Von Menschen und Pferden

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Wer die Menschen liebt und die Tiere gleichermaßen, kommt hin und wieder an seine Grenzen. In Palma sind es die Pferdekutschen, die mir mehr Toleranz abverlangen als ich zu geben bereit bin. Pferde gehören nicht auf die gepflasterten Straßen einer Großstadt. Dass sie leiden, sehe ich tagtäglich von meinem Wohnzimmerbalkon aus.

Palma und Pferde – das ist ein Kapitel für sich. Mittelalterlichen Vorgaben zufolge musste der Innenhof eines Hauses groß genug sein, um an die 25 Reiter samt ihren Pferden aufnehmen zu können. Diese Zeiten sind vorbei. Pferde, die in einem Innenhof parkieren, habe ich in Palma noch nie gesehen. Die einzigen Reiter, die mir hin und wieder begegnen, sind zwei Polizisten im Sattel von ganz offensichtlich gehätschelten und geliebten Rössern.

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Polizeipferde an der Plaza de la Reina

Nicht so die Pferde, die ich von meinem Wohnzimmerfenster aus beobachte. Sie stehen bei Hitze, Kälte und Regen oft stundenlang an einer Stelle. Ab und zu werden sie mit dem Wasserhahn abgespritzt, als handle es sich bei dem Pferd um einen Pkw und nicht etwa um ein Tier. Nur hin und wieder kommen Touristen und feilschen mit dem Kutscher über den Preis. Dann geht’s los in den Altstadt-Dschungel.

Eines der Pferde, das ich seit Monaten beobachten kann, hat ganz offensichtlich einen Ohrschaden. Vielleicht leidet auch sein Gleichgewichtssinn. Oder beides. Jedenfalls ist dieses Pferd stundenlang damit beschäftigt, sich den Kopf zu schütteln, ohne dass der Kutscher auf die Idee kommen würde, das Tier zu streicheln oder noch besser: aus dem Verkehr zu ziehen und einer tierärztlichen Behandlung zuzuführen.

Neulich habe ich genau dieses Pferd beobachtet, wie es nach einer dieser Schüttelorgien acht Menschen durch die Altstadt transportieren musste. Im Fond der Kutsche saßen sich sechs mittel- bis schwergewichtige Touristen gegenüber. Auf dem Bock dann der Kutscher und eine weitere Person, offensichtlich ebenfalls Tourist. Spass hatten dabei nur die Menschen. Das Tier tat sich schwer mit 1 PS.

Ich finde, das geht zu weit. Ich habe in meinem bisherigen Leben viele schöne Städte kennen gelernt, ohne auch nur ein einziges Mal ein Pferdefuhrwerk anzuheuern. Pferde gehören, wenn schon nicht auf die Wiese, dann zumindest in einen gemütlichen Stall mit Auslauf. Auf gar keinen Fall aber gehören sie zwischen Busse und Rettungsfahrzeuge mit Sirenen, Mopeds, Lieferwagen und andere Abgasschleudern, die dem Pferd das Leben schwer machen.

Wenn Sie also das nächste Mal Lust haben, eine schöne Stadt zu erkunden, dann würde ich mich freuen, wenn Sie dabei nicht eines dieser armen Geschöpfe anheuern würden, um es durch enge Gassen zu schleusen.

Irgendwann kommt vielleicht auch die Stadtverwaltung von Palma auf die Idee, dass Pferdekutschen genau so der Vergangenheit angehören sollten wie mittelalterliche Innenhöfe, die Platz für 25 Rösser bieten.

Hier geht’s zur Abstimmung. Ankreuzen und „Vote“ anklicken – und schon kommt das bisherige Ergebnis.

„Reich und berühmt“ im Allgäu

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„Guck“, flüstert die Kellnerin im Landgasthof ihrer Kollegin zu, als ich den Frühstücksraum betrete. „Do kommt der Herr aus Kanada. Reich und berühmt!“. „Warum reich? Warum berühmt“?, will ich wissen. „Se werdet scho seha“.

Tatsächlich: Da liegt sie, die aufgeschlagene Lokalseite der „Schwäbischen Zeitung“. „Herbert Bopp kommt zur Lamm3-Lesezeit“. Mit Foto und Text. Meinem Starruhm ist jetzt kein Ende mehr gesetzt. Zumindest zwischen Bettelhofen und Hinznang.

Die Wahrheit ist: Die Frau meines Freundes betreibt in Leutkirch im Allgäu eine charmante kleine Teestube. Alle paar Wochen gibt’s außer Tee und Feingebäck noch kleine Veranstaltungen mit Künstlern, Autoren, Journalisten. Menschen mit Geschichten eben. Und weil ich ohnehin zurzeit das Allgäu unsicher mache, wurde ich eben zur „Lesezeit“ in die Teestube eingeladen.

Was lese ich vor? Was erzähle ich? Und überhaupt: Interessiert denn das überhaupt jemanden, wenn ich Geschichten aus Alaska, New York oder Palma de Mallorca erzähle? Offensichtlich schon. Die Karten für die Veranstaltung waren sofort ausverkauft. Der Erlös kommt einem guten Zweck zugute.

