Bonbons – oder ich schieße!

Halloween. Und Millionen Kanadier machen sich wieder zum Affen. Sie stülpen sich Schweinsmasken übers Gesicht und servieren im Dracula-Outfit rote Grütze, die aussieht wie Schimpansenhirn. Ihre Häuser werden zu Geisterhütten. Kindern wird der Zutritt nur gewährt, wenn sie „Trick or Treat“ rufen. Das heißt zwar genau genommen so viel wie „Streich oder Leckerbissen“. Was sie wirklich meinen: „Bonbons oder ich schieße!“

An meinem ersten kanadischen Halloween-Abend war ich noch Mitglied im Club der Kinderhasser. Baby, Bubi, Windelwechseln – das alles war noch weit, weit weg in meinem Kopf. Irgendwann stand ein Kostümkind an meiner Junggesellenbude. Es fuchtelte mit einem Kampfschwert vom K-Mart herum und brüllte dabei „Trick or Treat“ . Am liebsten hätte ich den Rotzlümmel am Arm gepackt und in den Müllschlucker geworfen. Aber das ging nicht. Die Berufsmutter stand daneben und schaute mich milde lächelnd an, als wäre ich noch bescheuerter als ihr Samurai-Söhnchen, weil ich das ganze Spiel nämlich nicht geschnallt hatte.

Wie konnte ich auch? Ich war neu in Kanada und mit vielen Gebräuchen noch nicht vertraut. In Ummendorf war Fasnet der einzige Anlass gewesen, der das Aufsetzen von Masken erlaubte, ohne dabei eine polizeiliche Festnahme zu riskieren. An diesem 31. Oktober in Kanada stand für mich fest: Ich hasse Halloween. Es kann mir von jetzt an gestohlen bleiben.

„Creepy Fingers“ aus Blätterteig, Mandelscheiben und irgendwas Rotem.

Eine Freundin überredete mich noch am selben Abend zum Besuch eines ziemlich schrägen Varieté-Theaters in Winnipeg. Im schlimmsten Viertel der Stadt wurde die „Rocky Horror Picture Show“ gezeigt. Alice Cooper für Arme. Ich fand das damals alles ganz schrecklich. Die Vorstellung fing Punkt Mitternacht an. Danach musste ich zweieinhalb Stunden mit ansehen, wie erwachsene Männer wie bekifft mit Mistgabeln auf völlig ausgerastete Frauen losgingen, die ebenfalls bis zu den Zähnen mit Mistgabeln bewaffnet waren. Hinterher lagen sie alle in einer Blutlache aus Tomatenketchup, die irgendwelche Bühnenarbeiter anschließend für $ 5.50 in der Stunde wieder wegputzen mussten. Und dafür habe ich noch Geld bezahlt.

Fratze aus gekochten Schinkenstreifen

Dann kam Lore in mein Leben. Zusammen wollten wir noch einen Versuch machen, was das mit diesem Halloween eigentlich so auf sich hat. Und siehe da: Es war toll!

Spaß mit schwabbeligen Hirnbrocken

Nachbarn und Freunde luden uns zu Halloween-Parties ein. Wir verkleideten uns als Hänsel und Gretel oder als Zauberer und Hexe. Wir nagten an Hähnchenschenkeln, die aussahen, als wären sie von Ratten fangfrisch aus der Mülltonne gezogen worden. Und lutschten an schwabbeligen Hirnbrocken, die als Wackelpudding in einem aufgemeißelten Schweinskopf serviert wurden, der aus Gummibärchen-Tunke bestand. Vom anderen Tischende her schaute uns eine menschliche Fratze so lange an, bis ich mich mit Messer und Gabel daran machte und plötzlich gekochte Schinkenstreifen in der Hand hielt.

An unserer Haustür stapeln sich am Halloween-Abend nach Sonnenuntergang Kinder mit Körben und Jutetüten für die Süßigkeiten, die wir für sie bereit halten. Manche Geisterkids strecken uns ihre Sparschweine entgegen. Sie sammeln Münzen für Haiti und auch für Unicef.

Halloween ist in Kanada Big Business. Allein in meiner Provinz geben die Leute für den Spuk jährlich 85 Millionen Dollar aus. Dabei ist es den meisten der überwiegend katholischen Québecker ziemlich egal, dass Halloween aus dem Keltischen kommt und im Grunde genommen ein total heidnisches Fest ist. Hauptsache Halloween. Hauptsache Horror.

Und wenn’s sein muss auch eine Rocky Horror Picture Show.

 

Demnächst: Deutschland ruft!

