Wunderschön hässlich: „Habitat 67“

habitatDie einen lieben es, die anderen hassen es: Eines der architektonisch umstrittensten Bauwerke in Montreal ist der Gebäudekomplex „Habitat 67“. Der israelisch-kanadische Architekt Moshe Safdie war gerade mal 27, als er die Wohnanlage zur Expo 1967 in Montreal designte.

Der Komplex besteht aus 345 identischen Betonwürfeln, die bis zu zwölf Stockwerke hoch in den Himmel ragen. Besonders imposant ist der Blick auf „Habitat 67“ vom Alten Hafen aus. (Dort ist das Foto vor ein paar Tagen bei Sonnenuntergang entstanden.)

Ursprünglich war das Schachtelkonzept als Beitrag zum sozialen Wohnungsbau konzipiert worden. Doch billiges Wohnen ist anders. Die Würfel-Apartments mit Blick auf die Montrealer Skyline kosten heute bis zu 1.4 Millionen Dollar. Die Miete für ein 110 Quadratmeter großes Condominium liegt bei 2700 Dollar.

Schön oder nicht – auf jeden Fall gilt der Kubus-Koloss inzwischen als Kult. Blogger aus aller Welt haben „Habitat 67“ erst neulich wieder zu einem der zehn hässlichsten Bauwerke Nordamerikas gewählt.

Beim Wahrsager

wahr2Wenn Wahrsagen von „die Wahrheit sagen“ kommt, hat Ashok seine 20 Dollar redlich verdient. Ich hatte Ashok, den Wahrsager, in seinem Tempel im ersten Stock an der Montrealer Rue Jean Talon aufgesucht, gleich über der indischen Fahrschule, neben dem indischen Steuerberater. Dass ich Ashok, den Handleser, überhaupt aufgesucht habe, hat einen Rentner-Grund: Ich hatte einfach zu viel Zeit.

Ashok: Um die vierzig, freundlich, dicklich, verschwitzt. Rosa Seidenschal um den von der Hitze geröteten Hals. Bambiblick. Eine Stimme, wie man sie schon mal im arabischen Bazar gehört hat. Man könnte sich vorstellen, damit Ingwer zu raspeln.

Ashoks Behandlungsraum: So stellt man sich das Schminkzimmer von Tausendundeiner Nacht vor. Tempel-Athmosphäre. Götterfunken von den Wänden, von der Decke, von den Kostümen, die Ashok überall in seinem Privatgemach herumliegen hat. Blinkende Weihnachtslämpchen, draußen hat es 30 Grad. Traumhaft schön. Für den, der’s mag.

Ashoks Deko: Frische Blumen auf den Regalen. Frisches Obst in Schalen und Schälchen, auf Tellern und in Tassen. Süßigkeiten, die es im Happy India Store für 50 Cents pro Stück gibt. Memorabilien aus exotischen Ländern. Lediglich die Schachtel mit Aspirin zwischen dem Muschel-Schmuckkästchen und der Keramik-Kokosnuss stört.

Ashoks Mission: Keine.

Ashoks Auftrag: Keiner.

Ashok bittet zu Tisch. Mit Wasserflasche in der einen und iphone5 in der anderen Hand. Name? Geburtsdatum? „Bitte ab jetzt nicht mehr unterbrechen“. Ashoks Handy klingelt. „Sorrry. Jetzt aber wirklich nicht mehr unterbrechen!“

Geht klar, Ashok.

„Du bist an einem sonnigen Wintertag geboren, einem Samstagnachmittag“. Stimmt. Die ersten fünf Mark fürs Rateschweinderl hätte sich Ashok schon mal verdient.

Familie, Geschwister, Beruf, Ambitionen, Träume, Ziele, Erfolge, Misserfolge – Ashok weiss alles. Krankheiten? Ashok kennt plusminus die Jahreszahlen der großen und ganz großen Zipperlein.

Finanzen? Ashok kommt ins Schwanken.

Und ins Schwitzen. Er nimmt jetzt seinen Seidenschal und wischt sich damit übers Gesicht. Dann trocknet er sich die Hände ab und reicht mir eine davon, die Linke.

„Schlafstörungen“, sagt Ashok im Hinausgehen. „Dagegen solltest du etwas tun“. Aber was? „Es sind die Dämonen, die dich nachts wach halten“. Man könne sie vertreiben. Er wisse, wie das geht, sagt Ashok.

„Wie geht das, Ashok?“

„Komm wieder, Bruder. Ich sage es Dir“.

„Für 20 Dollar?“

„450“, sagt Ashok. Er nehme auch VISA.

Träume unterm Mangobaum

mattWenn Kinder zu Künstlern werden, ist das ein Anlass zum Feiern. Mathieu Holubowski, mit dem uns seit gemeinsamen Highschool-Zeiten mit Cassian eine herzliche Freundschaft verbindet, hat jetzt die Party seines Lebens geschmissen: In einer Montrealer Kellerkneipe stellte er seine erste CD vor: „Old Man“

Für Old-Schoolers ist so ein Anlass gewöhnungsbedürftig: Wer bei so einem CD-Launch eine CD sucht, sucht vergebens. Es gibt sie nicht mehr. In der aufwendig gemachten Hülle findet sich heute lediglich ein Download-Code fürs Internet. Auch gut. Da ein CD-Drive heutzutage seltener ist als ein rosarotes Pony, macht diese Art der Präsentation durchaus Sinn. Dem Download mit all seinen Parkplätzen in den Wolken gehört die digitale Gegenwart.