Auf meinen Auftritt in der Teestube freue ich mich aus vielerlei Gründen. Zum einen kenne ich keinen Journalisten, der nicht gerne ein wenig aus seinem Leben erzählt und damit, Hand aufs Herz, auch ein wenig seine Eitelkeit pflegt.

Wichtiger aber ist mir die Begegnung mit Menschen, die ich schon zwanzig, dreißig Jahre nicht mehr gesehen habe. „Sie werden kommen“, sagt mir die Veranstalterin, „deine Wegbegleiter von früher werden da sein“. Redakteure, mit denen ich vor gefühlten 100 Jahren bei der Schwäbischen Zeitung zusammengearbeitet habe. Nachbarn aus Urzeiten, Freunde und Familie.

Und auch ein Leutkircher Banker hat sich zur Lesestunde angemeldet. Er war nach meiner Auswanderung mutig genug gewesen, mir mein erstes Häusle in Kanada zu finanzieren. Ich vermute mal, er möchte wissen, ob sich sein Einsatz damals gelohnt hat.

Zum „Boschen“ in die Bar

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Eine Freundin aus dem Allgäu hat ein neues Verb kreiert. Es heißt „boschen“ und beschreibt kurz und knapp eine meiner liebsten Freizeitbeschäftigungen in Palma: Den Besuch in der „Bar Bosch“.  „Wart Ihr heute schon boschen?“, fragte sie neulich in einer Mail. Ja, waren wir!

Die „Bar Bosch“ besteht aus einem Gastraum, den ich aber wegen der stets angenehmen Temperaturen auf Mallorca tunlichst meide, und einer großen Terrasse, die auf die Straße hinaus führt, direkt in das Gewimmel der Altstadt von Palma.

bosch_links„Der Bosch“ liegt am oberen Ende des Paseo Borne, dort wo die Altstadt schwungvoll einen Bogen macht. „Beim Bosch“ trifft man sich mit Menschen, denen man sonst umständlich erklären müsste, wo man sich trifft. Jeder kennt den Bosch. Nur der Bosch kennt keinen. Dabei gibt es ihn schon seit 1936, als wir noch Sternchen putzen waren.

Beim Bosch ist alles anders als in anderen Bars. Das fängt beim Namen an. „Bosch“ endet phonetisch nicht etwa mit einem Zischlaut sondern mit einem „k“. Für die Mallorquiner ist es die „Bar Bosk“. Wo kämen wir den da hin, wenn jeder boschen würde.

Das Personal hält Distanz zum Gast. Schulterklopfen oder small talk würden eine Nähe zwischen Kundenbosch_essen und Kellner suggerieren, die es so nicht gibt. Statt des Namens des Servierers, wie es in anderen Bars nicht unüblich ist, steht auf der Rechnung nur seine Nummer.

Der camarero mit der „13“ ist der mit dem flotten Backenbart. Der „007“-er hält seinen Kopf stets in Schieflage. Der Mann mit der Nummer 9 hat sich irgendwann vorgenommen, sein Leben in einem Land ohne Lächeln zu bestreiten. Das tut die Vierzehn für ihn. Die lächelt fast Immer, aber ohne ersichtliche Heiterkeit. Die Vierzehn ist übrigens auch ein „er“. Weibliche Serviererinnen gibt es beim Bosch nicht.

Die Kellner in ihren schwarzen, beinlangen Schürzen, den ärmellosen Westen und den farblich passenden Krawatten über dem stets blütenweißen Hemd, das auch bei großer Hitze niemals von kurzen Ärmeln verschandelt wird, servieren dem Gast nicht etwa Speisen und Getränke. Sie zelebrieren sie vor seinen Augen.

Sie tun das mit einer geradezu majestätischen Anmutung. So, als sei es nicht der Zeitungsverkäufer vom Kiosk nebenan, der sich Brot mit Oliven bringen lässt, sondern der König von Spanien.

So sehr habe ich die Technik des Speisen-und-Getränke-Zelebrierens verinnerlicht, dass die typische Boschbewegung bei uns zu Hause zum geflügelten Gag geworden ist. Wenn Gäste kommen, serviere ich den Montrealer Freunden Kaffee, Schnittchen oder Kuchen schon mal mit der Grazie des Bosch-Kellners. Und scheitere meistens kläglich.

Zum Servieren gehört beim echten Bosch-Camarero stets die dynamische Schwingung des zu servierenden Tellers (Tasse, Glas, Besteck) aus dem Handgelenk heraus. Erst dann findet die feierliche, blitzschnelle Berührung mit der Steinplatte des Bistrotisches statt. Quasi ein letztes elegantes Aufbegehren des Getränkes, ehe es vom Besteller einverleibt wird – für relativ kleines Geld, übrigens. Der Vino tinto kostet 1.80 Euro das Glas.

Da geht man doch gerne boschen.

