Tag drei der Dreharbeiten – und wir sind alle guten Mutes. Das Wetter scheint endlich Sterlings Kameras zu mögen. Die Nässe vom ersten Tag, die Kälte von gestern – alles wie weggeblasen. Heute ist heute und die Sonne scheint, ein Bluejay hat sich mit unserer Multikultitruppe angefreundet und genießt seinen Fensterplatz vor der Lodge. Am Seeufer baut ein Biber an einem Damm. Alle finden das klasse, nur Sterling und Thibeau nicht. Sie müssen das Rascheln im Busch später ausfiltern. Filmen erfordert Kompromisse an allen Ecken und Enden.
Auch der heutige Tag hat, wie schon die ersten beiden Drehtage, im Morgengrauen begonnen. Raquel, die neben John die Hauptrolle in diesem vertrackten Beziehungsdrama spielt, serviert Omelette mit Spargel, Pilzen und Brokkoli. John, mit 65 unser Senior, lehnt dankend ab. Kein Grünzeug für ihn.
Thibeau, der Tonmann, kommt, wie immer zu spät zum Frühstück. Sein breites Lächeln unter den Dreadlocks ließe glatt die Sonne aufgehen, stünde sie inzwischen nicht längst über der Lodge, in der wir leben und arbeiten.
Sterling, der Regisseur von „Belle“, hat bis drei Uhr morgens Material gesichtet, Szenen vorsortiert, Töne gecheckt. Drei Stunden Schlaf reichen ihm, sagt er. Zuhause habe er auch nicht viel mehr. Er hat eine zehn Monate alte Tochter. Ruhige Nächte gehen anders.
Raquel und Luca, die beiden Jüngsten im Team, philosophieren gerade in breitestem Quebecer Slang über die Liebe, das Leben in Little Italy, wo Luca wohnt, und dem schicken Plateau, wo Raquel zu Hause ist. Auf dem Tisch liegt eine Biografie von Werner Herzog.
Julien aus Paris, der einzig Böse im Film, gönnt sich nach dem Frühstück noch eine Mütze Schlaf. Sterling und Thibeau haben längst die Locations für heute gesichtet. Nach dem gemeinsamen Frühstück dann das Production Meeting: „Herbert, don’t forget to leave your hat on“. Ich bin der Regisseur des Films im Film. Was ich gestern anhatte, muss auch heute getragen werden. Die Szenen, die während der letzten drei Tage gedreht werden, spielen alle an einem Tag und alle im Freien. Da muss die Kontinuität stimmen.
Zoë ist etwas beunruhigt. Sie versucht seit dem frühen Morgen den Mann in ihrem Leben anzurufen, er meldet sich nicht. Später erfährt sie: Er selbst, auch Schauspieler, musste kurzfristig zu einem Nachdreh nach Ottawa. Übermorgen heiraten die Beiden. 250 Gäste sind zur Feier in Montreal eingeladen. Am nächsten Abend geht’s zurück in die Lodge. Dann stehen uns noch drei, vier Drehtage bevor.
Wir, die Nebendarsteller, sind dann weitgehend fertig mit filmen. John und Raquel werden das Wochenende über hier bleiben und danach noch eine Woche. Dann ziehen sie um mit ihrem Wanderzirkus in ein Montrealer Industriegebiet. Dort werden Partyszenen in einer abgedrehten Loft gedreht. Mein Charakter hat in dieser Szene nichts zu suchen.
Ein Filmshoot ist anstrengend, manchmal nervig, oft total frustrierend. Aber immer spannend. Wie das richtige Leben.