Ahhhh – Deutschland! Demnächst werde ich wieder für zehn Tage dort sein. Es gab Zeiten, da bin ich jeden zweiten Monat nach Köln, Hamburg oder Berlin gereist. Heute sind es vielleicht noch zwei bis drei Deutschland-Besuche pro Jahr. Und noch immer beschleicht mich diese Achterbahn der Gefühle.

So weit: Yukon-Territorium (Kanada)

Wenn ich in Frankfurt lande, regnet es meistens. Natürlich reiner Zufall. Trotzdem habe ich immer das Gefühl, Deutschland mag sich mir nicht mehr von der Schokoladenseite zeigen, wenn ich dort bin. So, als sollte ich um Himmels Willen ja nie mehr auf die Idee kommen, nach Deutschland zurückziehen zu wollen. Dabei trage ich diesen Gedanken ständig mit mir herum. Ein Bekannter von mir hat fünf Jahre in Neuseeland gelebt. Als ich ihn neulich im Allgäu traf, fragte er mich, wie es um meine Rückkehrpläne nach Deutschland bestellt sei. Ich sagte ihm, dass bei uns kein Tag vergehe, ohne darüber nachzudenken, wie es wäre, wieder in Deutschland zu leben. Der Bekannte meinte: „Da hast du aber Glück gehabt. Bei mir vergeht keine Stunde, ohne dass ich über eine Rückkehr denke.“ Er meinte die Rückkehr nach Neuseeland.

Da wären wir wieder bei den beiden Herzen, die in einer Brust schlagen.

So nah: Wangen (Allgäu)

Wer einmal im Ausland gelebt hat, verliert den Boden unter den Füßen. Ich kenne keinen Deutschkanadier, der nicht irgendwann ernsthaft darüber nachgedacht hätte, wieder zurück zu gehen. Umgekehrt kennen wir alle die Rückkehrer, die eine erneute Auswanderung ins vermeintliche Land ihrer Träume nicht ausschließen wollen. Die Faszination Kanada ist immer noch da: Die Weite, die Natur, die freundlichen Menschen. Aber auch die Faszination Deutschland ist stets präsent: Die Nähe, die herrliche Natur, die gründlichen Menschen. Widersprüche machen wahnsinnig.

Der Erinnerungs-Optimismus holt mich immer wieder ein

Im Rückspiegel der Zeit beschleicht mich immer häufiger eine Art Erinnerungs-Optimismus, den ich nicht ausblenden kann. War es wirklich so gemütlich damals im heimischen Oberschwaben? Waren die Winzer, die ich im Remstal und im Badischen kennen gelernt habe, wirklich die schrägen Vögel, als die ich sie auf der Festplatte meines Deutschland-Lebens abgespeichert habe? Oder war einfach alles nur grau und spießig um mich herum?

Im Moment genieße ich noch den Luxus, mich zwischen zwei Kontinenten bewegen zu können. Und damit auch irgendwo zwischen zwei Heimaten. Was aber ist, wenn das Fliegen irgendwann keine Option mehr sein wird? Zu alt, zu teuer, zu sonstnochwas? Der Gedanke daran macht mich traurig.

Geht das überhaupt: Das Fernweh im Urlaub ausleben?

Lore, immer die Lebenskluge bei uns, hat ihre eigene Theorie zu diesem Thema. „Jeder sollte da bleiben, wo er aufgewachsen ist“, meint sie. Sein Fernweh könne man schließlich im Urlaub ausleben.

Passend zum Thema kommt in diesem Moment – und zwar wirklich in dieser Sekunde – eine Mail von Ingrid aus dem Allgäu hereingeschneit: „gestern waren wir an der argen beim wandern, mit besuch von schloß achberg. mei, hond mir’s scheee. wir wohnen wirklich begnadet. aber ich will dir nicht weiter das maul wässrig machen“. Hast du aber, Ingrid! Schon zu spät.

Vielleicht sollte ich es mal bei ebay versuchen: „Zu verkaufen: Eines von zwei Herzen in meiner Brust.“

Multikulti fängt beim Essen an

Wenn unser Freundeskreis zusammentrifft, wird das Wohnzimmer zur UNO-Vollversammlung. Und die Küche zum internationalen 5-Sterne-Restaurant. Dolmetscher? Nicht nötig. Irgendwie verstehen sich alle. Außer Deutsch, Englisch und Französisch gibt es ja noch die Sprache, die durch den Magen geht.

Vera stammt aus Indien. Ihre Currygerichte sind legendär und fehlen bei keiner Party. Dabei muss es nicht immer Bhuna Gosht, Chicken Curry oder Beef Vindaloo sein, mit dem sie ihre Freunde verzückt. Diesmal brachte sie einen Topf Gemüse mit. Es war Rosenkohl mit Curry angemacht. Lecker. Aber bestimmt in keinem indischen Restaurant zu finden.

