Mein dritter Frühling

trilliumIrgendwo habe ich die Geschichte eines Mannes gelesen, der ein Anwesen mit sehr vielen Zimmern besitzt. Jeden Tag wechselt er seinen Wohn- und Schlafraum. Irgendwann schließt sich der Kreis und er kommt wieder am Anfang seiner Reise an. Dadurch verlängert sich in seiner Wahrnehmung sein Leben auf fast wundersame Weise.

So ähnlich fühlt es sich zurzeit bei mir an. Im Moment erlebe ich so etwas wie den dritten Frühling. Das hat nichts mit Midlife Crisis zu tun, dafür aber mit diversen Ortswechseln.

Mandelblüten auf Mallorca: Von Februar bis Mai waren wir auf Mallorca. Dort blühten die Mandelbäume und später die Mimosen, Rosen und allerlei Feldblumen. Das nenne ich frühen Frühling.

Waldlilien in Montréal: Bei unserer Rückkehr nach Montréal erwartete uns der nächste Frühling. Es blühten der Löwenzahn, Osterglocken und Waldlilien und überall die für diesen Teil Kanadas typischen Crab Apples, zu Deutsch: Holzäpfel.

Hahnenfuß am Lac Dufresne: Mit zwei Frühlingen wären wir schon ziemlich gut bedient gewesen. Doch jetzt beschert uns die Natur noch eine dritte Blütensaison. Hier am Lac Dufresne, zwei Autostunden nördlich von Montréal, sind die Winter lang und die Sommer entsprechend kurz. Gestern begrüßten uns hier erneut frischer Löwenzahn, dazu Hahnenfuß und Trillium ohne Ende. Wilde Lilien, die hier etwa so häufig auftreten wie in Deutschland die Waldanemonen, die ganze Lichtungen weiß einfärben. Demnächst kommen die „Lady Slippers„, eine wilde Orchideenart.

Mit den Blüten kommen die „Bugs

Die Natur meint es dieses Jahr also besonders gut mit uns. Dass wir nicht einen, auch nicht zwei, sondern gleich drei Frühlingsanfänge erleben, empfinde ich als ein Geschenk. Doch umsonst gibt es im Leben bekanntlich nichts. Vor allem der dritte Frühling, den wir zurzeit in der Blockhütte am See erleben, erfordert einen hohen Einsatz an Leidensfähigkeit und Gleichmut. Mit den Blüten kommen die „Bugs“.

Erst die „Black Flies“, schwarze, kleine Fliegen, die sich an deinem Blut laben und eklige Bisswunden in der Haut hinterlassen. Danach kommen die „Mosquitos“, die in Deutschland als Stechmücken oder Schnaken bekannt sind. Die sind zwar lästig, aber nicht so schlimm wie die Schwarzfliegen. Dafür bleiben sie länger.

Invasion der Störenfriede

Mitten im Sommer kommt dann mit nerviger Regelmäßigkeit noch einmal Besuch aus der Luft. Die Invasion der „Horse Flies“, ähnlich den deutschen „Bremsen“, setzt dem ganzen die Krone aus. „Horse Flies“ haben keine Angst vor dir. Im Gegenteil: Sie scheinen die Konfrontation mit ihrer Umgebung geradezu herauszufordern, indem sie selbst bei drohender Klatschbewegung bis zur letzten Millisekunde vor dem Knall noch frech ein paar Quadratmillimeter Haut für sich beanspruchen.

Das war’s dann aber endgültig mit der Parade der Störenfriede. Irgendwann kommen die Eisblumen. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Frühlingsempfang in Montréal

Rrrrummmsss! Die Landung auf dem Montrealer Flughafen war diesmal besonders hart. Dabei hat die Stadt meines Herzens eigens für unsere Rückkehr aus Mallorca und Deutschland ihr feinstes Frühlingskleid angezogen – wie es sich gehört nach einer fast zweimonatigen Trennungsphase. Ich glaube, man nennt das „Lustmacher“. „Bestechungsgeschenk“ würde auch passen. Jedenfalls sind wir nach viel Palma und ein wenig Köln wieder in Kanada. Es könnte schlimmer sein, als in einem Land zu leben, das bei vielen noch immer als Traumland gilt.

Der Lake of Two Mountains ist eisfrei – alles andere als normal für diese Jahreszeit. Das Grün im Gras in unserem Garten überwiegt. Das Herbstlaub dazwischen stört nur ein bisschen und wird spätestens vor dem nächsten Indian Summer entsorgt. Sogar ein paar Forsythien und Krokusse sind zur Begrüßung aus ihren Nestern geschlüpft. Nur das mit den Blättern an den Bäumen müssen wir noch üben: Braun, schwarz, knorrig. Von Knospen noch weit entfernt. Und keine Spur von Grün.

Ein bisschen Frühling im Garten.

Das Schöne an so einem Langzeiturlaub in der europäischen Diaspora ist, dass man die Natur auf hohem Niveau bescheißen kann, indem man gleich drei Frühlinge hintereinander erlebt. Den ersten Mitte Februar auf Mallorca. Den zweiten Ende März in Köln. Den dritten und vermutlich letzten Frühling dieses Jahres erleben wir nun hier im eigenen Garten, in der Nähe von Montreal. Danke, Welt!

Gleich nach meiner Ankunft musste ich zwei neue Erkenntnisse machen, die aus unterschiedlichen Gründen schmerzten: Erstens: Das mit dem Jetlag wird mit zunehmendem Alter immer unlustiger. Heißhunger auf Rührei mit Schinken um 01:30 Uhr morgens ist nervig, aber für einen Lebensmittelvertilger meiner Statur  nicht vermeidbar. Mein Appetitsensor ist nun mal noch immer auf Köln eingestellt. Dort servieren die Damen im „Königshof“ um diese Zeit gerade Frühstück.

Mallorquinischer Käse: Super und preiswert.

Die zweite Erkenntnis hat zum einen mit schwäbischer Sparsamkeit zu tun, hauptsächlich jedoch mit der Erkenntnis, dass Deutschland und Spanien vieles richtig machen, wo Kanada den Schuss noch nicht gehört hat. Es geht um Lebens- und Genussmittelpreise. Das Stück Käse, das ich in Palma für 2.50 Euro und in Köln für einen Euro mehr bekomme, kostet hier 9.50 Dollar. (Ich legte es ins Regal zurück. Die mentale Konditionierung für kanadische Wucherpreise dauert noch). Für  den Preis, den ich hier für eine Flasche Prosecco bezahle, kann ich in Köln-Ehrenfeld eine komplette Aldi-Niederlassung kaufen. Oder zumindest ein Regal davon.

Sonst noch was nach zwei Monaten Europa? Ach ja. Die Recycling-Tonne müsse jetzt immer mittwochs statt dienstags an den Straßenrand gestellt werden, erzählt mir die Nachbarin eben ganz aufgeregt.

Da sage noch einer, in Kanada passiere nie was.