
Was geht, was nicht? © Gouvernement du Québec
Mit das Beste an Kanada war für mich von Anfang an die Offenheit, mit der man hier ethnischen Minderheiten begegnet. Möglich, dass ich diesen Grund demnächst aus meiner Best-Of-Liste streichen muss.
Die Regierung von Québec hat nämlich einen Gesetzentwurf vorgelegt, der gefährlich nah an Rassismus vorbeischrammt: Angestellte des öffentlichen Dienstes sollen während der Arbeitszeit keine Kopfbedeckungen mehr tragen dürfen, die Rückschlüsse auf ihre Religionszugehörigkeit zulassen. Dazu gehören neben Burka und Schleier auch Kippas und Turbane. Auch christliche Kreuze stehen auf dem Index, allerdings erst ab einer bestimmten Größe.
Das mit der Größe kennen wir schon: Warenauszeichnungen in Geschäften sind nur dann auf Englisch gestattet, wenn die französische Version zweimal so groß ist wie die englische. Darüber wacht eine Behörde, die gemeinhin als “Sprachenpolizei” bekannt ist.
Irgendwo muss die viel gepriesene kanadische Freiheit auf ihrem Weg nach Québec im St. Lorenz-Strom untergegangen sein. In Montréal herrschen andere Gesetze als im Rest von Kanada. Manche davon sind wunderbar, weil sie mit Lebensfreude zu tun haben.
Andere sind menschenverachtend, bevormundend und intolerant.
Dazu gehört, dass Bürgern meiner schönen Wahlheimat vorgeschrieben wird, in welche Schulen sie ihre Kinder zu schicken haben. Ob Englisch oder Französisch hängt davon ab, woher die Eltern stammen und in welcher Sprache sie ihre Schulzeit absolviert haben. Und jetzt also die Ausgrenzung ethnischer und religiöser Minderheiten.
Beim Schleierverbot bin ich, speziell wenn es um Lehrerinnen geht, noch dabei. Ich finde, jedes Kind soll die Möglichkeit haben, der Person, die wesentlich für seine Erziehung verantwortlich ist, ins Gesicht schauen zu können. Diese Selbstverständlichkeit ist bei einer verschleierten Frau aber nicht mehr gewährleistet.
Anders beim Kopftuch, dem Turban oder bei der jüdischen Kopfbedeckung, der Kippa. Auch ein Kruzifix stört mich nicht im Geringsten, wenn es von der Ärztin meines Vertrauens oder dem Mann getragen wird, der für meine Steuerrückzahlung zuständig ist.
Warum die Québecer Regierung mit dem Kopftuchgesetz überhaupt eine neue Baustelle aufmacht, ist mir ein Rätsel. Es besteht nämlich überhaupt keine Notwendigkeit. Es drohten weder ein Musterprozess noch Klagen, etwa der Eltern.
Ich denke, es hat damit zu tun, dass die nationalistisch ausgerichtete Parti Québecois unter Pauline Marois bei den nächsten Wahlen am rechten Ufer punkten will. Gut möglich, dass ihre Rechnung in die Hose geht. Die unerwartet hohe Beteiligung bei diversen Demonstrationen gegen das neue Gesetz lässt die Freiheitsliebenden unter uns hoffen.
Umgekehrt sprechen Meinungsumfragen eine weniger deutliche Sprache: So richtig fies finden die Québecer den angestrebten Kopftuchbann offenbar nicht: 45 Prozent sind dafür, 49 dagegen.
Dem Rest ist es offenbar wurscht, wenn aus dem ehemals so freiheitsliebenden Québec eine Gesellschaft wird, in der es wichtiger ist, was auf dem Kopf ist als das, was drinnen abgeht.
Plötzlich verteufeln Politiker die Geister, die sie riefen. Schließlich wurde in der kinderarmen Provinz Québec jahrelang geradezu händeringend um Neueinwanderer geworben. Sie sind gekommen, die Immigranten. Und haben mit ihren Kindern auch ihre Religionen und Werte mitgebracht.
Und auch ihre Kopfbedeckungen.