Kässpätzle in der Schinkenstraße

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Ich hab’s getan – und schuld daran ist Günther Jauch. Er hatte in seiner letzten Millionärs-Sendung einen Kandidaten gefragt, wo er denn seine Frau kennen gelernt habe. Der antwortete: „Am Ballermann. Danach sind wir in die Schinkenstraße gegangen“. Ein Ortstermin.

Die Schinkenstraße ist eigentlich eine Gasse. Sie führt am „Ballermann 6“ vom Meer weg in Richtung Norden. Im Sommer soll dort die Post abgehen. Horden von Touristen vergnügen sich dort angeblich rund um die Uhr mit Komasaufen und Schlimmerem. Zu erkennen sind sie an Sangria-Eimern, aus denen meterlange Strohhalme ragen. So viel zum Klischee.

Die Wahrheit sieht anders aus: Es ist Winter auf Mallorca und der Sangria bleibt im Schrank. Kaum mehr als ein Dutzend Touristen haben sich während meiner Stippvisite hierher verirrt. Die Straße selbst ist von allem ein bisschen: Ein bisschen heruntergekommen, ein bisschen interessant, ein bisschen langweilig. Und auch ein kleines bisschen schön.

Es wachsen Palmen entlang der Schinkenstraße. Und hört man genau hin, kann man sogar das Rauschen des Meeres vernehmen. Vor allem aber hört man Schlager wie „Schöne Maid“ oder „Ein Bett im Kornfeld“. Auch heute. Die wenigen Läden, die geöffnet haben, heißen Bierkönig, Grillmeister oder Donnerbalken.

Der Schilderwald ist unübersichtlich und auch ziemlich daneben. Da zeigt ein Pfeil zum deutschen Arzt und ein anderer, unmittelbar darunter, zur „Grand Prix Fahrschule“. Und dann ist da noch der Hinweis auf eine Wechselstube. Dem Schild zufolge können dort immer noch DM umgetauscht werden. Wer’s glaubt, wird (bier)selig.

Die Erotikschuppen sind geschlossen. Keine rothaarige Lola läuft mir über den Weg und auch keine Blondine, die eigentlich ein Blonder ist. Nichts von alledem. Dafür gibt’s Würste in allen Variationen und Frühstück den ganzen Tag. Nur: Was macht man um diese Jahreszeit in der Schinkenstraße, wenn nicht gerade Frühstückszeit ist?

Zum Beispiel Kässpätzle essen. Die hatte ich schon weitaus schlechter. Allein dafür hat sich der Weg zur Schinkengasse gelohnt.

Peinlich? Nur ein bisschen. Aber keiner wird gezwungen, die Schinkengasse aufzusuchen. Wer’s trotzdem tut, mag entsetzt sein, vielleicht aber auch begeistert.

Mir fiel beim Anblick der Partymeile am Ballermann ein Graffito ein, das ich vor Jahren im Deutschen Klub von Winnipeg/Manitoba gesehen hatte: „Gott schütze mich vor Sturm und Wind und Deutschen, die im Ausland sind“.

Die Schinkengasse gehört nun mal zu Mallorca. Und Mallorca zu den schönsten Flecken der Welt.

>>> Hier gibt’s ein paar Eindrücke von der Schinkenstraße <<<

Der Weg zur Goldmedaille

Screenshot Copyright Mallorca Zeitung

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Kleiner Trick gefällig? Wenn Sie schon immer mit der goldenen Verdienstmedaille des mallorquinischen Fremdenverkehrsverbands geehrt werden wollten, sprechen Sie mir jetzt bitte einfach mal nach: „Mallorca ist eine der besten und schönsten Inseln der Welt„. Keine Resonanz? Komisch. Bei Guido Westerwelle hat’s geklappt. Er wurde nämlich jetzt genau für diesen Satz geehrt.

Im Beisein des balearischen Ministerpräsidenten und des Bürgermeisters von Palma wurde der Ex-Außenminister jetzt für seine Bemühungen ausgezeichnet, im Amt die Schönheit Mallorcas immer wieder publik gemacht zu haben.

Herr Westerwelle hat ja Recht. Nur: Was ist mit all den anderen, die Mallorca toll finden und dies im Verein, am Stammtisch, im Flieger, im Café oder beim Hallenfreihandunterwassersegeln kund tun?

Die gehen leider leer aus. So wie die enttäuschten User, die einen Bericht der Mallorca Zeitung über die Preisverleihung kommentierten. Da war zu lesen:

„Wenn es um die Häufigkeit meiner Mallorca-Besuche ginge, müsste ich 2 Medaillen bekommen!“

„… mit dem Bundesflieger auf Kosten der Steuerzahler!“

„All denen, die über zig Jahre Mallorca-Treu sind, geht zu Recht der Hut hoch!“

Bitte nicht böse sein! Wir versuchen’s jetzt einfach nochmal. Und jetzt alle: „Mallorca ist eine der besten und schönsten Inseln der Welt„.

Na bitte, geht doch. Auch ohne Goldmedaille.