht auf! Krebstherapien waren nie erfolgreicher als zurzeit. Ihr habt allen Grund, optimistisch, zielgerichtet und fokussiert in die Zukunft zu blicken. Ich möchte Euch raten, auf Eurer Reise jeden Moment mit Euren Lieben zu genießen, so wie ich es diesen Sommer getan habe.“

In diesem Sinne: Genießen Sie den Sommer, egal wo Sie sind.

Smiling Jack ist tot

Warum müssen eigentlich die Guten immer so früh gehen? Da hatte Kanada endlich mal einen Politiker am Start, der die Schnarchnasenpolitik der Konservativen Regierung aufmischen konnte – und jetzt ist er tot. Mitten in den Sommerferien. Mit gerade mal 61.

Jack Layton: Tot mit 61 – Foto: CP

Scheißkrebs. Jack Layton war für viele von uns der ganz große Hoffnungsträger für die etwas andere Bundespolitik in Kanada. Er kämpfte gegen Asbest und für die Rechte der Indianer. Die dreckschleudrigen Teersandfelder in Alberta waren ihm ein Gräuel. Mehr Kontrastprogramm zur Politik des blässlichen konservativen Regierungsschefs Stephen Harper geht nicht.

Lieber Chinatown als Villa

Jack Laytons NDP hatte es im Mai zum ersten Mal in der Geschichte der Partei geschafft, die Rolle der offiziellen Opposition zu übernehmen. Doch statt in der prunkvollen Residenz des Oppositionsführers zu domizilieren, behielten Jack und seine aus China stammende Frau Olivia Chow lieber ihr Häusle in der Torontoer Chinatown. Solche Männer braucht das Land.

Foto: CP

Welcome … und Goodbye – Foto: CP

Ein Hardcore-Sozialdemokrat des linken Flügels war er. Aufrecht, umsichtig, einfühlsam, „caring„, wie es heute in fast allen Nachrufen heißt. Noch vor drei Wochen hatte ein spindeldürrer und vom Krebs gezeichneter Smiling Jack im Fernsehen verkündet, er werde rechtzeitig zur neuen Legislaturperiode im September wieder in Ottawa sein. Das hat er nicht geschafft – was für ein Jammer. Jack Layton gehörte der Neuen Demokratischen Partei (NDP) an und sorgte sich wie kaum ein Politiker vor ihm um dieses Land mit all seinen schwierigen Facetten.

So kannten wir ihn: „Just call me Jack“

Ich bin diesem wunderbar optimistischen Menschen drei Mal in meinem Leben begegnet. Einmal als Journalist, vor dem Bundesparlament in Ottawa. Das zweite Mal im vorletzten Wahlkampf, mitten im Winter. Da fror sich der arme Kerl bei minus 25 Grad in seiner Strickweste einen ab, während wir uns im Parka versteckten. Mister Layton – „just call me Jack“ wie er immer sagte – Jack Layton hatte unbedingt darauf bestanden, eine Rede im Freien zu halten, damit möglichst viele Menschen ihn in der Mittagspause hören konnten.

Unsere Freundin Marjolaine hat Jack viel zu verdanken

Foto: CP

Marjo im Parlament – Foto: CP

Das letzte Mal sah ich Jack Anfang Mai 2011. Marjolaine, eine gute Freundin von uns, hatte für die NDP kandidiert (und später einen Sitz im Bundesparlament gewonnen). Marjo hatte sich anstecken lassen vom Charisma dieses Mannes. „Endlich ein Politiker, dem man über den Weg trauen kann“, sagte sie damals. So hatten viele gedacht, die in Jack Layton den neuen Stern am Polithimmel sahen – mit Recht, wie sich herausstellte. Allein in der Provinz Québec brachte er es fertig, die Anzahl der NDP-Sitze von gerade mal einem auf 58 zu erhöhen – das hatte es in Kanada noch nie gegeben. Ab sofort war Jack Layton selbst bei den sonst so anglo-kritischen Québeckern „Le Bon Jack„. Sie liebten ihn. Als die Wahlkampagne sich dem Ende zuneigte, rief Marjolaine uns an und bat darum, ihr ein wenig Schützenhilfe zu geben und bei einer für sie sehr wichtigen Veranstaltung dabei zu sein.

Tränen der Rührung – und schließlich ein Lächeln

Da stand sie nun, strahlte und hatte Tränen der Rührung in den Augen, als sie all ihre Freunde im Saal sah. Marjos Tränen müssen Jack an diesem Nachmittag ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. Er war sichtlich stolz, als er in der Montréaler Oststadt sein Team vorstellte. Darunter so eine aufrechte, engagierte und, wie sich später herausstellte, auch erfolgreiche Wahlkämpferin wie unsere Freundin Marjolaine Boutin-Sweet.

Jetzt ist er tot und ich, wir, das Land – wir alle werden ihn schrecklich vermissen. Dass Jack Layton in Hudson aufgewachsen ist, dem Dorf, in dem ich lebe, mindert auch nicht meinen Schmerz.

Farewell Jack! Keep on smiling.