Ute stammt aus Mainz. Den Truthahn bereitet sie typisch kanadisch zu. Mit einer Cranberry Sauce die hier bei keinem Turkey-Dinner fehlen darf. Diana bringt Süßigkeiten aus dem Libanon. Wenn sie von Beirut erzählt, schwingt auch heute noch ein Hauch von Wehmut mit. Linda aus Newcastle bringt die schräge Liebenswürdigkeit der Briten mit an den Tisch. Ihr Mann Claude den herben Charme des Québecker Bonvivant. Dann wäre da noch Sue aus Santa Barbara. Als kalifornisches Beach Girl verbringt sie manchmal viele Wochen am Stück bei den Inuit in der kanadischen Arktis. Liegt ja auch nahe, dass man sich zu den Eskimos hingezogen fühlt, wenn man am Pazfikstrand aufgewachsen ist.

Multikulti Montréal

Fast immer dabei auf unseren Multikulti-Feten sind Elke und Ain. Elke: Das Berliner Wunder auf zwei Beinen. Ain: Estlander mit Rundumerfahrung auf sämtlichen Kontinenten. Ebenfalls einen ständigen Sitz am UNO-Tisch haben Marjolaine und Doug. Marjo: Aufgewachsen als Kind eines echten kanadischen Lumberjacks in den Wäldern von Abitibi. Heute ist sie Abgeordnete für die Partei der linken Sozialdemokraten (NDP) im Bundesparlament in Ottawa. Ihr Mann Doug ist Journalist. Und so ganz nebenbei der beste Grillmaster, den ich kenne. Und natürlich Lore und ich. Zwei Schwabokanadier, die es irgendwann hierher verschlagen hat.

Nicht dabei waren diesmal Murene und Vagn. Sie: Haitianerin, die sich am wohlsten fühlt, wenn sie ihre Harley satteln kann. Er: Däne, der aussieht wie ein Wikinger, der sich nach Kanada verirrt hat.

Das ist sie also, unsere kleine Kanada-UNO. Eine typisch Montréaler Tischgesellschaft. Gleich geht’s zum Flughafen. Marie-Anne abholen. Sie besucht uns heute aus der Schweiz.

Typisch Montréaler Dinnerparty: Die ganze Welt an einem Tisch

Das beste Brotrezept der Welt

Wenn es um kulinarische Genüsse geht, gibt es in Montréal nichts, das es nicht gibt. Selbst knuspriges Brot, in anderen Teilen Nordamerikas noch immer ein Schwachpunkt, wird in vielen Bäckereien angeboten. Das beste Brot der Welt backt Lore allerdings selbst. Mit einem verblüffend einfachen Rezept.

Unsere Freundin Ute war die erste, die Brot-Alarm schlug. Sie war geradezu entzückt von einem Rezept in der New York Times. Gut, aber immer noch einen Hauch zu kompliziert für einen Haushalt, der jeden zweiten Tag Nachschub braucht.

Lore machte sich daran, Utes NYT-Rezept abzuspecken. Und siehe da: Das Brot schmeckt immer noch sensationell. Das Beste daran: Der Teig muss nicht umständlich lange geknetet werden. Und auch eine Brotback-Maschine ist nicht nötig. Pure Handarbeit. Und kinderleicht.

So gnadenlos gut ist das Brot aus der Bopp’schen Backstube, dass mein stets integrer Steuerberater über einen Bestechungsversuch bei den kanadischen Steuerbehörden nachdachte: „Leg deiner nächsten Steuererklärung einen Laib German Bread  bei und eine Rückzahlung ist dir sicher“, scherzte Marc.

Inzwischen schwärmen nicht nur unsere kanadischen Freunde von dem Rezept. Selbst deutsche und Schweizer Besucher, verwöhnt von Europas besten Backstuben, sind begeistert.

Hier die Zutaten:

  • 2 größere Tassen Mehl
  • 1 Kaffeelöffel Salz
  • 1/2 Kaffeelöffel Trockenhefe
  • 1 1/4 Tassen lauwarmes Wasser

Wie Sie aus diesen bescheidenen Zutaten ein grandioses Backwerk machen, erfahren Sie, wenn Sie die Bildergalerie durchklicken. Noch ein Tipp: Nach ca. 45 Minuten nehmen Sie den Deckel der feuerfesten Backform im Ofen ab. Wegen des Knusper-Effekts geben Sie noch einmal richtig Stoff mit kräftiger Oberhitze.

Hier ist das Originalrezept der New York Times