Der grübelnde Korrespondent

jazzfest

Action ohne Korrespondentenstress: Jazzfestival in Montréal. © Bopp

Themen-Alarm in Montréal – und ich bin nicht dabei: Wenn in deiner Stadt an einem Tag das Formel 1-Rennen und ein Konzert der Rolling Stones stattfinden, liegen die guten Geschichten auf der Straße. Wenn dann zeitgleich noch mehrere Filme gedreht werden – darunter ein Hollywood-Blockbuster – kribbelt’s beim ehemaligen Korrespondenten in den Fingern.

Begegnet bin ich weder Hugh Grant, der zurzeit in Montréal dreht, noch Herrn Vettel und auch nicht Mick Jagger mit den Boys. Wie denn auch? Der Kanada-Korrespondent ist schließlich außer Dienst.

Ein wenig bizarr fühlt es sich schon an – und auch ein bisschen wehmütig: Jahrelang habe ich als freier ARD-Korrespondent vom Circuit Gilles Villeneuve berichtet, wo gestern wieder der Große Preis von Kanada ausgetragen wurde. Und jetzt? Sitze ich in einer Sportbar, zusammen mit Dutzenden von anderen Fans, und schaue mir das Rennen am Großbildschirm an. Ohne Pressekarte um den Hals, ohne Mikro in der Hand, keine Deadline im Nacken. Live war gestern.

Wenig später dann in der Métro ein Meer von roten Ferraristi und ausgelassenen Vettel-Fans. Und plötzlich weiss ich, wie es sich anfühlt, wenn sich der rasende Reporter von der tagesaktuellen Berichterstattung zurückgezogen hat und gelegentlich seinen selbst gewählten Vorruhestand anzweifelt.

Wenn hin und wieder jemand fragt, ob ich meine Korrespondentenzeit als Hörfunkreporter denn gar nicht vermisse, muss ich nicht lange nachdenken. Klar vermisse ich sie, aber …

Aber nur ein bisschen und auch nur manchmal. Die Zeiten ändern sich. Wenn du 30 bist und du wirst (wegen der Zeitverschiebung) dreimal in der Nacht von Radiokollegen geweckt, die dich zur Unzeit live auf Sendung haben wollen, weil in der kanadischen Arktis gerade mal wieder ein Nordpolwanderer gestrandet ist, dann packst du das weg. Hinterher fehlen dir zwar ein paar Stunden Schlaf. Aber dein Adrenalinspiegel steigt – und mit ihm der Kontostand.

Mit Mitte 60 sieht die Welt anders aus. Irgendwann wird Schlaf wichtiger als Kohle. Sollen doch andere Mick Jagger interviewen, Sebastian Vettel umwerben oder Hugh Grant bezirzen. Alles zu seiner Zeit.

Wobei: Jetzt eine Live-Reportage über das Rolling Stones-Konzert, das wär’s.

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Im Bett mit den Rolling Stones

t 2012-12-12 at 10.19.57 PM

Eigentlich sollte es nur ein gemütlicher Fernsehabend werden. Ein bisschen News, ein wenig Kochkanal, vielleicht noch Letterman. Dann Licht aus und schlaf schön. Dass daraus ein aufregender Abend vor dem Macbook wurde, liegt an Mick und seinen Boys. An Bon Jovi und Eric Clapton, an Springsteen und Alicia Keys und auch an Paul McCartney. Live aus dem Madison Square Garden wurde in der vergangenen Nacht ein Benefizkonzert für die Opfer von „Sandy“ gestreamt. Für mich das Konzertereignis des Jahres.

Internet ist schon klasse. Du aalst dich auf deinem Bett, vor dir ein mattsilbernes Brettchen mit einem Apfel hinterm Bildschirm, zwei Knöpfe im Ohr – und schon ist die Welt in Ordnung.

Pete Townshend fuchtelt mit seiner E-Gitarre vor dir rum, du wartest darauf, dass er sie endlich zertrümmert, wie damals in den Sixties. Und dann erinnerst du dich, dass du vor ein paar Tegen ein Interview gelesen hast, in dem es heisst, dass er jetzt ein guter alter Mann sei und nie mehr Hotelzimmer zerdeppern und Elektrogitarren schrotten werde. Who?

Feuerzeug-Lichtorgien waren gestern. Heute ist es das Handy.

Klar wär ich gerne vor Ort gewesen, hätte zu Jumpin‘ Jack Flash mitgegröhlt oder für die schöne Alicia Keys mein iphone angemacht, so wie sie es von den Tausenden im Madison Square Garden verlangt hatte. Feuerzeug war gestern. Heute blinken Smartphones wie Millionen Sterne vom Firmament. Und alles live in deinem kleinen Computer.

Es war ein sensationelles Konzert, schöner als die meisten Konzerte, die ich in meinem Leben gesehen habe – live oder im Fernsehen. Doch wie bei fast jedem Konzert gab es auch diesmal wieder die unvermeidbaren Spaßbremsen.

Die Stones packten frühzeitig ein. Warum nur?

Mick Jagger war eine davon, MEIN MICK JAGGER! Er hatte ganz offensichtlich nach nur zwei Songs die Rotznase voll, brach seinen Auftritt unter den konsternierten Augen des furchterregenden, aber genialen Keith Richards abrupt ab. Wünschte noch einen schönen Abend und grummelte irgendwas wie: „Hoffentlich helft Ihr uns dann auch alle, wenn in London Not am Mann ist“. Irgendwie enttäuschend.

So richtig daneben fand ich Adam Sandler. Der versuchte sich doch tatsächlich an der Nationalhymne des Helden meiner späten Jugend: Leonard Cohen. Wie kann man einen Komiker wie Sandler vor angekündigten zwei Milliarden Zuschauern weltweit so ein wunderbares Lied wie „Hallelujah“ gröhlen lassen? Zwar wunderbar auf dem Klavier begleitet von Paul Shaffer, dem Frontman der David-Letterman-Band. Aber mit einem schrecklichen Refrain, der mich fast zum frühzeitigen Absprung gebracht hätte: „Hallelujah! Sandy, screw ya!“. Wie peinlich.

Konzert zum Nachhören. Oder kaufen.

Möglich, dass es das Konzert morgen als kostenlosen Download auf der Seite gibt, die es live gestreamt hat:   http://www.121212concert.org  Wenn nicht, finden Sie es auf iTunes, vielleicht sogar auf YouTube.

Machen Sie sich einen aufregenden Abend vor dem Computer. Es lohnt sich. Und wenn Sie schon dabei sind: Ein paar Taler für die Sandy-Opfer wären auch nicht schlecht.