Unsere Freundin Marga ist tot

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Trauer im Bloghaus: Am Montagabend ist unsere Freundin Marga gestorben. Sie wurde nur 93 Jahre alt. „Nur“, weil es immer zu früh ist, wenn gute Menschen gehen. Und Marga war einer der besten Menschen, die ich kenne. Kaum jemand hat während unserer Kanada-Zeit mein Herz und das meiner Familie mehr berührt als Marga.

Ihr Gesicht kannte ich schon, noch ehe wir uns zum ersten mal begegneten. Im Fernsehen war mir eine Frau mit deutschem Akzent aufgefallen, die energisch, aber eloquent die Erweiterung einer Kiesgrube in der Nähe ihres Hauses bemängelte. Das war vor 26 Jahren. In dem TV-Interview ging es, typisch für Marga, in erster Linie nicht um ihre Person, die sich an den Schaufelbaggern und Grasnarben störte, sondern um die Tiere. Waschbären, Eichhörnchen, Vögel – ihr Lebensraum würde durch den nunmehr größeren Kiesplatz noch weiter eingeschränkt werden. Und das gehe ja gar nicht. Wenige Jahre nach Margas Protestaktion wurde aus der Kiesgrube ein Golfplatz.

Später ist Marga unsere Nachbarin auf dem Land geworden. Schon bald wurden wir Freunde und sahen uns fast täglich. Unsere Leben ergänzten sich auf wunderbare Weise. Sie, die lebenskluge, ältere Dame aus Berlin, die ihrem Gastland Kanada stets kritisch, immer wissend und meistens positiv gegenüber stand. Wir, die Neueinwanderer aus dem Schwäbischen, die Kanada erst noch begreifen mussten.

Marga war die gute Seele von Hudson Acres. Zu Kindergeburtstagen trug sie, die kinderlos geblieben war, stets mit erlesenen Torten und Kuchen bei. Bei Erwachsenenfesten zeigte sie noch im hohen Alter Durchhaltevermögen. Ihr Gläschen Sherry ließ sie sich nicht nehmen. Ihr Kleidungsstil war so erlesen wie ihr Charakter. Auch bei minus 30 Grad stapfte sie noch wie aus dem Ei gepellt durch Eis und Schnee.

Gartenfest zu Margas 90. Geburtstag.

Gartenfest zu Margas 90. Geburtstag.

Einer der Höhepunkte unseres gemeinsamen Lebens auf dem Land war ihr 90. Geburtstag, den wir vor drei Jahren auf unserem Grundstück in Hudson Acres für sie ausrichteten. Alle ihre Freunde kamen, um ihr an den blumengeschmückten Tischen die Ehre zu erweisen. Nachbarn warteten zu ihrem Festtag mit einem kleinen Violinkonzert auf. Ein Geistlicher segnete die Speisen. Ein Freund hatte ein Lied für sie umgetextet. Es war fast zu viel der Ehre – für Margas Geschmack.

Anders als wir, war Marga tief religiös. Auch dieser Gegensatz stand unserer Freundschaft nicht im Weg. Im Gegenteil, er beflügelte unsere Leben gegenseitig. Unser Sohn fand in Marga eine intellektuelle, kultivierte und oft streitbare Komponente, die ihm bei manchen Fragen besser weiterhelfen konnte als seine eigenen Eltern. Mit ihrer großartigen Herzensbildung war es ihr stets ein Leichtes, andere Herzen zu berühren.

Noch vor zwei Wochen stattete Cassian Marga einen Besuch in ihrem weißen Hexenhäuschen im Wald ab, das sie bis zum Schluss allein bewohnte und bewirtschaftete. Sie hatte – mit 93 Jahren! – ein dreigängiges Menü für ihn zubereitet. Und: Sie fuhr noch immer Auto, bis zum letzten Tag. Dabei konnte sie der Rosenkranz, der stets vom Rückspiegel baumelte, auf ihrer allerletzten Fahrt am vorigen Samstag nur bedingt beschützen.

Dass Marga jetzt schnell und ohne Leiden gehen durfte, sehen wir, die wir sie lieben und verehren, als das letzte Geschenk, das ihr zuteil werden konnte. Auch die Art und Weise, wie sie zu Tode gekommen ist, passt in das Leben dieser ungewöhnlichen Frau:

Sie hatte auf dem Rückweg von einem Besuch bei einer Freundin im Dorf in ihrem Toyota einen Schlaganfall erlitten. Während fünf andere Autofahrer Blechschäden zu beklagen hatten, blieb Marga unverletzt. Ihr Schutzengel machte selbst da noch Überstunden.

Knapp 48 Stunden später ist sie nun an den Folgen des Schlaganfalls im Krankenhaus verstorben. Wir vermissen sie sehr.