Gut 100 Leute trafen sich im koffeinfreien, dafür alkoholhaltigen „Kafein“, um dort „Oger“ zuzuhören. Diesen Namen hat Mathieu, der Künstler, für sich ausgesucht. In seiner Musik-Kollektion „Old Man“ ist viel von Liebe die Rede und von Leidenschaft, da klingen Sehnsüchte durch und auch Träume. Da werden Bahnfahrten durch das Hinterland von Uganda akustisch umgesetzt und auch faule Stunden im Schatten eines Mangobaums.

So heisst denn auch mein Lieblingssong auf Mathieus CD: „Mango Tree“. Unter einem solchen Baum war diese fast zärtliche Ode tatsächlich auch entstanden. Eine Zeitlang lebte Mathieu im tiefen Afrika und tat dort Gutes – was jetzt, hörbar für alle, auch auf seine Musik ausstrahlte.

connor

Greift auch mal in die Saiten: Produzent Connor Seidel.

So eine CD ist nie die Leistung eines Einzelnen. Deshalb holte Matt an diesem Abend eine ganze Rehe von Menschen auf die Bühne, die ihm bei der Umsetzung seines Traums halfen.

Einer davon ist Connor Seidel, ein gerade mal Zwanzigjähriger mit deutschen Wurzeln, der im früheren Bootshaus seiner Eltern das inzwischen bekannte Aufnahmestudio Evermoor betreibt. Connor ist bei Mathieu nicht nur für den guten Ton zuständig. Er fungiert auch als sein Produzent.

Gute Musik zu machen, ist eine Sache. Gute Musik zu vermarkten, ist eine Herausforderung, speziell in einer Dreieinhalb-Millionenstadt wie Montreal. Die Konkurrenz ist riesig, dazu kommen in der frankokanadischen Provinz Québec noch sprachliche Empfindsamkeiten, die ein junges Team wie Matt und Connor leicht an seine Grenzen bringen könnten. Doch von all dem war an diesem denkwürdigen Abend in der „Kafein“-Bar nichts zu spüren.

Fast hatte man das Gefühl, Matts Melodien und Texte super relaxed unter einem Mangobaum genießen zu dürfen.

>>>   Mathieus Musik: „OLD MAN“ – mit Tracks zum Downloaden <<<

 >>>  Hier geht’s zu einem früheren Blogpost über Mathieu Holubowski  <<<

Ein bisschen Bagdad in Montréal

baustelleSzenen wie diese (siehe Bannerfoto) findet man zurzeit an jeder Ecke. Die Stadt meines Herzens gleicht an manchen Stellen eher Kabul als einer kanadischen Dreieinhalb-Millionen-Metropole.

Es wird gebuddelt und gebaut, abgerissen und weitergebuddelt. Irgendwie will mein Montréal in diesem Jahr gar nicht zur Ruhe kommen. Aber wenigstens tut sich etwas: Marode Brücken werden erneuert, Wohn- und Bürotürme hochgezogen, Straßen repariert. Wem architektonische Ästhetik wichtig ist, könnte in diesen Tagen und Wochen allerdings verzweifeln.

Dass es trotzdem Hunderttausende von Besuchern nach Montréal zieht, die hier ihren Urlaub verbringen, lässt hoffen: Außer kaputten Straßenzügen muss die Stadt ganz offensichtlich doch noch etwas anderes zu bieten haben.

Es ist wohl die Lebensfreude, die einen gerade im Sommer an jeder Ecke einholt, dieses unbeschreibliche Joie de vivre, das Touristen aus aller Welt immer wieder aufs Neue in ihren Bann zieht.

Sie ist einfach nicht zu toppen, diese Mischung aus französischer Lebensart und American Way of Life. Da nimmt man dann auch ein paar Abrissbirnen vor dem Hotelfenster hin.

Plötzlich Rentner

rentnerDu wachst eines morgens auf, gehst ins Internet und checkst deinen Kontostand. Strom, Wasser und Kabelfernsehen wurden ordnungsgemäß abgebucht. Auch die vielen Restaurantbesuche haben nicht nur in Kilos und Pfund zu Buche geschlagen, sondern auch in Dollars und Cents. Und dann: Was ist das denn? Hat Donald Duck dir über Nacht etwa Kohle aufs Konto geschaufelt? Nein. Es ist die Rente. Die erste meines Lebens.

Genau genommen sind es sogar zwei Renten: eine aus Deutschland und eine aus Kanada. Viel ist es nicht, als Freiberufler ist es nie viel. Aber es ist ein Batzen, der jetzt dir gehört, ohne dafür auch nur einen Finger krumm machen zu müssen. Heute, morgen, übermorgen. Und hoffentlich auch noch in zehn, zwanzig Jahren. Denn, nicht wahr Herr Blüm, die Rente ist doch sicher?

Wobei: Ganz ohne einen Finger krumm zu machen, geht’s dann doch nicht. Kaum ist die erste Rentenzahlung da, flattert auch schon das Formular „Lebensbescheinigung“ ins Haus: „Sehr geehrter Herr, bitte teilen Sie uns mit, ob Sie noch leben. Widrigenfalls wir die Rentenzahlungen wieder einstellen müssen.“ Oder so ähnlich.

Das alles ist mir ziemlich fremd, das Rentnerfeeling geht mir völlig ab. Und ich denke nicht daran, dem deutschen Rentenamt den Gefallen zu tun, den Löffel abzugeben, der ja gerade erst durch monatliche Zahlungen ein kleines bisschen vergoldet wurde.

Die Kanadier sehen das übrigens lockerer: „Genießen Sie Ihren Ruhestand“ heißt es in der Broschüre von „Canada Pension“, die mit dem ersten Scheck im Postfach steckte. „Sie haben ihn sich verdient“.