Radtour: Immer am Kanal lang

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Gestern zu Fuß, heute auf dem Rad – wieder so ein begnadeter Herbsttag in Montréal. Diesmal ging es in westliche Richtung – fast immer am Lachine-Kanal, bzw. am Sankt-Lorenz-Strom entlang. Vorbei an Fabriken – viele davon stillgelegt, an Lagerhäusern und auch an Wohnvierteln. Klicken Sie sich durch, radeln Sie mit – und freuen Sie sich mit uns, dass wir das Glück haben, in einer Weltstadt zu leben, in der Nachtschwärmer und Naturliebende gleichermaßen auf ihre Kosten kommen.                                                                                                   Fotos: © Bopp

Montréal: Herbst in der City

titelHeute in Montréal: Ein Herbsttag wie aus dem Fotoblog – perfekt für eine 25 Kilometer lange Stadtwanderung. Einfach durchklicken, mitwandern und staunen, was die Stadt meines Herzens um diese Jahreszeit so alles zu bieten hat.                                                                                                            Fotos: © Bopp

HELP! Beatlemania in Montréal

Ein bisschen wie damals: Beatles-Revival-Konzert im Theatre St. Denis

Ein bisschen wie damals: Beatles-Revival-Konzert im Theatre St. Denis

It’s been a hard days night in Montréal: Vier Jungs, nennen wir sie John, Paul, George und Ringo, brachten das Theatre St. Denis zum Beben. Eine Beatles-Revival-Band blieb den Fab Four nicht nur im Rhythmus treu, sondern auch im Aussehen. Linkshänder-Bass und Pilzkopf inklusive.

Es gibt viele Arten, sich einen netten Abend in Montréal zu machen. Noch lange nicht die schlechteste: Du gehst mit Freunden, von denen du weißt, dass sie, wie du, jeden Beatles-Song nachpfeifen können, in ein Revival-Konzert.

Und schwelgst in Erinnerungen, die dir keiner mehr nehmen kann.

Erinnerung Nummer eins: Irgendwann Mitte der 60er-Jahre machte am Wieland-Gymnasium das Gerücht die Runde: Die Beatles kommen! Leider nicht nach Biberach, sondern nach Mailand. Was liegt da näher, als von Biberach nach Mailand zu trampen und nach der Ankunft in Italien festzustellen, dass es a) keine Tickets mehr gibt und b) du dir sowieso keines leisten könntest.

Tramper waren zu jener Zeit eine gut vernetzte Truppe. Das Facebook der Autostopper war die Jugendherberge. In einer dieser Juhes, wenn ich mich richtig erinnere in Bozen, versicherte ein Typ glaubhaft, man brauche gar keine Karten für das Beatles-Konzert im San Siro-Stadion. Man müsse lediglich in der nahe gelegenen Jugendherberge nächtigen. Von der dortigen Terrasse aus habe man nicht nur einen fabelhaften Blick ins Stadion. Mehr noch: Der Sound in der Juhe sei um Längen besser als vor Ort.

Gesagt, getan. Für einen oberschwäbischen Pilzkopf war in Mailand tatsächlich noch ein Stockbett frei. Und tatsächlich konnte man von der Jugendherberge aus die Beatles mäßig gut sehen und sogar hören. Umsonst.

Erinnerung Nummer zwei: Viele Jahre später ist mir George Harisson über den Weg gelaufen. Es war bei einem Formel-Eins-Rennen in Montréal. Ich war als Reporter dort. Nach dem Qualifying am Samstag vor dem Renntag saß ich noch mit einem ARD-Kollegen im Ferrari-Bistro an den Boxen. Rennställe schmücken sich gerne mit großen Namen. Jack Nicholson ist mir einmal an der Rennstrecke begegnet und auch Ozzy Osbourne. Auch Tom Cruise und Michael Douglas ließen sich mal sehen. B-Prominenz im Vergleich zum großen George Harrison.

Der Beatle betrat das Bistrozelt eher unauffällig und ganz allein. Dass er das Renn-Wochenende in Montréal verbringen würde, hatte bereits die Runde gemacht. Würde er sich an unseren Tisch setzen? Und wenn ja: ”Wie spricht man denn einen Beatle an?”, fragte ich den Kollegen. “Sag ihm doch”, meinte der ARD-Reporter dann, “dass du auch Gitarre spielst”. Toll. So fängt man also eine Konversation mit einer Legende an? Ein richtiges Tischgespräch wurde nicht aus dieser Begegnung. Aber ein geschichtsträchtiger Moment war es trotzdem: Keine sechs Monate später war George Harrison tot.

Und jetzt also das Revival-Konzert im Theatre St. Denis. Herrlich, was so alles Platz hat in der Wundertüte, die sich Leben nennt.

>>>  Hier geht’s zum Youtube-Video der Beatles Revival-Band  <<<

Die Story vom gestohlenen Herzen

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Tatort Pilgerstätte: Das Oratoire St. Joseph in Montréal heute Nachmittag. © Foto: Bopp

Kurz nach meiner Ankunft in Montreal vor mehr als 30 Jahren wurde mir eine Geschichte zugetragen, die mich bis heute fasziniert. Es ist die Geschichte vom gestohlenen Herzen.

Das Herz gehörte Bruder André, einem katholischen Geistlichen, der anscheinend Wunder vollbrachte. Zu seinen Ehren wurde später eine Pilgerstätte errichtet, die jährlich von bis zu drei Millionen Menschen besucht wird. Als ich vorhin eher zufällig am Oratoire St. Joseph vorbeimarschiert bin, fiel mir die Geschichte wieder ein.