Mit dem Kanu durch Kanada

mapEs gibt sie noch immer, die großen Abenteuer. Eines davon erlebt zurzeit eine junge Familie aus der Provinz Alberta. Pamela und Geoff MacDonald paddeln seit sieben Jahren quer durch Kanada. Jetzt haben sie in Montréal angedockt.

Ihr knallrotes Kanu ist gerade mal sieben Meter lang, vollgepackt mit Equipment: Zelt, Schlafsäcke, auch ein paar Gadgets wie Satellitentelefon und i-pad. Und natürlich die Crew selbst, die immer größer wird.

Aufgebrochen waren Pamela und Geoff vor sieben Jahren als Pärchen, zusammen mit Taq, einem reinrassigen Alaskan Malmute. Dann kam Nachwuchs an Bord: Jude und Rane, das Mädchen ist heute vier Jahre, der Bub gerade mal acht Monate alt.

Fast 9000 Kilometer haben die MacDonalds schon im Kanu zurückgelegt, davon auch 50 per “Portage”, also mit dem Kanu auf dem Rücken. Die Strecke durch die Coast Mountains in British Columbia ist nicht mit dem Boot zu schaffen.

Während der Wintermonate machen die Abenteurer Pause. Geoff arbeitet dann in seinem Beruf als Geologie-Ingenieur, Pam als Geschäftsfrau und Mutter.

Was als nächstes kommt, wie sie ihren Alltag auf engstem Raum meistern und auch Fotos von Geoff, Pamela, Jude, Rane und Taq finden Sie auf dieser Seite: canoeacrosscanada.ca Dort berichten die MacDonalds auch über eine Begegnung mit einem Grizzlybären.

Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Montréal sinkt immer tiefer

© Screenshot CBC-News

Im Rathaus geben sich die Oberbürgermeister die Türklinke in die Hand, weil einer nach dem anderen mit Schimpf und Schande davon gejagt wird. Das neue Krankenhaus steckt bereits vor der Eröffnung so tief im Korruptionssumpf, dass eine ganz Armee nötig wäre, um den Dreck zu beseitigen.

Viele Straßen erinnern mehr an Bagdad als eine Weltmetropole. In einem derart desolaten Zustand befindet sich die Infrastruktur, dass jetzt, nicht zum ersten Mal übrigens, eine Straßendecke eingebrochen ist und den Weg für einen kompletten Schaufelbagger frei gemacht hat.

Dass am selben Tag, an dem der Bagger eingesackt ist, nur ein paar hundert Meter davon entfernt ein drei Tonnen schweres Metallteil einen 32jährigen Passanten erschlagen hat, passt zwar ins Bild, muss aber unter der Rubrik „tragischer Unfall“ abgehakt werden. Am falschen Ort zur falschen Zeit. Die Stahlplatte hatte sich von einem Baukran gelöst.

Ein paar Kilometer weiter östlich dann der Dauerbrenner in Sachen Schlampigkeit: Das Olympiastadion, 1976 als eine Art architektonisches Wunder gefeiert, bröckelt weiter vor sich hin. Das Teflondach weist tausende kleiner Löcher auf. Die mit rund einer Milliarde Dollar „teuerste Kopfbedeckung der Welt“ ist im Eimer.

Spätestens, nachdem sich ein Betonklotz von der Größe eines Omnibuses aus dem Fundament gelöst hat, fühlt sich kein Besucher mehr so richtig sicher, der dort zur Automobilshow geht oder zur Freizeitausstellung.

Freunden, die hier zu Besuch sind, ist der desolate Zustand Montréals oft schwer zu verklickern. „Wie kann man so eine zauberhafte Stadt so verkommen lassen?“, ist einer der Kommentare, die ich oft höre. Die Antwort darauf ist brutal, aber korrekt: Weil an den Schaltstellen der Macht Menschen sitzen, denen Profit wichtiger ist als das Wohlergehen seiner Bürger.

Kleiner Trost: Anderswo sieht es wohl auch nicht viel besser aus. Freunde aus Florida berichten, der Zustand der Straßen von Miami sei ähnlich katastrophal. Und während in Montréal gerne die klirrende Kälte als Ursache der kaputten Fahrbahnen herhalten muss, ist es in Florida eben … die Hitze.

Wie gut, das wir noch Wetter haben.

Wucher im Botanischen Garten

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Botanische Gärten sind eine tolle Sache. Sie bringen die Natur zu denen, die sie nicht vor der Haustür haben. Kindern, zum Beispiel, die in den großen Städten leben. Oder auch älteren Menschen, die lieber grün statt grau sehen. Der Botanische Garten in Montréal gehört zu den schönsten, die ich kenne. Aber leider auch zu den teuersten.

Wer den vollen Preis bezahlt, muss für den Besuch $ 29.50 hinlegen, fast 22 Euro. Senioren bezahlen immer noch $ 28. Und selbst Kinder über 5 müssen 15 kanadische Dollar berappen. Ein Skandal. Vor allem, wenn man sieht, wie die Stadt Montréal als Trägerin des Jardin botanique de Montréal sonst mit ihrem Geld verfährt.

