Ein Eisbär beim Zahnarzt

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„Aurora“ hat Aua: Ein Eisbären-Baby, das Wildbiologen kürzlich in der Nähe des Flughafens von Churchill im Norden von Manitoba entdeckt hatten und „Aurora“ tauften, wurde jetzt in einer Spezialklinik in Winnipeg behandelt.

Zwei Zähne des elf Monate alten „cubs“ waren entzündet. Wenn Bären Zahnweh haben, verändert sich ihr Fressverhalten. Dies kann im Extremfall zum Hungertod führen. Deshalb kam der Babybär jetzt auf den Stuhl. Die Prozedur verlief erfolgreich.

Wie so eine Zahnbehandlung vonstatten geht, sehen Sie hier in einem Video, das die „Winnipeg Free Press“ auf ihrer Internetseite veröffentlicht hat.

Bonbons – oder ich schieße!

Halloween. Und Millionen Kanadier machen sich wieder zum Affen. Sie stülpen sich Schweinsmasken übers Gesicht und servieren im Dracula-Outfit rote Grütze, die aussieht wie Schimpansenhirn. Ihre Häuser werden zu Geisterhütten. Kindern wird der Zutritt nur gewährt, wenn sie „Trick or Treat“ rufen. Das heißt zwar genau genommen so viel wie „Streich oder Leckerbissen“. Was sie wirklich meinen: „Bonbons oder ich schieße!“

An meinem ersten kanadischen Halloween-Abend war ich noch Mitglied im Club der Kinderhasser. Baby, Bubi, Windelwechseln – das alles war noch weit, weit weg in meinem Kopf. Irgendwann stand ein Kostümkind an meiner Junggesellenbude. Es fuchtelte mit einem Kampfschwert vom K-Mart herum und brüllte dabei „Trick or Treat“ . Am liebsten hätte ich den Rotzlümmel am Arm gepackt und in den Müllschlucker geworfen. Aber das ging nicht. Die Berufsmutter stand daneben und schaute mich milde lächelnd an, als wäre ich noch bescheuerter als ihr Samurai-Söhnchen, weil ich das ganze Spiel nämlich nicht geschnallt hatte.

Wie konnte ich auch? Ich war neu in Kanada und mit vielen Gebräuchen noch nicht vertraut. In Ummendorf war Fasnet der einzige Anlass gewesen, der das Aufsetzen von Masken erlaubte, ohne dabei eine polizeiliche Festnahme zu riskieren. An diesem 31. Oktober in Kanada stand für mich fest: Ich hasse Halloween. Es kann mir von jetzt an gestohlen bleiben.

„Creepy Fingers“ aus Blätterteig, Mandelscheiben und irgendwas Rotem.

Eine Freundin überredete mich noch am selben Abend zum Besuch eines ziemlich schrägen Varieté-Theaters in Winnipeg. Im schlimmsten Viertel der Stadt wurde die „Rocky Horror Picture Show“ gezeigt. Alice Cooper für Arme. Ich fand das damals alles ganz schrecklich. Die Vorstellung fing Punkt Mitternacht an. Danach musste ich zweieinhalb Stunden mit ansehen, wie erwachsene Männer wie bekifft mit Mistgabeln auf völlig ausgerastete Frauen losgingen, die ebenfalls bis zu den Zähnen mit Mistgabeln bewaffnet waren. Hinterher lagen sie alle in einer Blutlache aus Tomatenketchup, die irgendwelche Bühnenarbeiter anschließend für $ 5.50 in der Stunde wieder wegputzen mussten. Und dafür habe ich noch Geld bezahlt.

Fratze aus gekochten Schinkenstreifen

Dann kam Lore in mein Leben. Zusammen wollten wir noch einen Versuch machen, was das mit diesem Halloween eigentlich so auf sich hat. Und siehe da: Es war toll!

Spaß mit schwabbeligen Hirnbrocken

Nachbarn und Freunde luden uns zu Halloween-Parties ein. Wir verkleideten uns als Hänsel und Gretel oder als Zauberer und Hexe. Wir nagten an Hähnchenschenkeln, die aussahen, als wären sie von Ratten fangfrisch aus der Mülltonne gezogen worden. Und lutschten an schwabbeligen Hirnbrocken, die als Wackelpudding in einem aufgemeißelten Schweinskopf serviert wurden, der aus Gummibärchen-Tunke bestand. Vom anderen Tischende her schaute uns eine menschliche Fratze so lange an, bis ich mich mit Messer und Gabel daran machte und plötzlich gekochte Schinkenstreifen in der Hand hielt.

