Bahn-Bashing – ohne mich!

Achtung, Lob: Ich liebe die Deutsche Bahn. Sie ist fast immer pünktlich, wenn ich sie brauche. Immer sauberer als das, was ich sonst von Zügen gewöhnt bin. Außerdem ist der Komfort in der 2. Klasse besser als die First Class in den meisten Eisenbahnen, die ich kenne.

Leider zwingt mich mein Lebensmittelpunkt dazu, öfter zu fliegen als Bahn zu fahren. Ginge es nach mir, würde ich für meine Europa-Reisen lieber 15 Stunden mit dem Zug über den Atlantik tuckern als acht Stunden in einer Konservendose zu sitzen.

Es gibt immer noch Dinge, auf die ich mich bei meinen Deutschland-Besuchen verlassen kann. Bahn-Bashing ist eines davon: Die Züge seien schmuddelig, höre ich da, die Schaffner setzen kleine Kinder aus, die Putzkolonnen, wenn es sie dann überhaupt gibt, verlassen die Toiletten nie „wie man sie anzutreffen wünscht“ (O-Ton DB). Und überhaupt müsste die Deutsche Bahn aus Sicherheitsgründen längst stillgelegt werden. Und zwar sofort.

Flughafenbahnhof Köln/Bonn

Komisch. Benütze ich auf meinen Reisen von Frankfurt nach Köln oder von Hamburg nach München eine andere Bahn als die Deutsche? Oder bin ich durch 30 Jahre Kanada einfach schon so leidensfähig geworden, wenn es um Hygiene und mangelnden Komfort geht?

Nur mal so: In dem Land, in dem ich lebe, gibt es in den meisten Zügen unter einer Stunde Fahrzeit überhaupt keine Toiletten. Und einen „dining car“ bietet VIA-Rail nur auf ganz wenigen transkontinentalen Strecken. Hygiene? Lassen wir das.

Die Horrormeldungen über die Deutsche Bahn kenne ich fast ausschließlich aus Erzählungen und aus den Medien. Ich genieße jedenfalls das Leben auf der Schiene nicht nur in vollen Zügen. Klar gab es die eine oder andere Verspätung. Oder ein verstopftes Klo. Oder auch einen Schaffner, der nicht so freundlich lächelt wie Jürgen Drews. Aber, mal ehrlich: Im Flieger noch nie zu spät gelandet? Oder von Frau Raubein bedient worden? Oder ein Brötchen auf dem Plastikteller vorgefunden, das mit der Flugzeug-Außentemperatur um die Wette friert? Seltsam: LH-Bashing höre ich fast nie. DB-Bashing fast immer.

Und überhaupt: Das Boulevard-Frühstück im Zug-Bistro! Wo sonst bekomme ich Croissant, Schwarzbrot und Brötchen mit Konfitüre, Honig, Nutella, Philadelphia Frischkäse, Schwarzwälder Schinken, gekochtem Schinken und Schnittkäse, das Ganze mit einem Eck Butter und „einem heißen Getränk Ihrer Wahl“ für 10.20 Euro? Serviert im silbernen Körbchen? Da leg‘ ich doch glatt noch 3.50 Euro extra für das Rührei drauf.

Klasse, Bahn!

Weihnachts-Zug mit 4400 PS

Irgendwie müssen die sich abgesprochen haben: Im Norden Deutschlands ketten sich Castor-Gegner an Bahnschienen. Im Süden stimmen wackere Schwaben für den Bau eines neuen Hauptbahnhofs. Derweil rollt in Kanada ein festlich beleuchteter Weihnachts-Sonderzug durchs Land. Gestern Abend legte der Canadian Pacific Holiday Train ganz bei uns in der Nähe einen Stopp ein.

Saint Clet ist ein Bauerndorf mit 1725 Einwohnern. Außer Ackerbau und Viehzucht herrscht da tote Hose. Nur einmal im Jahr geht die Post ab: Der Weihnachtszug der traditionsreichen kanadischen Eisenbahnlinie Canadian Pacific hält am Güterbahnhof. Da verdoppelt sich dann die Einwohnerzahl des Dorfes kurzfristig.

Stürmische Begrüßung in Saint Clet

So richtig Weihnachtsstimmung will auf dem Schotterplatz rund um den kleinen Güterbahnhof allerdings nicht aufkommen. Auf einem Lkw-Anhänger tanzt eine Lady in Leggins zu Gaga und Perry. Sponsored by your local Tanzschule. Neben der Bühne stehen Leute für Suppe und Glühwein Schlange. Sponsored by your local Feuerwehr. Das Wichtigste spielt sich etwas abseits vom Geschehen ab. In einem Lkw stapeln sich kistenweise Lebensmittel. Gespendet von Besuchern, die wegen des Weihnachtszuges gekommen waren. Mehr als 1200 Tonnen Lebensmittel kamen so in den letzten zwölf Jahren zusammen. Viele kanadische Suppenküchen und Tafelläden verlassen sich inzwischen auf den Segen, der von der Eisenbahn kommt.

Zugmusik: Boygroup und Valdy

Der Zug selbst? Ein schöner Zug, Marke GE. Er sieht einfach hinreißend aus und ist total liebevoll geschmückt. Eine Diesellok mit 4400 PS zieht 14 Waggons hinter sich her. Hunderttausend Lampen (ich habe sie gezählt!) blinken. Die Glühbirnen werden von vier Dieselgeneratoren befeuert. Einer der Wagen hat eine ausfahrbare Bühne. Auf der spielt eine Boyband fetzige Weihnachtslieder. Dann tritt ein im Westen Kanadas ziemlicher bekannter Folksänger auf. Dem dürren Applaus zufolge scheinen den hier in der frankokanadischen Ecke des Landes allerdings nur wenige zu kennen. Schade eigentlich. Valdy war nämlich echt gut. Viereinhalbtausend Kilometer Entfernung machen den kulturellen Unterschied.

Den größten Beifall erntete aber der Bürgermeister von Saint Clet. Seinen glamourösen Auftritt auf der Bahn-Bühne verband er mit einem Versprechen: Weiterhin milde Temperaturen und einen schneearmen Winter. Allerdings unter einer Bedingung: „Ihr müsst mehr spenden, Leute!“

Der „Canadian Pacific Holiday Train“ in voller Länge (1:34)