
Screenshot der CBC-Internetseite
Manchmal komme ich mir in Kanada vor wie der berühmte Autofahrer, der in die verkehrte Richtung rast, aber alle anderen für Geisterfahrer hält. Man könnte auch sagen: Oft verstehe ich meine Landsleute nicht. Hier ist ein Beispiel der vergangenen Tage:
Ein Autofahrer gerät in Panik, als ihn die Polizei wegen überhöhter Geschwindigkeit auf der Stadtautobahn verfolgt. Die Unvernunft des jungen Mannes nimmt ein grausames Ende. Am Ausgang des Montréaler Ville-Marie-Tunnels verliert der 23-Jährige die Kontrolle über seinen Pkw und rast in den Tod. Dass der Wagen des flüchtigen Fahrers zuvor den Polizei-Cruiser gerammt hatte, soll nicht unerwähnt bleiben. Auch nicht, dass die Polizei wegen des beschädigten Einsatzfahrzeuges die Verfolgung abbrechen musste. Fakt bleibt: Der Junge starb, weil er wohl Panik bekam und vor den Polizisten fliehen wollte.
Übrigens nicht ohne Grund: Auffallend häufig enden in Kanada Verfolgungsjagden der Polizei mit dem Tod des Verfolgten – und manchmal auch der Verfolger. Wie viele Opfer dabei zu beklagen sind, kann ich nicht sagen. Im Netz gibt es keine verlässliche Statistik darüber.
Kann einem Autofahrer, der mit überhohter Geschwindigkeit durch einen Tunnel fährt, nicht später ein Strafbescheid zugestellt werden? Seine Daten sind doch erfasst, die Geschwindigkeit wurde gemessen.
Nach dem jüngsten Vorfall, der sich vor vier Tagen in Montreal ereignet hat, war das Thema den meisten Medien gerade mal eine Notiz wert. Mich wühlen Unfälle dieser Art immer wieder aufs Neue auf. Wer Vater und Mutter bei Verkehrsunfällen verloren hat, reagiert da vielleicht besonders sensibel, auch wenn damals kein Fremdverschulden oder gar eine Verfolgungsjagd im Spiel waren.
Die Kommentarfunktion im Internet ist eine gute Art, sich abzureagieren. Es kommt nicht oft vor, dass ich, abgesehen von diesem Blog, meine Meinung poste. Hin und wieder bei Spiegel-Online. Gelegentlich auch auf der Website der Canadian Broadcasting Corporation (CBC). Vor ein paar Tagen konnte ich mich nicht zurückhalten.
Mein Text war, denke ich, respektvoll formuliert: „A sad day indeed for the loved ones of this young man. My heart goes out to them. So it was basically a speeding ticket for a human life. When will this nonsense of police cruisers chasing innocent people finally stop? What kind of training do these officers have? It’s amazing how they can get away with this. My condolences to the family“.
Kondolenz also für die Hinterbliebenen. Und dann die Frage: „Wann hört dieser Unsinn endlich auf, dass unschuldige Menschen Opfer von Verfolgungsjagden der Polizei werden“?
Die Reaktion auf meinen Eintrag, den ich auf der Kommentarseite des staatlichen Senders CBC gepostet hatte, war für mich schockierend. 97 Leser gaben mir den „Daumen runter“, nur 9 stimmten mir zu. (Drei davon sind mir persönlich bekannt). In einer Antwort heißt es: „Da trifft also jemand eine falsche Entscheidung, stirbt – und dann ist es die Schuld der Polizei?“ Herzlos geht es weiter: „Hätte er das Gesetz beachtet, wäre er noch am Leben“. Hallo? Es geht hier um einen Jungen, der zu schnell gefahren ist.
Ein anderer Kommentator antwortet auf meinen Post: „Wer mit deiner Einstellung seine Kinder erzieht, muss damit rechnen, dass sie im späteren Leben wegen jeder Kleinigkeit den Behörden davonlaufen.“
Jetzt bin ich verwirrt. Aber man muss seine Landsleute ja auch nicht in jedem Punkt verstehen.