So wurde einem Mann mit dem schönen Namen Michael Applebaum kürzlich sein Abschied mit 268 000 Dollar versilbert. Der Ausdruck „golden handshake“ bekommt in diesem Zusammenhang übrigens eine süffisante Note. Mr. Applebaum war gerade mal sieben Monate als Oberbürgermeister der Stadt Montréal im Amt, als er morgens um sechs von seinem Haus in Handschellen abgeführt wurde. Er kommt demnächst wegen des Verdachts auf insgesamt 16 Straftaten vor den Richter, darunter Bestechlichkeit und Korruption.

Was hat ein Mann namens Applebaum mit dem Botanischen Garten zu tun? Viel. Durchaus möglich, dass mit exorbitanten Eintrittspreisen, wie sie für fast alle Montréaler Einrichtungen erhoben werden, „golden handshakes“ für all die Applebaums finanziert werden, ehe sie dann womöglich in Handschellen abgeführt werden.

Dass es hier mehr als einen Mr. Applebaum gibt, sei nur am Rande erwähnt. Im benachbarten Laval durfte vor ein paar Wochen der dortige Oberbürgermeister 170 000 Dollar als Abschiedsgeschenk einstreichen. Der Mann war immerhin acht Monate im Amt.

 Zu seinem Sturz hatte ein Erpressungsversuch zweier Prostituierten geführt. Die Dienste der Damen wollte der Herr Amtsinhaber nicht voll bezahlen, weil sie nicht rechtzeitig am vereinbarten Ort erschienen waren.

Wanderung ans „Ende der Erde“

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Was fühlt ein Mensch, der gerade 750 Kilometer zu Fuß hinter sich gebracht hat? Ich weiss es nicht. Aber der Sohn weiss es. Er ist heute am Ende seiner Pilgerreise durch Spanien angekommen. Er hat den Jakobsweg erwandert und noch ein bisschen mehr. Und er fühlt sich großartig.

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Weil er fast fünf Wochen lang stets ein wenig zu forsch unterwegs war, ist er früher als geplant in Santiago de Compostela eingetroffen, der eigentlichen Endstation des Jakobswegs. Und da sein Flieger nach Kanada erst am Montag geht, ist er einfach noch drei Tage weiter gelaufen, bis ans Ende der Erde. So heißt die deutsche Übersetzung von Finister. Ein Küstenort am Atlantik, nördlich der portugiesischen Grenze.

33 Tage, manchmal 25, manchmal 35 Kilometer. Ohne einen Tag Ruhepause. Bei Regen und Wind, bei 40 Grad Hitze und 8 Grad Kälte. Durch Täler und über Gebirgszüge. Das Ganze mit weniger als 10 Kilo Gepäck auf dem Rücken – so wenig und doch so viel.

Ich bin mit gewandert. Mit Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg„. Alles, wirklich alles, was Kerkeling schreibt, hat auch der Sohn so empfunden, erlebt, verspürt, schnarchvolle Massenschlafsäle inklusive. Dabei hat er das Buch nie gelesen.

Die Wanderung auf dem Jakobsweg wurde zur Reise seines 25jährigen Lebens. Er sei glücklich und zufrieden, schwärmt der Sohn am Telefon. Und auch stolz darauf, das Ziel erreicht zu haben.

Zu viele Eindrücke, um sie per Handy zu vermitteln. Keine einzige Blase an den Füßen. Dafür ab Muskelpakete an den Waden. Und vielleicht auch im Kopf. In 33 Tagen hat man viel Zeit zum Nachdenken.

Er hat Freundschaften geschlossen und eine neue Art der Bescheidenheit gelernt. Er war allein von Montréal nach Madrid geflogen und dann weiter mit dem Bus nach Pamplona gereist. Nur er und sein Rucksack. Jetzt ist sein Pilgerpass voll mit Stempeln von all den Herbergen und Klöstern, in denen er übernachtet hat. Und sein Kopf voller Eindrücke.

Schon am ersten Tag hat er Menschen getroffen, die ähnlich ticken wie er. Mit ihnen ist er meistens, aber nicht immer gewandert. In einer kleinen Gruppe. Ein älterer Mann war dabei, mit seiner 23jährigen Nichte. Der Onkel hatte seine Frau durch Krebs verloren. Vor ihrem Tod hatte er ihr versprochen, mit der Nichte zusammen den Jakobsweg zu wandern.

Manche in der kleinen Gruppe wurden krank. Sie hatten sich mit spanischem Essen den Magen verdorben oder mussten wegen entzündeter Blasen an den Füßen behandelt werden. Sie hätten ihn „den Jungen mit den goldenen Füßen“ getauft, erzählt der Sohn.

Am Montag kommt unser Golden Boy nach Montréal zurück. Er wünscht sich Schnitzel mit Kartoffelsalat.