Die Pilgerstätte ist riesig. Sie gilt neben dem Petersdom in Rom, dem sie nachgebaut wurde, als die zweitgrößte Basilika der Welt. Die Bauarbeiten begannen 1924 und dauerten mehr als 40 Jahre. Das Schiff der im italienischen Renaissancestil errichteten Kirche bietet Platz für bis zu 3000 Menschen. Die Spitze des Doms ragt 236 Meter über den Meeresspiegel in den Himmel. Es ist der höchste Punkt Montreals.

Allein bis zum Haupteingang der Kirche müssen die Besucher schon 280 Treppenstufen zurücklegen. Manche Gläubige robben die Strecke auf ihren Knien hoch – alles zur Ehre des inzwischen heiliggesprochenen Bruder André.

Im Inneren der Basilika gibt es eine Rolltreppe, die zu einer Plattform führt, von der aus ein wunderbarer Panoramablick in den Norden, Westen und Osten der Stadt möglich ist. Bei klarer Sicht ist von hier aus sogar das mehr als 100 Kilometer nördlich gelegene Laurentiden-Gebirge zu sehen.

Irgendwo in diesem Koloss von Kirche ruhte also das Herz des im Jahr 1937 verstorbenen Geistlichen. Millionen Pilger statteten dem Heiligen Herzen einen Besuch ab. Hunderte von ihnen behaupteten später, von Krankheiten geheilt worden zu sein.

Das Herz des Bruder André gehört seither zur Geschichte Québecs wie die stille Revolution und der Sprachenstreit zwischen Anglo- und Frankokanadiern.

Dann geschah etwas Eigenartiges: Im März 1973 wurde das in einer Schatulle aufbewahrte Herz aus dem Museum der Basilika gestohlen. Unter den Katholiken von Québec herrschte Aufruhr. Es bildeten sich Gruppen von Gläubigen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, das Herz zu finden. Umsonst. Das Herz blieb verschwunden.

Bis zum Dezember 1974. Ein anonymer Anrufer meldete sich bei einem Montrealer Anwalt. Er sei im Besitz des gestohlenen Herzens. Gegen ein Lösegeld von 50 000 Dollar werde er das Organ freigeben.

Doch die Kirche war nicht bereit, das Lösegeld zu bezahlen. Durch das Telefonat war es allerdings möglich, den Ort des Anrufers ausfindig zu machen. Im Kellergeschoss des Gebäudes, von dem aus der Anruf getätigt worden war, wurde das Herz schließlich unversehrt gefunden.

Inzwischen befindet es sich wieder im Museum der Basilika. Sicherheitsbedienstete bewachen das Herz des Bruders Andrés seither rund um die Uhr.

Der alte Mann und die Liebe

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Alte Menschen sind großartig. Vor allem, wenn sie das Alter klug gemacht hat und nicht bitter.

Neulich in einer Montrealer Bar, neben mir sitzt ein alter Mann. Er sei gerade 90 geworden, sagt er. Man stellt sich vor.

Do you love yourself, Herbert?“, fragt er mich.

Als meine Antwort nach gefühlten zwei Millisekunden immer  noch nicht kommt, hakt der alte Herr nach: „Do you REALLY love yourself, Herbert?

Ich glaube schon“, sage ich und ernte für diesen Wortschwamm prompt die verdiente rhetorische Tracht Prügel: „Glauben heißt nicht wissen“.

Diese These soll hier keineswegs infrage gestellt werden. Interessanter scheint mir, dass sich ein Neunzigjähriger überhaupt auf ein philosophisches Minenfeld wie das der Liebe, des Glaubens und der Weisheit begibt.

Und überhaupt: Gehört ein 90jähriger Mann abends nicht ins Bett statt an die Bar?

Hinter dem greisen Herrn sitzt, halb verdeckt von seinem weißen, weisen Kopf eine junge Frau mit Rehaugen und MacBook. Mein Gesprächspartner hat sie längst entdeckt. Wer in Paris geboren wird, in Tel Aviv, Wien, Rom und Budapest aufwächst und dann über New York nach Montreal kommt, hat das Vieraugenprinzip verstanden.

Ich muss mich für ein paar Minuten entschuldigen. Nach meiner Rückkehr strahlen mich die Augen des alten Mannes geradezu an. „Ich möchte dir Mireille vorstellen“, sagt er. „Sie kommt aus Grenoble. Ist sie nicht herrlich?“.

Aha. Mireille heißt sie also, die junge Frau mit den Rehaugen und dem MacBook.

Mireille lächelt, als sie mir vorgestellt wird. Mein neuer Freund lächelt immer noch. Und auch mir hat die Begegnung mit zwei so unterschiedlich schönen Menschen ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Spät in der Nacht verabschiedet sich mein neuer Freund von Mireille und mir. Er müsse morgen früh raus. Die Uni gehe wieder los. „Die Uni?“ „Ja„, sagt der alte Mann, er sei seit 15 Jahren an der Universität eingeschrieben. Morgen treffe er sich mit einer Komilitonin zum Gedankenaustausch. Sie ist 23.

„Wie machst Du das?“, frage ich meinen neuen, alten Freund.

Es sei ganz einfach: „First you have to love yourself“, sagt der alte Schwerenöter, „then they will love you„.

Erst viel später, auf dem Heimweg, wird mir klar: Ich bin einem liebenswerten Menschenfänger begegnet. Einem, der das Alter als Luxus versteht und nicht als Last.

Ich möchte, bitteschön, auch neunzig werden. Und zwar genau so.