Ansichten eines Zauberers

magicWenn einer die Hand am Puls meiner Stadt hat, dann ist es mein Kumpel Peter. Er ist Street Performer und führt atemberaubende Zaubertricks auf dem Place Jacques Cartier in Alt-Montreal vor. So wie gestern Nachmittag, als er bei strahlendem Sonnenschein Metallringe ineinander verschmelzen liess und Wasser zum Stocken brachte.

Mehr als 20 Jahre lang konnte er von seiner Magie ganz gut leben, doch jetzt wird es eng: „Das Geld fließt nicht mehr wie früher“, sagt Peter. Die demografischen Verhältnisse hätten sich in den letzten Jahren drastisch geändert. Leider nicht zu seinen Gunsten.

US-Amerikaner, die noch bis vor kurzer Zeit in Massen nach Montreal strömten, lassen sich jetzt immer seltener blicken. Lange Zeit war Kanada ein Billigland für sie. Das hat sich mit dem Wertverlust des US-Dollars gegenüber der kanadischen Währung geändert. Dafür kommen jetzt mehr Menschen aus Osteuropa, Südamerika und China.

Peter und die anderen Straßenkünstler mögen jeden, der ihre Kunst zu schätzen weiss. Nur: Vom Schätzen allein können meine Freunde nicht leben. Auch der Künstler braucht Kohle. Doch die fließt vor allem von den chinesischen Touristen, die in immer grösserer Zahl nach Montreal strömen, kaum. Besucher aus China bleiben zwar gerne vom Anfang bis zum Schluss seiner Zaubershow stehen. Aber fotografieren ist ihnen oft wichtiger als applaudieren. Viele von ihnen ziehen freundlich lächelnd ab, ohne auch nur einen Cent in den Zauberhut geworfen zu haben.

Anders Osteuropäer: Die meisten von ihnen lieben Peters Show, bei der zum krönenden Abschluss Rasierklingen verspeist werden. Auch das Kleingeld sitzt bei Besuchern aus dem Osten Eurpas lockerer als bei vielen anderen, lockerer auch als bei den einheimischen Montrealern. Nur: Viele Russen verstehen Peters Wortwitz nicht, deshalb gibt’s von ihnen auch weniger Beifall. Schade.

Neu im Zuschauerprogramm sind Touristen aus südamerikanischen Ländern: Kolumbien, Costa Rica, Argentinien, Brasilien. In den Augen des Magiers sind sie das Traumpublikum schlechthin. Sie klatschen, spenden, freuen sich, auch wenn sie oft Peters Sprüche nicht verstehen.

Aber wen juckt’s? Sie haben Spass. Zauberhaft.

Polizisten gehen auf Zauberer los

Wo sind wir denn hier? Mitten während seiner Vorstellung gehen mehrere Montréaler Polizisten auf einen Streetperformer los, kesseln ihn ein, liefern sich einen Ringkampf mit ihm, legen ihm Handschellen an und werfen ihn schließlich ins Gefängnis.

Das Verbrechen von Stephane, über den ich auch schon im Blog geschrieben hatte? Er hielt sich nicht exakt an die städtischen Bestimmungen, was Ort und Uhrzeit seiner Gaukler-Show betrifft.

Das skandalöse Vorgehen der Polizei gegen Stephane wühlt mich auf und macht mich traurig. Polizei-Brutalität in meiner geliebten Stadt ist leider auch sonst keine Seltenheit, wie schon früher im Blog nachzulesen war.

Übrigens: Stephane hat Frau, zwei Kinder und ein Häuschen. Um sich diesen bescheidenen Luxus leisten zu können, arbeitet er tagsüber bei der städtischen Müllabfuhr und abends auf der Place-Jacques-Cartier als Zauberer und Feuerschlucker.

Dass die Polizei auf Stephane während seiner Vorstellung losgegangen ist, macht diese groteske Aktion nur noch schlimmer. Immerhin waren im Publikum Kinder, wie das inzwischen weit verbreitete YouTube-Video zeigt.

Tolle Touristenwerbung für Montréal. Gut gebrüllt, Bullen!