An unserer Haustür stapeln sich am Halloween-Abend nach Sonnenuntergang Kinder mit Körben und Jutetüten für die Süßigkeiten, die wir für sie bereit halten. Manche Geisterkids strecken uns ihre Sparschweine entgegen. Sie sammeln Münzen für Haiti und auch für Unicef.

Halloween ist in Kanada Big Business. Allein in meiner Provinz geben die Leute für den Spuk jährlich 85 Millionen Dollar aus. Dabei ist es den meisten der überwiegend katholischen Québecker ziemlich egal, dass Halloween aus dem Keltischen kommt und im Grunde genommen ein total heidnisches Fest ist. Hauptsache Halloween. Hauptsache Horror.

Und wenn’s sein muss auch eine Rocky Horror Picture Show.

 

Hutterer: Das vergessene Volk

Huttermaedchen in Manitoba. Copyright Herbert Bopp

Heute drehen wir mal kurz die Zeit zurück – und bleiben doch mittendrin im Leben. Besuch bei den „Hutterern“ in der kanadischen Prärie. Rund 42 000 dieser religiösen Sektierer leben auf „Bruderhöfen“, die für sie „Archen im Meer der irdischen Sünden“ sind. Wer eine dieser Farmkommunen besuchen will, braucht Geduld. Und einen Vetter im Himmel.

Hutterer-Schule in James Valley/Manitoba. Copyright Herbert Bopp

Geduld lernt man in Kanada schnell: Geduld, bis der Winter endlich vorbei ist. Geduld, bis die Menschenschlange am liquor store  kürzer wird. Geduld bis der Überholvorgang auf dem Highway abgeschlossen ist, denn alle fahren hier genau 100 Stundenkilometer. Nicht mehr, nicht weniger. Besonders viel Geduld war nötig, bis mein erster Besuch in einer Hutterer-Kolonie eingefädelt war. Wobei wir bei der zweiten Voraussetzung wären: dem Vetter im Himmel. Der hieß wieder einmal Bernd. Als Chefredakteur des deutschsprachigen Kanada Kurier hatte er Kontakt zu einer Hutterer-Kolonie im Süden von Manitoba, unmittelbar an der amerikanischen Grenze.

Kein Spiegel für die Eitelkeiten

Von Winnipeg aus sind es knapp zwei Autostunden bis zur „James Valley„-Kommune. Dort leben in friedlicher Eintracht genau 127 Männer, Frauen und Kinder. Sie betreiben Ackerbau und Viehzucht, züchten Gänse und Truthähne, die sie dann an Großabnehmer in der Stadt verkaufen. Die Hutterer bleiben am liebsten unter sich. Fernsehen ist bis heute nicht erlaubt. Auch Kosmetik- und Garderobenspiegel, in dem man ja seine Eitelkeiten pflegen könnte, sind bei den Hutterern tabu.

Es sind Selbstversorger, diese etwas schrulligen, aber durchaus liebenswerten Menschen. Die Männer tragen schwarze Anzüge mit weißem Hemd, die Frauen Kopftücher. Alle Mahlzeiten werden in einem Gemeinschaftsraum eingenommen. Erst sind Kranke, Alte und kleine Kinder an der Reihe. Dann die Männer. Und zum Schluss die Frauen, die das Essen gekocht haben. Alice Schwarzer würde wahnsinnig werden.

„Jeder gibt, wos’r kann und kriegt wos ihm not ist.“

Die  Hutterer haben eine tragische Geschichte hinter sich. Als ihr Gründer Jakob Hutter 1536 wegen seines Glaubens in Innsbruck hingerichtet wurde, machten sich seine Anhänger auf eine Odyssee, die sie in viele Teile der Welt führte. Zunächst verteilten sie sich in Europa. Vor etwa 160 Jahren ließen sie sich dann in Kanada nieder. Die USA wären ihnen auch recht gewesen. Aber als Pazifisten würden sie nie in den Krieg ziehen. Es sind im christlichen Sinne Kommunisten, die nach dem Motto leben: „Jeder gibt, wos’r kann und kriegt wos ihm not ist.“ So einfach ist das. Es ist ein fast vergessenes Volk, das Privateigentum schon 300 Jahre vor Karl Marx abgeschafft hat. Ihre Sprache ist für uns schwer verständlich. Es ist eine Mischung aus Tirolerisch/Kärntnerisch/Deutsch, mit vielen englischen Brocken dazwischen.

