Kanadier sind ein mobiles Volk. Sie ziehen in ihrem Leben durchschnittlich zwölf Mal mal um. Wenn diese Statistik stimmt, wundere ich mich, dass die meisten Kanadier, die ich kenne, noch ganz bei Trost sind. Wir sind gerade dabei, zum erstenmal seit 25 Jahren den Wohnort zu wechslen. Und kommen manchmal an die Grenzen unserer Zurechnungsfähigkeit.

Garten war gestern
Das Haus auf dem Land ist verkauft, das neue Domizil in der Stadt wartet bereits auf uns. Ein Klacks, könnte man sagen, wo ist das Problem?
Wenn das Haus zum Heim wird
Das Problem ist, dass sich ein Haus, das zum Heim geworden ist, nicht abschütteln lässt wie ein Schwarm lästiger Moskitos. Da kochen plötzlich Emotionen hoch, die ich bisher gar nicht kannte. Es sind sehr persönliche Emotionen. Sie haben mit dem Elternhaus des Sohnes zu tun und mit Tausenden von Korrespondenten-Beiträgen, die hier entstanden sind. Sie führen hin zu Lores Kreativwerkstatt, in der jede Menge Bilder gemalt wurden, die nicht nur Hunderte von Erinnerungen festhielten, sondern auch viele Räume schmückten. Und weil es im neuen Loft nur vier Wände gibt und nicht wie bisher ein Dutzend Zimmer, dazu Sauna, Whirlpool und vier Bäder, wird ein Tel der Kunst wohl künftig ins Blockhaus wandern und den Enten beim Brüten auf dem Lac Dufresne Gesellschaft leisten. Rambazamba war gestern.
Die alten Hasen gehen, die jungen Küken kommen
So ist unser beschauliches Leben plötzlich zur Achterbahn geworden. Was nehmen wir mit? Was kommt in den Müll. Brauchen die neuen Besitzer das Klavier? Passt das Apothekerschränkchen vom Flohmarkt überhaupt noch in die neue Loft? Fragen über Fragen. Und alle müssen bald beantwortet werden, denn die Zeit drängt. Der Notartermin steht fest, die junge Familie, die das Haus der alten Hasen gekauft hat, steht in den Startlöchern. Mit Hund und zwei kleinen Kindern und einem noch kleineren im Bauch. Stephanie und Mark, die hier unsere Nachfolge antreten werden, sind heute genau so alt wie wir damals, als wir in Hudson eingezogen sind. Mit vielen Träumen, die auch wir damals hatten. Und die sich, so ganz nebenbei, fast alle erfüllt haben.

Fabrikloft ist heute
Noch nervzehrender als das Möbelrücken ist jedoch dieses Hütchenspiel mit den Gefühlen. Ist es nicht verrückt, 4000 qm Land mit Teich, Wald und Wiese einzutauschen gegen eine Terrasse, auf der gerade mal unser Smart Platz hätte? Und ein Haus, in dem sich eine Fußballmannschaft breit machen könnte, wird ersetzt durch einen ehemaligen Fabrikraum, mit einer Nasszelle als Kubus in der Mitte, auf den eine Treppe in eine Art Schlafgemach führt? Ein Glück, dass es dazu noch eine Gemeinschafts-Dachterrasse mit Pool gibt, ein Fitness-Centre und einen Billiardraum für alle. Und jede Menge Kneipen drumherum. Cool, ja. Aber vernünftig? Egal. Wir haben uns vorgenommen, unser Leben umzukrempeln, noch mobiler zu sein als bisher. Verkleinern statt vergrößern. Wir sind dann mal weg.
Downsizing statt Upgrading: Tschüss, Pampa!
Was ist mit dem Urteil des Vaters, der, damals 80 Jahre alt, im Garten unseres Noch-Hauses sitzt und ungefragt bestimmt: „Das Haus bleibt in der Familie!“ Gerne, lieber Vater, wo immer du gerade mitliest. Nur: Die Familie ist inzwischen verstreut, das Haus zu groß und überhaupt passt der Standort Pampa nicht mehr in unsere Lebensplanung. Downsizing statt Upgrading. Mehr Mallorca. Wir wollen es so.
„Alles wird gut“, beruhigt mich – und sich – die Frau an meiner Seite. „Ihr macht schon alles richtig“, spricht der Sohn uns – und sich – gut zu. „Gratuliere zum Mut!“, schreibt Frank, der Freund. Auch Philipp, der Klügste von uns allen, spart nicht mit Balsam auf unsere geschunden Seelen. „Das Haus verkauft ihr”, schrieb er vor fünf Minuten, “aber die ganzen Erinnerungen an Eure gemeinsame Zeit nehmt ihr mit”.
Danke, Philipp. Danke, Frank. Inzwischen rast die Achterbahn der Gefühle unvermindert weiter. In eine wunderbare Zukunft. Hoffe ich.


Doch Veränderungen können anstrengend sein. Unser Haus wird seit zweieinhalb Monaten von einem Makler gelistet. Das Interesse ist groß. Aber, wie das so ist in Kanada: Es kommen viele Sehleute, die immer schon gerne gewusst hätten, wie der Korrespondent und seine Künstlergattin so leben. Das ist die Stunde der Schaulustigen. Und weil wir nicht gerne Zeuge dieser „showings“ sind und zu jedem Riss im Fensterkitt eine Erklärung abgeben möchten, verlassen wir eben unser Haus, wie es hier so üblich ist, wenn der Makler mal wieder mit Interessenten an der Tür steht. Aber: wohin nur? Meine Kreditkarte glüht. Im Kino reden Sie mich beim Vornamen an und unser Lieblings-Thailänder möchte uns gerne adoptieren. Das sind so die Dinge, mit denen wir uns in letzter Zeit herumschlagen.
Richtige Probleme sehen anders aus. Aber es gibt sie: Wohin mit den Möbeln aus einem Haus, wenn die künftige Bleibe aus einem großen Raum mit einem Badezimmer-Würfel in der Mitte besteht? Was nehmen wir mit, was geht zur Heilsarmee, was kommt in die Blockhütte? Und überhaupt: Was ist mit dem Klavier? Interessenten gibt es jede Menge dafür. Nur: Ich will nicht jedes Mal wehmütig an Musikabende denken müssen, wenn ich künftig Freunde besuche.
Neulich habe ich gelesen, dass Immobilienmakler jetzt immer häufiger Psychologiekurse belegen. Ich weiß jetzt warum. Offensichtlich sind wir nicht allein, wenn uns die Emotionen manchmal überwältigen. So ein Hausverkauf kann einem ganz schön die Seele durch den Fleischwolf drehen. Und trotzdem steht die Entscheidung fest: Raus aus dem Grünen, rein in die Großstadt. Das Laub, das sich im Herbst kniehoch auf unserem Grundstück stapelt, sollen künftig andere wegräumen. Und auch der Schneepflug, der die Einfahrt freischaufelt, geht schon bald nicht mehr auf unsere Rechnung. An Bewegung wird es mir hoffentlich trotzdem nicht mangeln: Mein Fitnessbedarf wird künftig im Pool der Dachterrasse abgedeckt, der zum Fabrikloft gehört, oder, wenn’s dann schon sein muss, auch in der Muckibude, gleich neben dem Yoga-Raum.