Wichtigste Frage: „Hoscht scho a Görlfränd?“

Als „Weltmensch“ hat man es nicht leicht, Zugang zu den Hutterern zu finden. Bernd hatte mir mit seinem Wissen über diese wundersamen Menschen eine Tür geöffnet. Durch die gehe ich an diesem Spätsommertag und finde eine Gemeinschaft vor, wie ich sie bis dato nie erlebt hatte. Die wichtigste Frage zuerst: „Hoscht scho a Görlfränd?“. Bernd hatte mich gewarnt: Bei dieser Frage ist eine kleine Notlüge erlaubt. „Görlfränd“ schon. Zusammenleben ohne Trauschein: nie und nimmer. Das würde die Moralvorstellungen dieser christlichen Wiedertäufer völlig durcheinander bringen.

Argwöhnisch schauen sie mich an, diese Bauern, aber auch sehr liebevoll. Ganz selten nur kommt ein Nicht-Hutterer zu Besuch. Und ist es dann „a Deitscher“ wie ich, wird er hofiert, als wäre er Jakobs Bruder persönlich. Mit meinem Schwäbisch genieße ich bei den Hutterern Heimvorteil. Sie verstehen meinen Dialekt vermutlich besser als wenn ich „nach der Schrift“ mit ihnen reden würde.

Spezialität des Hauses: Vergorener Löwenzahnsaft

Essenszeit. Es gibt weichgekochte Entenfüße, Kartoffelknödel und eine sämige Pilzsoße. Als Getränk schleppen die Frauen gallonenweise Apfelsaft heran. Ganz zum Schluss wird dem Besucher aus der Stadt noch eine Spezialität des Hauses kredenzt: „Blömmelwein“, vergorener Löwenzahnsaft, der ganz entfernt nach Alkohol schmeckt. Gebetet wird vor dem Essen, danach und oft auch zwischen den einzelnen Gängen. Mit dem gemeinsamen Kirchgang geht der Tag zu Ende. Es gibt kein Kreuz, keine Bilder, keinen Kirchenschmuck. Ein kahler Raum, hell erleuchtet. Die Männer links. Frauen und Kinder rechts.

Schmuck stört. Ob es Kirchenschmuck, Hausdekoration oder persönlicher Schmuck ist. Der liebe Gott duldet keine Eitelkeit. Aber weil auch Hutterermädchen nur Menschen sind, tricksen sie den Herrgott schon mal aus. Wenn schon keine Juwelen, dann wenigstens eine Brille als kosmetisches Attribut. Eine Brille mit Fensterglas, sonst nichts. Doch die Zeit ist auch auf den Archen Gottes nicht stehen geblieben. Immer mehr junge Hutterer verlassen jetzt die Kolonien ihrer Vorfahren und suchen Arbeit in der Stadt. Mischehen zwischen Hutterern und nicht-hutterischen Kanadiern gibt es offiziell nicht.

Nach Jahren wieder einmal Gast im Bruderhof

Die Erinnerung an meinen ersten Reporter-Besuch auf einer Hutterer-Kolonie hat mich nie mehr losgelassen. Neulich war ich nach vielen Jahren wieder einmal zu Gast in einem Bruderhof. Diesmal war Lore dabei. Für sie war es das erste Mal überhaupt. Die Herzlichkeit, mit der sie empfangen wurde, rührte sie fast zu Tränen. Jetzt hatte „der Deitsche“ auch noch „eine Deitsche“ mitgebracht – mehr geht nicht bei Hutterers.

Mein inzwischen verstorbener Freund und Kanada-Mentor Bernd Längin hat ein Buch über die Hutterer veröffentlicht. Es ist bei „Rasch und Röhring“ erschienen und heißt „Die Hutterer. Gefangene der Vergangenheit. Pilger der Gegenwart. Propheten der Zukunft“. ISBN-Nr. 3-89136-061-4

Viele Jahre nach meinem ersten Besuch auf einer Hutterer-Kolonie habe ich für das Deutsche Fernsehen einen Film über eine dieser „Archen im Meer der irdischen Sünder“ gedreht. Ein Ausschnitt davon ist auf YouTube zu sehen.

Es könnte sein, dass der Film wegen der Gema-Bestimmungen auf Ihrem Rechner nicht ausgespielt wird. (Geo-Blocking). Probieren Sie’s einfach mit dem direkten Link zum Video.Oder geben Sie ins YouTube-Suchfenster „Herbert Bopp“ ein.